Blasel geht in den Bundestag, aber wohin geht Fridays for Future?
Jakob Blasel, Ex-Bundessprecher der Fridays for Future (FFF) Bewegung, hat auf Twitter und in einem Interview mit der Zeit angekündigt, dass er bei den nächsten Bundestagswahlen für die Grünen kandidieren möchte. Kritik an diesem Vorhaben gibt es auch aus den eigenen Reihen. Aber warum ist es keine gute Idee, sich auf die Grünen zu verlassen? Und welche Strategie braucht die Basis von FFF, wenn sie nicht zwischen Karrierismus und Parlamentarismus aufgerieben werden möchte?
Grüne Schale, Schwarzer Kern
Es gibt ein Gefasel darüber, die Grünen seien eine progressive Kraft und würden die konsequenteste Klimapolitik vorschlagen. Wer treibt diese Ideen voran? Luisa Neubauer oder Jakob Blasel, die seit Jahren bei den Grünen engagiert sind. Doch die politische Realität sieht ganz anders aus. Um die opportunistische DNA dieser neoliberalen Partei zu erkennen, muss man keine zwanzig Jahre zurückgehen – kann man aber! Die erste militärische Intervention Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg in 1999 im Kosovo wurde in einer Rot-Grünen Regierung unter einem grünen Außenminister beschlossen und durchgeführt. Nachdem somit zuerst die Friedenstauben vom Himmel – bzw. aus dem Parteiprogramm – geschossen wurden, ließ eine Attacke auf die inländische Bevölkerung nicht lang auf sich warten. Denn auch die Durchsetzung der Agenda 2010, des härtesten Angriffs auf die Lebensqualität von Arbeiter*innen in Deutschland seit Jahrzehnten, welche von den Grünen mitgetragen wurde, spricht eigentlich schon für sich. Das ist ja aber auch – so könnte man argumentieren – schon lange her, und deshalb möglicherweise nicht aussagekräftig genug, wenn es um die Bewertung der Politik der Grünen in 2020 geht. Welche neueren Beispiele zeigen also, welche Politik die Grünen einer so dynamischen und jugendlichen Bewegung, wie Fridays for Future, anbieten können?
Man könnte beispielhaft die Position der Grünen zu einem der zentralen Bezugspunkte für die Ökologie- und Klimabewegung in Deutschland nennen: den Hambacher Forst. Während FFF, Ende Gelände und andere Bewegungsaktuer*innen mit der Parole „Hambi bleibt!“ seit Jahren eine klare Position zum Umgang mit dem Forst an den Tag legen, versuchen die Grünen zwar immer den Anschein zu erwecken, sie stünden vollends hinter dieser Forderung, haben jedoch tatsächlich 2016, als sie gemeinsam mit der SPD die Landesregierung von NRW bildeten, in einer Leitentscheidung verkündet: „Braunkohle ist im rheinischen Revier weiterhin erforderlich, dabei bleiben die Abbaugrenzen der Tagebaue Inden und Hambach unverändert“. Damit wurde ganz eindeutig „grünes“ Licht für die Rodung des Hambis gegeben, dessen Schicksal man in die Hände des Energiekonzerns RWE legte. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich ein ähnliches Bild momentan beim in Hessen liegenden Dannenröder Forst zeigt. Die schwarz-grüne Landesregierung legte in ihrem Koalitionsvertrag fest, die Autobahn A49 weiter auszubauen. Leider steht der geplanten Verlängerung der ca. 300 Jahre alte Wald im weg, der gerodet werden soll, um der A49 Platz zu machen. Auch wenn vor Kurzem ein Protestcamp im Wald aufgeschlagen wurde, ist es fraglich, ob die Räumung verhindert werden kann, wenn die schwarz-grünen Räumpanzer, Hubschrauber und Hundertschaften in den Wald geschickt werden, um gewaltsam Platz für eine karge Betonwüste zu machen.
Obwohl das nur zwei Beispiele von Dutzenden sind, die man hätte auswählen können – zu denken wäre z. B. noch an die Position des einzig grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, zum gar nicht so grünen Riesenprojekt Stuttgart21, oder an die Art und Weise, wie die Grünen in den Jamaika-Koalitionsverhandlungen nach der letzten Bundestagswahl ein Kernelement ihres Wahlprogramms nach dem anderen aufgegeben haben, um an die Macht zu kommen, – so zeigen sie doch den opportunistischen Einschlag der Grünen besonders dort, wo sie regieren können. Zentrale Prinzipien ihres Programms werden auch gegen den Willen ihrer eigenen Basis fallen gelassen, um eine Zusammenarbeit mit reaktionären Parteien wie der CDU – oder kapitalistischen Großunternehmen wie RWE – zu ermöglichen. Besonders zeigen sie jedoch auch, dass die Grünen schon lange keine Partei mehr sind, die sich den Kampf für eine neue und andere Welt auf die Fahnen schreibt, sondern die ihren politischen Platz im Herzen des Kapitalismus gefunden hat, den man vielleicht etwas grün lackieren, aber keines Falls hinter sich lassen kann.
Dieses Handeln, die der rechte (also der bestimmende) Flügel der Grünen seit Jahren als „Realpolitik“ verkaufen will, die gemacht werden müsse, da so Politik nun mal funktioniere, weist sich als nichts anderes aus als eine strategische und kalkulierte Positionierung der Partei, um in eine bessere Machtposition zu kommen. Man will gleichzeitig mithilfe eines pseudo-progressiven Images die Stimmen der Jugend und der umweltbewussten Teile der Bevölkerung sammeln und sich parallel den Kapitalist*innen und Konservativen anbiedern, um eine möglichst gute Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung nach der nächsten Bundestagswahl zu erlangen. Der Kurs steht schon lange auf Schwarz-Grün. Die Frage bleibt: Ist dieser Kurs, der auf eine Zusammenarbeit mit genau denjenigen Unternehmen, Parteien und Personen setzt, die seit Jahrzehnten für das Ausmaß der Situation mitverantwortlich sind, ein gutes Angebot an eine Bewegung, die seit Tag Eins die Forderung hochhält, dass man zur Bewältigung der Klimakrise neue und radikale Wege einschlagen müsse? Auch wenn die Kooptierung von FFF und insbesondere ihrer Bundesführung durch die Grünen schon fortgeschritten ist, gibt es einen nicht unerheblichen Teil an der Basis, für den eine Antwort nur in einer entschiedenen Ablehnung eines solchen Manövers, wie es Blasel vorschlägt, liegen kann, da es die Eingliederung und Unterordnung in den Apparat einer neoliberalen und keinesfalls progressiven Partei bedeuten würde.
Bei denjenigen Teilen der Bewegung, die die Einsicht erlangt haben, dass die Grünen (und ganz besonders Boris Palmer) nicht auf die Erde gesandt wurden, um den Planeten zu retten, überwiegt verständlicherweise der Frust darüber, trotz einer immensen Mobilisierung auf der Straße politisch wenig erreicht zu haben. Wie soll es jetzt weitergehen?
Für ein Programm der Jugend und der Arbeiter*innen
FFF befindet sich in einer Sackgasse. Während die Führungsriege entweder wie Blasel schon offen kapituliert oder sich immer weiter von der Basis entfremdet und in einer unabgesprochenen Aktion nach der anderen verrennt, wie es Luisa Neubauer durch Treffen mit Angela Merkel oder dem „Demokratiefestival“ bzw. der Farce „#12062020Olympia“ geschafft hat, wissen viele an der Basis nicht so recht, wie es weiter gehen soll. Dabei hat sich die Bewegung selbst in diese Lage manövriert. Ihrem Auftreten nach ist Fridays For Future immer als Bittstellerin an die Politik herangetreten. Solange protestieren, bis „die da oben“, deren Aufgabe es ja sei, Politik zu machen und auf die Menschen im Land zu hören, endlich einsehen, dass man mehr tun müsse, um gegen den Klimawandel vorzugehen. Das war die strategische Leitlinie der Bewegung für weite Teile ihres aktiven Auftretens. Jetzt ist der Punkt erreicht, in denen Teile der Bewegung selbst „nach oben“ gehen wollen und die endlosen Bitten im politischen Alltag verhallen. FFF ist nicht das erste Phänomen dieser Art, das dieses Schicksal ereilt, doch es muss nicht bei dieser Schockstarre bleiben.
Was die Bewegung lähmt, ist, dass sie sich nicht darüber im Klaren ist, wer ihre Verbündeten im Kampf für eine gerechte Zukunft sind. Die Grünen sind es nicht, Angela Merkel ist es nicht, und auch die „Entrepreneurs for Future“ haben weder die Fähigkeiten noch das Interesse daran, genügend politische Macht aufzubauen, um einen radikalen Wandel vollziehen zu können. Auf der anderen Seite stehen die Arbeiter*innen verschiedenster Sektoren, die aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess diejenigen sind, die die ökonomische und damit auch die politische Macht haben, für einen Wandel zu sorgen und die im Bündnis mit der Jugend und anderen unterdrückten Teilen der Gesellschaft eine echte Veränderung erwirken können. Die Arbeiter*innen haben ein objektives Interesse daran, die Ausbeutung ihrer selbst und des Planeten, also genau die beiden grundlegenden Mechanismen, die die Misere, auf die wir zusteuern, produzieren, mit all ihren Wurzeln hinwegzufegen. Deswegen muss FFF offensiv auf die Arbeiter*innen und die Gewerkschaften zugehen, um Bündnisse zu formen, die der geeinten Front von bürgerlichen Parteien und Konzernen, die Stirn bieten können, um die kapitalistische Hegemonie zu brechen.
Es wird nämlich nicht gelingen, die kommende Katastrophe abzuwenden, ohne sich gegen das System zu richten, welches sie hervorbringt. Denn auch eine CO2-Steuer oder das Verbot von Verbrennungsmotoren werden den Planeten nicht retten, solange die ökonomische Grundstruktur der Gesellschaft weiter auf der Ausbeutung von Mensch und Natur basiert, Profit- und Konkurrenzdenken politisches und ökonomisches Handeln anleiten und imperialistische Kriege um Ressourcen geführt werden. Das Ende dieser Mechanismen wird jedoch nicht als Geschenk der bürgerlichen Politik kommen, weswegen FFF den Modus des Bittstellers beenden muss, um Forderungen zu verkünden, die mit dem Kapitalismus brechen wollen. Der Ruf nach entschädigungslosen Enteignungen und Umstellung der Produktion unter Arbeiter*innenkontrolle in Schlüsselsektoren wie der Energiewirtschaft, sowie ein kostenloser ÖPNV für alle muss auf die Tagesordnung gesetzt werden. Um diesen Forderungen Druck zu verleihen, ist es jedoch unabdingbar, dass sich die Arbeiter*innen auf der Seite der Jugend befinden, um mit Streiks eine Welle des Protests nicht nur durch die Straßen, sondern auch durch die Betriebe rollen zu lassen.
Für die Rückeroberung von Bewegung und Gewerkschaft
Was die Jugend und die Arbeiter*innen eint, ist nicht nur das objektive Interesse nach einer (klima-) gerechten Zukunft, sondern auch die Entkoppelung ihrer Führungen von der Basis. Während bei FFF einzelne Personen und Ortsgruppen versuchen über die Köpfe der Bewegung hinweg politische Leitlinien auszugeben und eine Radikalisierung zu verhindern, werden die Gewerkschaften durch eine Bürokratie kontrolliert, die aktiv versucht, die Masse der Arbeiter*innen ruhig zu halten und auf ihren sozialpartnerschaftlichen Kurs einzuschwören.
Da die Führung von FFF zu großen Teilen selbst direkt mit den bürgerlichen Kräften verbunden ist, die die Erfüllung der Forderung nach einem grundlegenden Wandel in der Wirtschaft hemmt, muss sich die Basis von ihr abwenden, um ein eigenes Programm aufzustellen, welches antikapitalistische Forderungen aufstellt und die Arbeiter*innenklasse mit einbezieht. Ebenso kämpft die Gewerkschaftsbürokratie mehr um ihr eigenes Überleben als für das Wohl der Arbeiter*innen, die sie zu vertreten vorgibt, wofür die jüngsten Geschehnisse bei Voith nur ein Beispiel sind. Deswegen müssen die Jugend und Arbeiter*innen ihre Bewegungen und Organe zurückerobern, ihre Kämpfe verbinden und gegen die Kräfte vorgehen, die sie davon abhalten, die Welt zu verändern.
Wenn Fridays For Future also nicht zwischen dem Karrierismus leitender Persönlichkeiten und dem viel zu engen Korsett, in die der bürgerliche Parlamentarismus die Bewegung zwingt, aufgerieben werden möchte, dann muss der Appell für diejenigen Aktivist*innen, die unzufrieden über die aktuellen Entwicklungen sind, lauten, jetzt nicht dabei zu zusehen, wie manche FFF zu einem Wahlhelfer für die Grünen machen wollen, sondern sich starkzumachen für neue Bündnisse und radikalere Forderungen, die die liberale Zwangsjacke ein für alle Mal sprengen. Die bürgerlichen Figuren in und außerhalb von Fridays For Future werden behaupten, dass die Revolution fürs Klima, welche Hunderttausende Jugendliche auf der ganzen Welt losgetreten haben, mit einigen Prozentpunkten mehr für diese oder jene Partei mit einer ein paar Euro höheren CO2 Steuer oder mit einem Verbot von SUVs zu ihrem Ende gekommen sei. Doch sie kann erst abgeschlossen sein, wenn der Kapitalismus – die Ursache für die Klimakrise – mit all seinen Auswüchsen und Formen aus den Angeln gehoben wurde. Die zentrale Aufgabe ist es daher, die Revolution fürs Klima nicht zu einem Stillstand kommen zu lassen, sondern sie permanent zu machen, nicht bis diese Gesellschaft verbessert wurde, sondern bis eine komplett neue entstanden ist, die im Einklang von Mensch und Natur und frei von Ausbeutung und Unterdrückung existiert.