Brandanschläge in Solingen: Der bürgerliche Staat kann und will uns nicht schützen
Immer häufiger werden Menschen in Deutschland aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer Religion angegriffen, getötet und im Stich gelassen. Welche Rolle dabei Polizei und Staat spielen.
Am vergangenen Montag, den 25. März, wurde eine bulgarische Familie – Eltern und zwei Kinder – in ihrem Wohnhaus getötet; acht weitere Menschen wurden schwer verletzt (wir berichteten). Die Polizei schließt ein „fremdenfeindliches“ Motiv zwar nicht aus, aber spricht vage von einer Tat im „zwischenmenschlichen Bereich“, während die Morde in den Medien als kleinkriminelle Auseinandersetzung abgestempelt und damit weiter rassistische Vorurteile geschürt werden.
Im gleichen Haus kam es 2022 schon einmal zu einem Brand im Treppenhaus, der damals allerdings rechtzeitig entdeckt und gelöscht werden konnte. Eine Parallele besteht zumindest im Tathergang auch zum Brandanschlag auf ein Mehrfamilienhaus am 29. Mai 1993 in Solingen. Damals hatten mehrere Personen aus der extrem rechten Szene nach einem Streit in einer Bar das Wohnhaus der fälschlicherweise für türkisch gehaltenen Familie angezündet, fünf Menschen getötet und 17 verletzt. Wie im jüngsten Fall, waren der oder die Täter:innen ins Treppenhaus eingedrungen und hatten es mit Hilfe von Brandbeschleunigern angezündet.
Zu einer Trauerkundgebung versammelten sich am Donnerstag nach der Tat mehrere hundert Menschen vor dem ausgebrannten Haus und forderten neben mehr Transparenz der Ermittlungsbehörden ein Ende rassistischer Hetzkampagnen, die die Grundlage für solche grausamen Verbrechen bilden. Regelmäßige Enthüllungen über extrem rechte Strukturen innerhalb der Polizei, Vertuschung von Taten und sogar deren aktives Mitwirken lassen das Vertrauen in die Äußerungen der Strafverfolgungsbehörden bei den Betroffenen weiter sinken, während die Zahl der Gewalttaten gegen Ausländer:innen drastisch ansteigt. So verdoppelten sich Angriffe auf Geflüchtete im Jahr 2023 verglichen mit dem Vorjahr.
Der bürgerliche Staat kann und will uns nicht schützen
Die Geschichte rassistischer Anschläge, Morde und Hetzjagden ist so alt wie die BRD selbst. Einen schrecklichen Höhepunkt bildete das Oktoberfest-Attentat 1980 mit 13 Getöteten und 221 Verletzten. Mit zunehmender Häufigkeit wurden während den folgenden 90er Jahren unter anderem in Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen ausländisch gelesene Menschen Opfer immer gezielterer Verfolgung. Schon damals beteiligte sich NRW-Innenminister Herbert Reul an der rassistischen Hetze und sprach von einer „Vergiftung des öffentlichen Klimas durch Roma und Sinti“. Nach der jahrelang als „Dönermorde“ bezeichneten Terrorserie des NSU und der Verdächtigung „ausländischer Mafiabanden“ reihten sich die Anschläge von Halle und Hanau in die Kontinuität extrem rechter Straftaten ein.
Reul versprach am Donnerstag, die Polizei tue alles, um die Tat aufzuklären. Woher sein vorbehaltloses Vertrauen in die Beamten stammt, ist angesichts der Vielzahl an Verurteilungen, Suspendierungen und „Verdachtsfällen“ besonders in NRW unbegreiflich. Zum Skandal extrem rechter Inhalte in internen Chatgruppen im Jahr 2020, an denen mindestens 29 Polizist:innen beteiligt gewesen sein sollen, sagte Reul, jeder einzelne Fall sei ein Drama. Die Dimensionen seien zwar zu groß, aber nicht so groß, dass man von einem Problem in der ganzen Polizei reden müsse. Nach Bekanntwerden von Verbindungen in die „Reichsbürger-Szene“ wurden auch im vergangenen Jahr in NRW wieder mehrere extrem rechte Polizei-Chats öffentlich, unter anderem die „Secret Hitler Crew“. Laut einer Abfrage bei den Innenministerien der Bundesländer laufen derzeit über 400 Disziplinarverfahren und Ermittlungen gegen Polizist:innen wegen des Verdachts auf extrem rechte Gesinnung und Verschwörungsideologien. Da nur zwölf Behörden aktuelle Daten lieferten, wird die tatsächliche Zahl noch deutlich größer sein.
Das Märchen vom „Freund und Helfer“
Das preußische Narrativ vom „Freund und Helfer“ wurde im Nationalsozialismus besonders gerne bekräftigt. Doch die primäre Aufgabe der Polizei im kapitalistischen Staat ist es seit jeher, die bestehende Ungleichheit der Besitzverhältnisse zu verteidigen und die Voraussetzungen zu schaffen, dass diese weiter fortschreiten kann. Die Polizei wurde aufgebaut, um die Aufstände der Arbeiter:innen gegen die ausbeuterischen Lebens- und Arbeitsbedingungen niederzuschlagen und das Privateigentum besonders an Produktionsmitteln zu sichern.
Dabei ab und zu mal eine Katze aus einem Baum zu retten und einer alten Person über die Straße zu helfen, macht keine:n Polizist:in zu einem Verbündeten der Arbeiter:innen und Unterdrückten, wenn er einen Schwur auf einen Nationalstaat leistet und mindestens tatenlos zusieht, wie Kolleg:innen Menschen ohne Aufenthaltsrecht in Armut, Hunger, Verfolgung, Folter und Tod abschieben, während auch im eigenen Land rassisitische Kontrollen, Bestrafungen und sogar Morde durch die Polizei stattfinden.
Um die Ursachen von Rassismus zu bekämpfen, können wir uns nicht auf die Institution der Polizei und den bürgerlichen Staat verlassen, der die Grundlage dessen ermöglicht und Aufrecht erhält. Konkurrenz besteht im Kapitalismus nicht nur zwischen Unternehmen und Staaten, sondern auch zwischen Arbeitnehmer:innen und wird Kindern spätestens in der Schule beigebracht. Ungleiche Chancen im Wettstreit um eine spätere Stellung auf dem Arbeitsmarkt werden gefördert, statt sie auszugleichen und die neoliberale Erzählung, dass sozialer Aufstieg von der eigenen Anstrengung abhängt, wirkt immer grotesker. Auch die Lüge, dass menschlicher Antrieb von Natur aus nur durch Gier und Neid erklärt werden kann, ist Ausdruck des Wirtschaftssystems, in dem wir aufwachsen. Ganz im Gegenteil ist ein von Solidarität, Neugier, Gleichberechtigung und echter Mitbestimmung geprägtes Leben für alle möglich. Lasst uns auf der ganzen Welt gemeinsam dafür kämpfen!