#BlackLivesMatter: Welche Strategie brauchen wir gegen die schmerzhaften Bilder?
Die Proteste, die gerade weltweit hunderttausende Menschen auf die Straße bringen, begannen mit einem Video. Das Video, das den brutalen Mord an George Floyd durch einen Polizeibeamten zeigt, ist nicht das erste dieser Art. Ähnliche Bilder waren auch Auslöser der Proteste der #BlackLivesMatter-Bewegung im Jahr 2014. In Deutschland löste die Veröffentlichungen von Bildern und Videos, die Polizeigewalt zeigen, oft Kritik aus. Aber ist sie berechtigt?
Foto: „jackyatesgeorgefloyd#16“
Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Videos für die meisten Menschen mit Rassismuserfahrung viel schmerzhafter anzuschauen sind als für andere. Dass auch Formen von Retraumatisierung damit einhergehen können, dessen sind wir uns bewusst. Es kann deswegen durchaus sinnvoll sein, solche Bilder mit “content warnings” auszustatten. Die systemischen Grundlagen dieser Erfahrungen verschwinden jedoch nicht, wenn wir die Realität nicht zeigen.
Was bedeutet es also diese Bilder dennoch publik zu machen?
George Floyd wurde umgebracht, weil er Schwarz war. Aber auch, weil er arm war. Festgenommen wurde er, weil er mit einem angeblich gefälschten Geldschein Essen kaufen wollte. Ein Verbrechen aus Armut, wie es auch von weißen Arbeiter*innen täglich begangen wird, auch wenn diese nicht mit ihrem Leben dafür bezahlen. Die Bilder dieser schrecklichen Gräueltaten der Polizei zu zeigen, bedeutet die Realität nicht zu verbergen. Es bedeutet, diese brutalen Übergriffe nicht in das Private zu verschieben.
Nach der Logik des Nicht-sichtbar-Machens von Bildern wären die Bilder von Floyd, die Katalysator für die Proteste waren, nie ans Licht gekommen. Diese Kritik geht davon aus, Rassismus könne abgebaut werden, indem bestimmte Bilder dekonstruiert werden, wie die Verbindung von Schwarzen und Gewalt. Doch die Polizei, die Inbegriff dieser Gewalt ist, muss konkret bloßgestellt werden. Die Logik dieser Kritik verbannt die Unterdrückten ins Private und lässt solche Angriffe unbeantwortet. Videos von rassistischer Gewalt zu veröffentlichen, bedeutet denjenigen Menschen, die Polizeigewalt erfahren, durch die Bereitstellung und Verbreitung von Beweismaterial zu helfen. Es bedeutet die Proteste, so wie sie jetzt bestehen, möglich zu machen.
Wer veröffentlicht die Bilder?
Doch die Veröffentlichung und damit die Skandalisierung darf nicht einfach den bürgerlichen Zeitungen überlassen werden. Es muss von Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten veröffentlicht werden, um unsere Analyse und Perspektive gegen die systematische Polizeigewalt aufzuwerfen und nicht einfach nur zu moralisieren, um den individuellen Polizisten für seine Tat, die Teil eines rassistischen Systems ist, seinem Schicksal zu überlassen. Wie wir leider viel zu gut wissen, werden Polizist*innen von ihren Kolleg*innen und der Justiz geschützt, die überwältigende Mehrheit an Anzeigen gegen Polizist*innen kommt nicht vors Gericht. Und wenn sie es in den Gerichtssaal schaffen, werden die meisten freigesprochen.
Im Gegensatz zu bürgerlichen Medien, die solche Bilder aus ihren Profitinteressen heraus veröffentlichen, wollen wir damit die fortschrittlichsten Teile der Gesellschaft bei ihren Kämpfen unterstützen. Sie schlagen dabei auch eine andere Strategie vor. Zum einen machen sie aus einem Ausschnitt der systematischen Polizeigewalt einen Einzelfall. Sie zeigen explizit nicht den systematischen Charakter auf. Zum anderen versuchen sie, die Proteste in „friedlich“ und „gewalttätig“ zu spalten. Unter dem Vorwand, man sei gegen Plünderungen, lehnen sie jeden militanten Protest ab und verteufeln ihn.
Doch die Gewalt beim militanten Protest ist nichts im Vergleich zur täglichen Polizeigewalt. Sie muss viel mehr als Selbstverteidigung betrachtet werden – als eine Antwort darauf, dass rassistisch Unterdrückte Tag für Tag verprügelt, festgenommen und ermordet werden. Reiner Pazifismus würde bedeuten, sich dem nicht in letzter Konsequenz entgegen zu stellen, sondern zu kapitulieren. Das Ziel dieser künstlichen Spaltung ist es, den pazifistischen Teil der Proteste in das System zu integrieren und vermeintlichen Antirassismus zu predigen, während die tägliche Polizeigewalt weiterhin existiert. Sie wollen eine „Zusammenarbeit der Klassen statt Klassenkampf, Verzicht auf revolutionäre Kampfmittel, Unterstützung der ‚eigenen‘ Regierung in einer für sie schwierigen Lage statt Ausnutzung dieser Schwierigkeiten für die Revolution.“ (W.I. Lenin: Sozialismus und Krieg)
Wir sind keine neutrale Zeitung, wir stehen auf der Seite der Proteste, der Kämpfe der Unterdrückten und der Arbeiter*innenklasse. Die Aufgabe dieser Zeitung ist es, unter anderem durch Skandalisierungen über Klassenkampf und Aufstände aufzuklären. Wir wollen mit diesen Bildern also zum einen informieren und zeigen, wie die Realität aussieht (insbesondere denjenigen, die sie nicht so erleben). Und zum anderen auch Kämpfe vorantreiben, für die eine breite Mobilisierung notwendig ist. Skandalisierung und die daraus folgende Mobilisierung von beispielsweise Polizeigewalt ist ohne Bilder nicht in dem Maße möglich, in dem wir gerade die #BlackLivesMatter-Bewegung sehen.
Teile und herrsche
In den USA schafft die Wirtschaftskrise, die prekäre Teile der Arbeiter*innenklasse – insbesondere Schwarze, Latinxs und andere Minderheiten – trifft, einen Nährboden für Massenproteste, wie wir sie zu erleben beginnen.
Auch in Deutschland, wo Millionen von Teilzeitjobs, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit betroffen sind, existiert eine solche Grundlage. Der deutsche Imperialismus schafft es jedoch momentan noch sehr gut, die Spaltungen in der Arbeiter*innenklasse aufrechtzuerhalten und zu vertiefen.
Hierfür hat der Staat seine Instrumente. Die bürgerlichen Medien verurteilen nicht nur die “Gewalttäter” bei Protesten (man denke an die Hetzkampagne gegen die Gegenproteste beim G-20 Gipfel in Hamburg), sondern spielen eine zentrale Rolle darin, Rassismus in der Gesellschaft zu verankern und zu fördern – man denke nur an den Springerverlag.
Doch nicht nur die Medien spielen diese Rolle. Der Staat schafft seit Jahrzehnten Orte sozialer Ausgrenzung der nicht-weißen Bevölkerung und isoliert migrantische Bevölkerungsteile, erschwert ihnen teilweise generationenlang einen unbefristeten Aufenthalt, die gleichen Bildungsschancen, Arbeitsrechte usw. Ein gleiches Leben zwischen Migrant*innen und “Einheimischen” würde die Grundlagen des deutschen Staates, der auf der Plünderung anderer Teile der Welt und der Unterdrückung migrantischer Arbeiter*innen hier basiert, in Frage stellen.
Eine Bremse hierfür sind die Bürokratien, die die Rolle des Staates in unseren eigenen Reihen übernehmen. NGOs, Stiftungen und andere soziale Bürokratien lenken soziale Bewegungen in eine harmlose Richtung, genauso wie politische Parteien wie Grüne, SPD und Linke, und versuchen die Unterdrückten mit dem Staat zu versöhnen. In den USA wird die Demokratische Partei nicht zu Unrecht der “Friedhof der sozialen Bewegungen” genannt.
Doch im Unterschied zu den Vereinigten Staaten existiert in Deutschland mit dem DGB der mächtigste Gewerkschaftsverband der Welt, mit mehreren Millionen Mitgliedern. Während ab und an antirassistische Lippenbekenntnisse geäußert werden, macht der DGB-Apparat keinen Finger krumm, um tatsächlich gegen Rassismus zu mobilisieren – und zu streiken.
Das ist kein Zufall, ist er doch gemeinsam mit SPD und Linkspartei die Säule der Sozialpartnerschaft. Millionen Arbeiter*innen folgen dieser Ideologie, die letzten Endes nur ihre eigenen Interessen denen des Kapitals unterordnet. Das zeigt sich ganz klar darin, dass die Polizei mit der GdP ihre eigene “Gewerkschaft” im DGB hat.
Doch genau diese Arbeiter*innen, die momentan noch in der Sozialpartnerschaft verhaftet sind, müssen wir erreichen, wenn wir einen effektiven Kampf gegen Rassismus führen wollen.
Wir brauchen ein Programm, dass die Einheit aller Arbeiter*innen und People of Color hochhält. In den USA protestieren nicht nur Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sondern auch Teile der weißen Arbeiter*innenklasse. Dieser Kampf muss mit einer gemeinsamen Perspektive verbunden werden.
Es gab schon erste Positivbeispiele, wie die Krankenhausarbeiter*innen, die sich BLM angeschlossen haben und sogar verhaftet wurden. Oder die Busfahrer*innen, die sich weigertenm der Polizei beim Abtransport von Gefangenen zu helfen. Die Gewerkschaft der Busfahrer*innen schrieb in einem kurzen Statement folgendes: „Die Busfahrer*innen transportieren die arbeitenden Familien von New York, sie arbeiten nicht für die Polizei.“ Damit haben sie ganz klar gezeigt, auf welcher Seite sie stehen.
Diese Beispiele zeigen, wie mächtig die Solidarität zwischen der Arbeiter*innenklasse und den BlackLivesMatter-Protesten sein kann. Wir wollen diese Perspektive ausweiten und schlagen deshalb einen politischen Generalstreik gegen Rassismus vor, um die Macht der Polizei zu brechen und Selbstverteidigungskomitees zu schaffen.
Wir dürfen auch nicht den Fehler machen, den Kampf als isolierten Kampf in den USA zu betrachten. Rassismus der USA geht nicht nur gegen eigene Bevölkerung, sondern ist durch die Schuldknechtschaften des IWF in beispielsweise Brasilien, Haiti, Argentinien oder zahlreichen anderen Ländern, aber auch Kriege wie zuletzt in Syrien, Iran oder den militärischen Machtspielen im Pazifik in der ganzen Welt tätig. Das Kapital ist international organisiert, um uns zum einen in den USA und zum anderen weltweit zu spalten. Um gegen diese international organisierte Macht zu kämpfen, müssen wir es uns auch, international organisieren.
Eine global vereinte multi-ethnische Arbeiter*innenklasse stellt für das Kapital die größte Gefahr dar. Um eine künstliche Trennung innerhalb der Arbeiter*innenklasse herzustellen muss die herrschende Klasse weiße Arbeiter*innen gegen Schwarze ausspielen, Migrantische gegen „Einheimische“.
Es ist nicht zu leugnen, dass nicht alle Arbeiter*innen gleichermaßen unterdrückt werden. Aber dennoch stehen sie alle in gleicher Beziehung zu den Produktionsmitteln, und zwar unabhängig von ihren individuellen Identitäten, wie Geschlecht, Herkunft, Sexualität oder Religion. Die Klasse stellt die reale Grundlage für die Einheit der multi-ethnischen Arbeiter*innenklasse dar.
Anfangs mag die Emotion, die solche Videos wie das der Ermordung von George Floyd auslösen, noch Schmerz sein. Aber wir wollen, dass der Schmerz in Wut umschlägt – Wut gegen die Polizei, die die Interessen der Kapitalist*innen schützt, und Wut gegen dieses ganze rassistische System. Und wir wollen, dass sich diese Wut in Organisierung verwandelt – in die Schaffung einer sozialen Kraft, die dieses System aus den Angeln heben und Ausbeutung und Unterdrückung tatsächlich beenden kann. Erst wenn die Macht der Polizei und der herrschenden Klasse gebrochen ist, können solche Bilder nicht mehr entstehen.