Bleibt Nord Stream 1 zu?

11.07.2022, Lesezeit 5 Min.
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Symbolbild. Foto: noomcpk / Shutterstock

Die Lieferung von russischem Gas über die Pipeline Nord Stream 1 wird ab dieser Woche für 10 Tage unterbrochen. Die Bundesnetzagentur befürchtet, dass Russland auch nach Abschluss der Arbeiten weitere Lieferungen verweigern könnte. Gegen die drohenden Auswirkungen brauchen wir Preiskontrollen für Gas und Inflationsausgleich für Löhne und Sozialleistungen.

Aktuell wird Nord Stream 1 routinemäßig gewartet. Doch der russische Gaskonzern Gazprom könnte sich anschließend weigern, die Pipeline weiter zu befüllen. Schließlich wurde bereits seit einiger Zeit die Zufuhr gedrosselt. Was würde dieses Szenario im Kontext des Angriffskriegs auf die Ukraine und der allgemeinen Gasknappheit in Deutschland bedeuten?

Die Berichte über ein Ausbleiben der Lieferungen durch Russland stehen hierbei in einem größeren Kontext der ideologischen Mobilmachung gegen das russische Regime und seinen Krieg in der Ukraine. Die ukrainische Regierung legte bereits Protest dagegen ein, dass Kanada entgegen der beschlossenen Wirtschaftssanktionen die Auslieferung einer reparierten Gasturbine an Russland erlaubt. In Deutschland werden derweil die Debatten über die Verwaltung der Gasknappheit und mögliche Folgen für die Zivilbevölkerung immer schärfer geführt. Die Losung von „Frieren für die Freiheit”, propagiert durch den Bundespräsidenten, wird auf bedrohliche Weise real.

Die imperialistischen G7-Regierungen sich nur indirekt militärisch am Krieg in der Ukraine. Der Wirtschaftskrieg wird dagegen bereits seit Monaten offen geführt. Nur haben die Sanktionen offensichtlich nicht die gewünschten Folgen: Der Konflikt geht tödlich weiter und Russland zeigt keine Anzeichen des Rückzugs. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die weltweite Versorgung sind dagegen sehr real. Für Menschen in abhängigen Ländern ist die Eskalation des Konflikts zwischen dem Westen und Russland zunehmend eine Frage von Leben und Tod, da hier durch Blockaden und Sanktionen von beiden Seiten die globalen Lieferketten für Nahrungsmittel, allen voran Weizen, ins Stocken geraten und Preise in die Höhe treiben.

In der aktuellen Debatte um Nord Stream 1 und allgemein die Gaskrise ergeben sich zwei Szenarien, auf die es Antworten zu finden gilt: Einmal die Wiederaufnahme der Gaslieferungen durch Russland, welche die bisherige starke Steigerung der Gas- und Energiepreise aber nicht rückgängig machen kann. Und zum zweiten das Ausbleiben der Lieferungen und die geschätzte notwendige Reduzierung des Verbrauchs um 20 Prozent, beziehungsweise im schlimmsten Fall die Zuteilung von Gas durch die Bundesnetzagentur, jeweils begleitet von einem weiteren Ansteigen der Preise.

Schon jetzt ist die Lebens- und vor allem Wohnsituation vieler Menschen durch Preisanstiege bedroht. Eine Verschärfung dieser Zustände würde dazu führen, dass hunderttausende, gar Millionen ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können. Man bedenke hierbei die Situation von prekär Beschäftigten, Arbeitslosen oder Rentner:innen, welche weder von Einmalzahlungen noch von einer – bisher nicht geplanten – Inflationsangleichung von Löhnen, Renten oder Sozialhilfe langfristig genug Geld haben. Auch direktere Antworten auf die Gaskrise, wie die Unterbringung älterer und armer Menschen in beheizten Hallen, wirkt eher zynisch als vorausschauend. Schließlich würde bei einer Deckelung der Gaspreise und einer Priorisierung von Privatpersonen niemand in die Lage kommen, die eigene Wohnung nicht mehr beheizen zu können.

Um Antworten auf die kombinierte Krise von Krieg und Inflation zu finden, muss also weitergedacht werden. Warum dürfen privat geführte Energieunternehmen die Verkaufspreise für Verbraucher:innen festlegen und weiter Profite machen, während Menschen sich verschulden, frieren oder langfristig ihre Wohnungen verlieren, weil sie sich die Nebenkosten nicht mehr leisten können? Es braucht hier transparente Preis- und Produktionskontrollen durch Komitees von Verbraucher:innen und Gewerkschaften, sowie eine Umverteilung der Krisenprofite durch hohe Steuern auf Gewinne und große Vermögen.

Auch in der Frage der Rationierung von Gas und Energie dürfen die Folgen nicht auf dem Rücken von Arbeiter:innen ausgetragen werden, wie es auch schon in der Hochphase der Pandemie der Fall war. Die Antwort kann hier nicht die Einschränkung des Privatbereichs und des Lebensstandards liegen, während die Wirtschaft um jeden Preis am Laufen gehalten wird. Es muss die nicht-essentielle Produktion so weit heruntergefahren werden, dass genug Gas zur Verfügung steht. Wo das nicht möglich ist, muss der Stromverbrauch gesenkt und entsprechende Möglichkeiten zur Heizung per Strom bereitgestellt werden. All dies immer kombiniert mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien durch die massive Besteuerung der großen Vermögen und einer regelmäßigen Angleichung der Löhne an die Inflation. Da, wo diese Anpassung nicht freiwillig stattfindet, muss sie von den Gewerkschaften mit Streiks durchgesetzt werden. Eine tiefgreifende Antwort auf die Gaskrise kann jedoch nur ein Stop der Sanktionen und des Krieges geben.

Hinweis: Wir haben eine missverständliche Formulierung über die sozialen Auswirkungen eines Lieferstopps von russischem Gas nachträglich geändert.

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