Brandbrief aus dem Botanischen Garten

04.11.2017, Lesezeit 4 Min.
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Beschäftigte werden zum 1. Januar in die Freie Universität übernommen. Doch in einem Brandbrief kritisieren sie die Art und Weise, wie der Betriebsübergang laufen soll.

Die Stimmung unter den Beschäftigten des Botanischen Gartens in Lichterfelde kippt. Weil sich die Übernahme zum 1. Januar 2018 an die Freie Universität (FU) schwieriger gestaltet als gedacht, hat der Betriebsrat einen fünfseitigen Brandbrief verfasst. Das Schreiben ging in diesen Tagen an die insgesamt 160 Mitglieder des Abgeordnetenhauses. In dem Brief bemängelt die Arbeitnehmer*innenvertretung, dass es sich beim Botanischen Garten um keine einfache Übernahme handelt. Die Freie Universität versucht, „Betriebsänderungen“ zu diktieren, mit „zum Teil gravierende Auswirkungen für die Beschäftigten, die nun im Schweinsgalopp umgesetzt werden sollen“.

Der wichtigste Streitpunkt ist die Technikabteilung. Momentan sind sieben Techniker*innen und zwei Elektriker*innen dafür zuständig, die komplizierten Anlagen des Botanischen Gartens rund um die Uhr zu überwachen. Die FU will nur zwei davon als Hausmeister*innen behalten – der Rest soll in die mehrere Kilometer entfernte zentrale Technikabteilung der Hochschule eingegliedert werden, und „nur noch bei Havarien in den Garten ausrücken“, wird im Brandbrief kritisiert. 80 Beschäftigte haben eine Petition für den Erhalt der Technikabteilung unterschrieben – bisher ließ sich die Hochschule davon allerdings nicht beeindrucken.

Anfang 2016 wurde bereits der Reinigungsservice vom Garten an eine Fremdfirma vergeben, nachdem die Personaldecke über Jahre immer weiter ausgedünnt wurde. Nun befürchtet der Betriebsrat ähnliche Pläne für die Technik. Gleichzeitig soll jedoch der bisherige Geschäftsführer der Tochterfirma vom Garten eine „weiche Landung“ mit einem gut dotierten Posten in der Univerwaltung bekommen.

20 Beschäftigte sind nur als Saisonkräfte angestellt, jedes Jahr von Anfang April bis Ende November. Dazwischen müssen sie sich arbeitslos melden. Die FU hat Absichtserklärungen gegeben, dass diese nächstes Jahr wieder eingestellt werden, jedoch unter Vorbehalt der wirtschaftlichen Machbarkeit – und das, obwohl entsprechende Gelder schon in den Hochschulverträgen vorgesehen sind. „Man lässt die Leute zittern bis nächsten März“ kritisiert Lukas S. vom Betriebsrat.

Einen umfangreichen Fragenkatalog zum Botanischen Garten beantwortete die Pressestelle der Freien Universität am Donnerstag zunächst nicht. Die Freie Universität untersteht dem Land Berlin. Der Berliner Senat, der auch im Kuratorium der FU vertreten ist, wirkt eher verärgert über die vielen Reibungen. „Wir möchten, dass die Wiedereingliederung im Sinne der Beschäftigten erfolgt“, sagt Franziska Brychcy (LINKE) aus dem Abgeordnetenhaus. Am 13. November wird sich der Ausschuss für Wissenschaft und Forschung des Landesparlaments erneut mit dem Botanischen Garten beschäftigen.

Der Personalmangel am Garten hat teils dramatische Auswirkungen. Das Viktoriahaus mit großen Wasserpflanzen kann ein halbes Jahr nach einer aufwendigen Sanierung mangels Personals nicht eröffnen. Laut dem Direktor fehlen am Garten momentan 50 Stellen. In der Bezirksverordnetenversammlung von Steglitz haben die FDP, SPD, Linke und AfD ein Appell lanciert: „Botanischen Garten retten“.

Der Brandbrief der Beschäftigten ist unterdessen der Höhepunkt der Stimmungsverschlechterung unter den Beschäftigten. Vor einem Jahr war die Freude dagegen noch riesig: Ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten am Botanischen Garten war erkämpft worden. Zehn Jahre lang hatte zuvor die Hälfte der Belegschaft für eine Tochterfirma gearbeitet. Sie bekamen Niedriglöhne und mussten teilweise beim Jobcenter aufstocken. Doch nach einem langen Arbeitskampf sollte das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten.

Für weitere Freude sorgte danach die Ankündigung, dass die Tochterfirma „Betriebsgesellschaft Botanischer Garten und Botanisches Museum“ (BG BGBM) zum Ende des Jahres aufgelöst wird – und damit die beschlossene Lohnerhöhung ein Jahr früher kommt als erwartet. Angesichts der nun stockenden Verhandlungen ist die Euphorie aber vergangen.

FU-Kanzlerin Andrea Bör sagte im Sommer im Parlament: „Die FU hat sich zum Botanischen Garten bekannt, und sie steht zu ihren Mitarbeitern.“ Aus Kreisen der Belegschaft wird dagegen vermutet, dass die FU-Leitung „Rache“ für den langen Arbeitskampf und die erzwungene Eingliederung nehmen will. Wenn die bisherige Interessenvertretung weiter für die Rechte der Belegschaft streitet, wird das nämlich automatisch zu höheren Personalkosten führen. Und deswegen, so die Vermutung, soll diese kompakte und kampferfahrene Belegschaft auseinandergejagt werden.

Dieser Artikel ist zuvor im neuen Deutschland erschienen.

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