BoJack Horseman: Ein manisch-depressives Pferd, frei nach Bertolt Brecht

24.09.2016, Lesezeit 5 Min.
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Die dritte Staffel der Kultserie BoJack Horseman ist im Juli auf Netflix erschienen. Sie gilt als eine Satire der narzisstischen Welt von Hollywood. Aber in Wirklichkeit hat der junge Produzent Raphael Bob-Waksberg ein einmaliges Kunstwerk über Depressionen geschaffen – mit einigen Werkzeugen von Brecht.

„Warum sind manche Figuren Tiere?“ Das ist die erste Frage für jede*n Zuschauer*in dieser Serie. Denn der Namensgeber, BoJack Horseman, ist ein Hollywood-Star, der in den 90er Jahren durch eine belanglose Comedy-Serie zur Berühmtheit gelang. Und: Er ist ein Pferd.

Viele Figuren sind Tiere: BoJacks Agentin, Princess Caroline, ist eine pinke Katze. Sein Freund und Konkurrent, Mr. Peanut Butter, ist ein stets glücklicher gelber Labrador. Aber andere Figuren, z.B. BoJacks Mitbewohner Todd oder seine Ghostwriterin Diane, sind ganz normale Menschen. Das kommt eigentlich nie zur Sprache. Eine Katze und eine Maus in diesem Universum können problemlos auf ein Date gehen – sie scherzen kurz darüber, aber es stört auch niemand.

Also warum die ganzen Tiere? Ist das vielleicht eine Metapher für Nicht-Weiße Menschen in den USA? Oder stehen die Tiere für Promis, die eben anders seien als Normalos? Nein und nein. Denn ein Gecko kann auch als Fensterputzer arbeiten, während eine junge Frau zur erfolgreichen Popsängerin wird. Die Einteilung erscheint ziemlich beliebig.

Die Suche nach einem Sinn

Der Höhepunkt von seiner Karriere liegt fast zwei Jahrzehnte zurück und BoJack kämpft dagegen, vergessen zu werden. Er will einen ernsthaften Film über seinen Jugendhelden, das Rennpferd Secretariat, drehen. Als „Has Been“, als „Ex-Promi“, hat er noch reichlich Geld aber wenig Anerkennung. Nach einer schmerzhaften Kindheit mit anspruchsvollen aber distanzierten Eltern (beide ebenfalls Pferde) ist er geradezu süchtig danach.

BoJack will permanent von der Masse gefeiert werden, aber hat so viel Selbsthass, dass er keine Geduld für wirkliche Freundschaften mit anderen Personen aufbringen kann. Sein ständiger Drang nach Selbstzerstörung drückt sich deswegen meist in Misanthropie gegenüber seinen Mitmenschen (und -tieren) aus. Trotzdem braucht er die ständige Bestätigung, dass er ein guter Mensch sei, „zumindest im tiefsten Inneren“. Diane, die BoJack besonders gut kennt, nachdem sie seine Autobiographie verfasste, muss ihm erklären: „Ich glaube eher nicht an ein ‚tiefstes Inneres‘. Du bist einfach nur die Sachen, die du machst.“

BoJack braucht Liebe von anderen, ohne sich selbst und andere lieben zu können. Deswegen versucht er immer eine Flucht nach vorne: Für „Secretariat“ will er einen Oscar gewinnen und lässt sich von Partygästen feiern, von denen er keinen einzigen Namen kennt. Seine Freund*innen erinnern ihn daran, dass er sich nach der Oscar-Verleihung noch elender fühlen wird. „Du wirst dich umbringen wollen“ sagt Diane. „Und du wirst niemanden haben, der dich davon abhält!“ Doch BoJack ist durch die Party in einem manischen Rausch. Seine unbekannten Gäste skandieren seinen Namen und er wirft zurück: „Hör dir diese Sprechröhre an! Ich werde von vielen Menschen umgeben sein, wenn ich mich umbringe!“

Diese Unterhaltung trifft den Ton der Serie ganz gut, die nie vor kontroversen Themen zurückscheut: Asexualität, Abtreibung, schlimmster Drogenmissbrauch – es gibt sogar Witze über autoerotische Unfälle. Aber immer vor dem Hintergrund einer lähmenden Depression, die wir als Zuschauer*innen hautnah erleben – obwohl BoJack in der Öffentlichkeit stets munter wirkt.

Wie jeder Mensch mit Depressionen hofft BoJack nach einem ersehnten Moment, in dem alles „besser“ werden soll. Und nach jedem Erfolg erkennt er, dass das eine furchtbare Illusion ist. Dann muss er etwas abscheuliches tun, um sein Selbstbild zu bestätigen. Dafür schämt er sich und braucht wieder Anerkennung. Er bewegt sich in einem emotionalen Hamsterrad, immer mit Alkohol und Pillen, stets nah am Selbstmord. Er weiß, dass er „selbstsüchtig, narzisstisch und selbstzerstörerisch“ ist, und er kann sich nicht ändern. Und doch macht er weiter.

Am Ende ist die Serie zwar immer wieder so traurig, dass man heulen muss, aber irgendwie auch hoffnungsvoll – zumindest im „tiefsten inneren“.

Episch

Und so kommen wir zur ursprünglichen Frage zurück: Warum sind manche Figuren Tiere? Eine Erklärung gibt es bei Bertolt Brecht. Sein Verfremdungseffekt dient dazu, bei Zuschauer*innen jegliche Illusionen zu zerstören. Als Publikum sehen wir, wie das Bühnenbild umgebaut wird. Wir erinnern uns: Das ist nur ein Theaterstück. Das sind nur Schauspieler*innen auf einer Bühne.

Bei einer Serie wie BoJack Horseman könnte man sich leicht denken: BoJack ist einfach eine traurige Gestalt. (Gut, dass ich nicht so bin!) Aber die Zeichner*innen erinnern uns mit 25 Bildern pro Sekunde, dass BoJack kein echter Mensch ist. Er ist ja ein sprechendes Pferd. „Seine“ Probleme sind unsere Probleme.

Die Werbekampagne für den Film „Secretariat“ besteht aus einer einfachen Spiegelfläche. Es ist eine furchtbare Werbekampagne, die Fahrer*innen auf der Autobahn blendet. Aber diese Werbung könnte für BoJack Horseman selbst stehen: Wir bekommen ein Pferd präsentiert. Und doch sehen wir uns selbst.

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