Brandmord in Solingen: Unabhängige Aufklärung jetzt!

03.04.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Frank Vincentz - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6033457

Wieder Solingen, wieder ein Brandmord. Die Polizei will nicht nach rechts ermitteln. Warum eine unabhängige Aufklärung nötig ist.

In der Nacht auf den 25. März wurde eine Familie in Solingen bei einer Brandstiftung ermordet. Die aus Bulgarien stammenden Eltern waren 28 und 29 Jahre alt, die Kinder drei Jahre und fünf Monate alt. Acht weitere Menschen wurden verletzt. Eine weitere Familie, deren Eltern aus Bulgarien stammen, sprang aus dem Fenster, um sich vor dem Feuer zu retten, und kam auf die Intensivstation. 

Schneller als es jeder Anstand erlaubt, meldete die Polizei schon am Tag nach der Tat, es gebe keinen Anhaltspunkt für ein – in ihrem Wording – „fremdenfeindliches“ Tatmotiv. Die Polizei mutmaßte stattdessen von einem Motiv „im zwischenmenschlichen Bereich“, ohne zu sagen, was damit gemeint sein soll – und lässt Fragen offen, ob sie erneut das rechte Auge zudrückt. Am Samstag sagte der zuständige Staatsanwalt dann, die Ermittlungen würden „komplett offen geführt„. 2022 habe es im Haus schon einmal gebrannt, das sei „Teil der Bewertungen“, so die Staatsanwaltschaft

Es ist keine Zeit für Spekulationen, sondern für Aufklärung. Aufklärung, die Geschichte braucht. 

Erneut Solingen: Politische Parallelen zu den 1990ern

Bei den Wörtern „Solingen“ und „Brandmord“ sollten überall die Alarmglocken klingeln: 1993 setzten vier Nazis das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Solingen in Brand und ermordeten fünf Frauen und Mädchen, 14 weitere wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Die damalige Tat kam nicht aus dem luftleeren Raum: In den Medien und in der Politik wurde zu dieser Zeit andauernd gegen Geflüchtete, Migrant:innen und muslimische Menschen gehetzt, menschenverachtende Begriffe wie „Überfremdung“, „Asylantenschwemme“ und „Schmarotzer“ hatten Konjunktur. Wie heute gab es einen Rechtsruck, der die Nazis zu zahlreichen Mordtaten ermutigte, deren furchtbarer Höhepunkt Solingen war.

Der politische Hintergrund beim Brandmord 1993 war insbesondere die sogenannte Asyldebatte, die mit einem massiven faschistischen Terror einherging. Damals schon ergänzten sich die „demokratischen Parteien“ mit der extremen Rechten: Drei Tage vor dem Solinger Brandanschlag 1993 wurde der „Asylkompromiss“ von Unionsparteien, FDP und SPD verabschiedet, der das grundgesetzliche Recht auf Asyl fast vollständig abschaffte – und weiteren Naziterror motivierte.

Ähnlichkeiten zu heute sind leicht festzustellen: Der rechte Terror hat nie aufgehört, sondern nur immer neue Formen angenommen: NSU, hunderte Brandanschläge auf von Geflüchtetenunterkünfte, Halle, Hanau. Olaf Scholz fachte letzten Oktober im Spiegel den Rassismus mit den Worten an, man müsse „endlich im großen Stil abschieben„. Und im Januar ist es mitunter das Ampelgesetz „für schnellere Abschiebungen„, auch „Asylkompromiss 2.0″ genannt, das der extremen Rechten Aufwind gibt, die über „Remigration“ deutscher Staatsbürger:innen fabuliert. 

Kein Vertrauen in die Polizei unter Reul

Zurück zu heute. Mehr als Tausend Menschen kamen laut Veranstalter:innen zum Trauermarsch im Stadtteil Höhscheid. Teilnehmer:innen riefen „Adalet“, türkisch für „Gerechtigkeit“. Auf Deutsch und Bulgarisch riefen Sprechchöre „Wir wollen Gerechtigkeit“, „Kein Hass in Solingen“ und „Wir fordern Aufklärung“. Teilnehmer:innen des Trauermarsches sagten laut Bericht der tagesschau, der Brandmord sei ein Anschlag gegen alle gewesen – gemeint sind alle Migrant:innen und muslimischen Menschen. Migrantische Organisationen gehen ebenfalls von einem rassistischen Hintergrund aus. Bei der Aufklärung kann allerdings der Polizei unter Innenminister Herbert Reul (CDU) nicht getraut werden. 

Denn Polizei von Nordrhein-Westfalen (NRW) ist nicht objektiv, wenn es um die Ermittlung nach rechts geht: Sie produziert selbst immer wieder Skandale durch polizeiliche Nazi-Netzwerke, deren Chatgruppen auffliegen und dann die angebliche Empörung des verantwortlichen Innenministers Reul folgen lassen. Die Polizei in Deutschland ist insgesamt nicht Teil der Lösung bei der Aufklärung rassistischer Taten, sondern Teil des Problems. Das zeigten die Aufarbeitung des rassistischen Terroranschlags von Hanau im Februar 2020 sowie der Morde des NSU, aber auch die Enthüllung des Polizeimords an Oury Jalloh.

Notwendig ist deshalb eine unabhängige Aufklärung der Morde unter Kontrolle der Angehörigengruppen, migrantischer und antirassistischer Organisationen und Gewerkschaften (außer der sogenannten Gewerkschaft der Polizei), die unter gemeinsamer Aufsicht eine effektive Untersuchung durchsetzen können. Initiativen wie Forensic Architecture zeigen, dass unabhängige Expert:innen immer wieder die Wahrheit ans Licht bringen können, die staatliche Behörden nicht herausfinden möchten.

Solidarität mit den Angehörigen ist nicht auf Solingen begrenzt: So erklärte bereits die Initiative „München OEZ erinnern“ ihre Anteilnahme und forderte, dass auf ein rassistisches Motiv hin ermittelt wird – schließlich wurde auch nach dem OEZ-Anschlag 2016 lange Zeit das rassistische Motiv des Täters ignoriert. 

Über das Wissen von Expert:innen hinaus können Belegschaften von Betrieben, Menschen in Gewerkschaften und Nachbarschaften, Schulen und Universitäten sich organisieren, um die umfassende Aufklärung durchzusetzen. Solche Basis-Organisierung ist notwendig, um eine Verteidigung gegen antimuslimischen Rassismus aufzubauen sowie rassistische Gesetzgebungen zurückzuschlagen, die den rechten Terror weiter anfachen. 

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