Boxerin Imane Khelif: Medaille trotz rechter Hetze

05.08.2024, Lesezeit 8 Min.
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Die Boxerin Imane Khelif aus Algerien steht während ihrer Teilnahme bei Olympia im Zentrum eines transfeindlichen Shitstorms, ohne selbst trans zu sein. Was ist passiert und wie können wir uns gegen die patriarchalen Verhältnisse dahinter zur Wehr setzen?

Die Aufmerksamkeit und Hetze gegen die algerische Sportlerin nahm in den letzten Tagen bisher unbekannte Dimensionen an. In Social Media Posts mit hunderttausenden Likes und Artikeln in etlichen Medien wird die Sportlerin als “männlicher Frauenschläger” diffamiert, nachdem sie in unter einer Minute einen Kampf gegen ihre italienische Kontrahentin gewonnen hat und sich nun auch eine Medaille gesichert hat. 

Ihr wird vorgeworfen, keine Frau zu sein, dabei beziehen sich einige auf falsche Informationen bezüglich von Tests, die Khelif in der Vergangenheit absolviert haben soll, welche angeblich nachweisen, sie würde XY Chromosomen oder erhöhte Testosteron Werte haben. Tatsächlich wurde sie bei der vergangenen Weltmeisterschaft vom Boxsport Dachverband (IBA) disqualifiziert. Der dafür verwendete Test kam erst zustande, nachdem sie eine russische Athletin besiegt hatte, der Verband gilt als korrupt und von russischen Funktionären dominiert. Fakt ist, dass Imane Khelif eine Cis-Frau ist und sich das ganze Leben lang so identifiziert hat und auch alle notwendigen Tests bei Olympia und vorherigen Wettkämpfen bestanden hat. Die Behauptung, sie sei Trans ist nichts weiter als eine Erfindung von rechten Kräften. Unter ähnlichen Anfeindungen litt auch die Boxerin Lin Yu-ting aus Taiwan, die aber aufgrund des Erfolges von Khelif mehr aus dem Fokus rückte. 

Eine neue Intensität queerfeindlicher und sexistischer Angriffe

Ganz vorne mit bei der Hetzte dabei waren unter anderem der Milliardär Elon Musk, Präsidentschaftskandidat Donald Trump, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, sowie auch deutsche Prominente wie Tennisstar Boris Becker. Ebenfalls beteiligten sich auch deutsche Politiker:innen an der Hetze gegen Khelif, neben AfD-Abgeordneten waren auch viele von der CDU und auch dem BSW mit dabei. Besonders eklatant war hier der Vorsitzende der Jungen Union Johannes Winkel, der noch vor 2 Wochen auf dem CSD in Köln auftrat und jetzt die beiden Boxerinnen als “kranke Männer” bezeichnete. Neben ohnehin bekannten Rechten, attackieren auch selbsternannte Feminist:innen Khelif, wie etwa JK Rowling oder die Zeitschrift Emma. Sie erzeugen einen Druck zur Feminität, um in heutigen Zeiten als Frau zu gelten. Dies trifft alle Frauen und Queers, denn hier werden ganz klar patriarchale Verhältnisse reproduziert, die es Frauen nicht erlauben einem weiblichen Idealbild zu widersprechen und sie zwingen weibliche Stereotype zu reproduzieren, damit ihre Identität nicht in Frage gestellt wird.

 Eine solche Hetze ist in ihrer Form nicht neu, lediglich das Ausmaß ist definitiv ein Historisches. In den vergangenen Jahren traf es bereits mehrere Athletinnen, wie bspw. Tennisstar Serena Williams. Eine Auffälligkeit hierbei ist, dass das Geschlecht insbesondere bei schwarzen Frauen oft angezweifelt wird, es existiert also auch eine rassistische Komponente in der aktuellen Situation. 

Mit ihrer Hetze offenbaren viele Akteure ihr falsches Verständnis von Geschlecht. Ein besonders prägnantes Beispiel davon ist, wie der Streamer “Scurrows” auf X (ehemals Twitter) schrieb, dass “nur Männer Testosteron produzieren”. Das ist faktisch natürlich vollkommen falsch, denn so gut wie alle Menschen produzieren Testosteron. Vor allem zeigt es aber die Notwendigkeit einer Diskussion darüber, was Geschlecht ist. 

Eine marxistische Definition von Geschlecht

In aktuellen Diskussionen wird häufig zwischen dem “biologischen” Geschlecht, genannt “Sex” und dem “sozialen” Geschlecht, genannt “Gender” unterschieden, als zwei Komponenten vom menschlichen Geschlecht. Dabei vertreten wir die wissenschaftliche und materialistische Auffassung, dass sowohl Sex als auch Gender veränderbar sind. Alleine der Fakt, dass intergeschlechtliche Menschen existieren, deren körperliche Merkmale weder ausschließlich typisch “männlich noch weiblich” sind, beweist, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, wie von rechten Pseudobiologen behauptet. So ist es eben auch möglich ein XY Chromosomenpaar zu besitzen und kein Mann zu sein. 

 Insofern sich eine Person durch die Gesellschaft bewegt, wird sie in der Regel entweder als Frau oder Mann wahrgenommen, was auch mit Zuschreibung bestimmter stereotypischer männlicher oder weiblicher Eigenschaften einhergeht. Der Kapitalismus hat diese Verhältnisse geschaffen und hält sie aufrecht, etwa indem er weibliche Arbeit abwertet oder erst gar nicht erst entlohnt, dafür braucht er die Aufrechterhaltung von patriarchalen gesellschaftlichen Funktionsweisen. In verschiedenen Gesellschaften existieren hingegen völlig unterschiedliche Geschlechterrollen. Beispielsweise existieren in der Gesellschaft in der Stadt Amarete in Bolivien ganze zehn soziale Geschlechter. Geschlechterrollen werden also von Geburt an auferlegt und sind Veränderungen unterworfen. 

Auch auf die zweite Komponente “Sex” trifft das in gewisser Weise zu. Beispielsweise wird das “biologische Geschlecht” häufig aufgrund der Fortpflanzungsfähigkeit nachgewiesen. Doch viele Menschen sind gar nicht in der Lage, sich fortzupflanzen oder verzichten darauf. Die als “Geschlechtshormone” bezeichneten Androgene und Östrogene sind Hormone, die in allen Menschen vorkommen und wichtige physiologische Funktionen haben. Die US-Biologin Anne Fausto-Sterling argumentiert daher, diese als Wachstumshorme zu bezeichnen. Das Zuweisungskriterium oder die Kritierien sind keineswegs “biologisch eindeutig”, sondern sie sind gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen.  

Früher wurde Geschlecht ausschließlich über äußere Wahrnehmung nachgewiesen, durch genetische Tests kam es auch im Sport immer wieder zu Überraschungen. So wurde der spanischen Leichtatlethin María José Martínez Patiño 1985 völlig überraschend nach einem Test eröffnet, dass sie eigentlich ein Mann sei, was ihre Disqualifizierung von der WM zur Folge hatte. Auch “Sex” definiert also keinen eindeutig messbaren biologischen Zustand, sondern eine Auswahl von Merkmalen die in unterschiedlichen Situationen und Gesellschaften verschiedene Aussagekraft beigemessen wird. 

So lässt sich dann auch nachvollziehen, dass Antitrans Hetzer, die sonst durch Behauptungen wie “ein Mann müsse einen Penis haben” auffallen, gegenüber der Boxerin Khelif behaupten, sie sei ein Mann ohne dass sie über dieses Merkmal verfügt.

Interessant zu beachten ist des Weiteren auch der Fakt, dass Sport persé niemals fair ist, denn körperliche Vorteile existieren auch dann, wenn strikt in zwei Geschlechter getrennt wird. Manche Sportler:innen haben nunmal einen Körper, der besonders geeignet ist, weil sie etwa wie die Chinesische Basketballerin Zhang Ziyu mit 2,21 Meter besonders groß sind, oder wie der Schwimmer Michael Phelps ein besonders breites Kreuz haben und so weiter. Eigentlich nicht außergewöhnlich, wird aus diesem Fakt nun ein Eklat erzeugt, der keinesfalls der sportlichen Fairness dient. 

Über den Zusammenhang von Patriarchat, Kapitalismus und Rechtsruck

Die Angriffe auf Khelif passieren im Kontext des gegenwärtigen internationalen Rechtsrucks. Konservative und rechte Kräfte versuchen mit besonders hoher Intensität heteronormative gesellschaftliche Formationen wie die Kernfamilie oder das binäre Geschlechterbild aufrechtzuerhalten. Das tun sie aus einem ökonomischen Interesse heraus, denn ein binäres Geschlechterbild erlaubt es, feminisierte Arbeit abzuwerten und vermeintlich unproduktive reproduktive Arbeit weiterhin feminisierten Personen zuzuschreiben. Für die Krise des Kapitalismus sollen wir also mit der Aufgabe von körperlicher und sexueller Selbstbestimmung bezahlen, denn die bloße Existenz von queeren Menschen oder Personen die nicht heteronormativen Normen entsprechen, widerspricht den Anforderungen des patriarchalen Kapitalismus fundamental. Der Kampf für die Befreiung der Frau und für Transrechte ist also eng verbunden mit dem Kampf gegen die kapitalistischen Verhältnisse. Aus der aktuellen Situation gilt es vor allem, diesen Schluss zu ziehen und sich unter einem Programm des revolutionären sozialistischen Feminismus zu organisieren, der für die Befreiung aller Geschlechter eintritt. 

Zu guter Letzt gilt es Khelif zu beglückwünschen und ihr als Opfer patriarchaler Hetze unsere Solidarität auszusprechen. Sie hat als Kind Metall verkauft, um ihr Boxtraining zu bezahlen und musste sich noch dazu gegen gesellschaftliche Normen durchsetzen, die ihr das Boxen verbieten wollten. Ihr Weg zu Olympia war lang und zeugt bis heute vor den Herausforderungen und der Unterdrückung die Frauen in unserer Gesellschaft erfahren. Die Medaille hat sie sich definitiv verdient und man kann nur hoffen, dass ihr die Hetze nicht den Spaß am Sport wegnimmt.

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