Bomben auf Beirut: Israel zielt auf Hisbollah-Führer und verwüstet ganzes Viertel

28.09.2024, Lesezeit 5 Min.
Übersetzung:
1
Symbolbild: Verwüstung nach einem israelischen Angriff auf den Süden Beiruts, 2006. Bild: delayed gratification / CC BY-NC-SA 2.0

Mindestens sechs Tote und 91 Verletzte forderte das israelische Bombardement auf den Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut gestern Abend nach Angaben des Gesundheitsministeriums. Die israelische Armee behauptet, auch der Anführer der Hisbollah sei unter den Toten.

Seit dem Krieg von 2006 hat die israelische Armee die südlichen Vororte von Beirut nicht mehr so brutal angegriffen. Bereits mehrfach hat sie die Hauptstadt in der vergangenen Woche unter Beschuss genommen. Nach dem verheerenden Angriff am Freitagabend setzte das israelische Militär seine Angriffe auf die Stadt fort. Die Zahl der Toten ist noch nicht bekannt, da viele Opfer noch unter den Trümmern liegen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt in Berufung auf Medien aus der Region, dass es Dutzende oder sogar Hunderte Todesopfer sein könnten. In einer apokalyptischen Atmosphäre suchen Rettungsteams in den südlichen Vororten nach Leichen.

Nach ersten unbestätigten Angaben hieß es, der Chef der Hisbollah, Hassan Nasrallah, sei dem Anschlag auf das angeblich unterirdische Hauptquartier der Organisation in einem Wohngebiet entkommen. Am Samstagmorgen verkündete das israelische Militär auf X, vormals Twitter, Hassan Nasrallah könne die Welt nicht länger terrorisieren. Auch die israelische Zeitung Haaretz meldete den Tod Nasrallahs. Eine Bestätigung von Seiten der Hisbollah gibt es bislang nicht. Das Schicksal anderer hochrangiger Kommandeure ist ebenfalls noch unbekannt. Auch wenn viele Informationen derzeit noch nicht verifiziert sind, handelt es sich um eine beispiellose Provokation, die regionale Auswirkungen haben und die Hisbollah zu einer weniger zurückhaltenden Reaktion veranlassen könnte.

Die Angriffe erfolgten wenige Stunden nach einer Rede von Benjamin Netanjahu vor den Vereinten Nationen in New York. Darin lehnte der israelische Premierminister eine Waffenruhe entschieden ab und kündigte an, die Angriffe auf den Libanon fortzusetzen. Während seiner Rede verließen zahlreiche Delegierte den Hauptsaal der UN. Das zeigt, dass die israelische Regierung immer weniger Verbündete bei ihrer verbrecherischen Offensive hat, die im Gazastreifen weitergeht und sich auf den Libanon ausdehnt.

Zuletzt hatten zehn Staaten und die EU zu einer dreiwöchigen Waffenruhe aufgerufen, darunter auch Deutschland und die USA, die bisher als feste Verbündete Israels auftraten. Diese Aufrufe halten die USA jedoch nicht davon ab, die israelische Kriegsmaschinerie weiterhin zu finanzieren. Vor einigen Tagen erhielt Israel von den USA ein Militärpaket in Höhe von 8,7 Milliarden Dollar, um seinen qualitativen militärischen Vorsprung in der Region zu wahren. 

Die israelische Offensive im Libanon hat eine neue Situation im Nahen Osten heraufbeschworen, deren Konturen noch unklar sind: Ist ein dritter Libanonkrieg unvermeidlich? Wird es eine Antwort des Iran geben? Hat Netanjahu eine Strategie oder ist dies nur ein weiterer taktischer Zug? Dies sind Fragen, auf die es bisher keine kategorischen Antworten gibt.

In einer lang erwarteten Botschaft vor einigen Tagen machte Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah keine genauen Angaben dazu, wie die Organisation auf einen solchen Angriff reagieren würde. Nasrallah räumte die Auswirkungen der israelischen Offensive ein. Er nannte sie die „größte in Bezug auf Sicherheit und Menschlichkeit, beispiellos in der Geschichte des Widerstands im Libanon“. Er sagte aber auch, der Schlag habe die Entschlossenheit der Gruppe nicht geschwächt. Den Krieg bezeichnete er als „Zyklus“.

Netanjahu hofft, dass die Offensive es ihm ermöglichen wird, seine Regierung wieder zusammenzuführen. Zuletzt hatten die Spannungen im Kabinett zugenommen und es waren offene Differenzen mit der militärischen Führung über die Ziele des Gazakriegs aufgetreten. Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand zur Freilassung der Geiseln war auch in Israel lauter geworden. Am 2. September waren Hunderttausende auf die Straße gegangen. Der Protest schloss einen achtstündigen Generalstreik ein, zu dem die Histadrut, der zionistische Gewerkschaftsbund, aufgerufen hatte. Die Grenzen dieser Proteste liegen darin, dass im Kontext eines Rechtsrucks in der israelischen Gesellschaft keine bedeutenden Sektoren aufgetaucht sind, die das koloniale Projekt des zionistischen Staates in Frage stellen.

Das Überleben der Regierung Netanjahu ist untrennbar mit seiner Partnerschaft mit den Parteien der extremen religiösen Rechten und den Siedlern verbunden, also mit der Fortführung und eventuellen Ausweitung des Krieges. Da das Ziel der „Ausrottung der Hamas“ ein Hirngespinst ist, schwankt Netanjahu zwischen den extremsten Sektoren, die auf eine Art „Endlösung“ drängen, also die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland verlangen, und einer gemäßigten Version derselben Strategie, die die militärische Wiederbesetzung einiger Gebiete des Gazastreifens vorsieht. Dies versucht er nun offenbar im Norden der Enklave.

Der Bericht basiert auf einem Artikel von La Izquierda Diario und wurde nach aktuellen Erkenntnissen aktualisiert. 

Zum Weiterlesen


Die israelische Offensive: eine neue Situation im Nahen Osten
Die neusten Angriffe Israels auf den Libanon scheinen die Region kurz vor einem Flächenbrand zu setzen. Welche Strategie verfolgt Netanjahus Regierung in dieser „neuen Phase des Krieges“? Welche Szenarien könnten bevorstehen und was bedeutet es für den Genozid in Gaza?

Mehr zum Thema