Black Lives Matter – Welche Strategie gegen den Polizeiterror?

06.08.2016, Lesezeit 10 Min.
Übersetzung:
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Sie werden dich töten - bewaffnet oder unbewaffnet. Sie werden dich töten, egal ob du tiefsitzende Hosen trägst oder nicht. Sie werden dich töten, egal ob du einen Job hast oder arbeitslos bist. Sie werden dich töten, egal ob du respektvoll bist oder frech antwortest. Sie werden dich töten, egal ob du trans, cis oder hetero bist. Sie werden dich mit einem vierjährigen Kind auf dem Rücksitz töten. Wenn die US-Geschichte eines zeigt, dann ist es, dass die Polizei schwarze Menschen tötet.



Die Wut auf die Morde an schwarzen Menschen ist international geworden, und mit ihr die Frage, wie man gegen Polizeiterror kämpfen kann. Wir sind schon auf der Strasse, demonstrieren, blockieren Highways und Brücken im Angesicht von Polizei und Politiker*innen. Demonstrieren ist entscheidend, aber was ist die Strategie? Was können wir gegenüber dieser Ungerechtigkeit tun? Die Lösung ist nicht, mehr schwarze Gesichter in Machtpositionen zu haben. Wir haben schwarze Bürgermeister*innen, Gouverneur*innen und einen schwarzen Präsidenten gewählt, und trotzdem haben sich anti-schwarzer Rassismus, die Brutalität des Staates und massenhafte Inhaftierungen in den letzten 30 Jahren nur verstärkt.

Aus Frustration haben einige schwarze Menschen zur Selbstbewaffnung gegen die Polizei aufgerufen. Schwarze Menschen haben ein Recht auf Selbstverteidigung gegen Polizeiterror und Fanatismus. Aber wie? Kein*e Einzelne*r kann das System da treffen, wo es wirklich zählt. Kein*e einzelne*r Schütz*in kann die Fortsetzung von Polizeigewalt beenden, oder auch nur unterbrechen.

Wenn ein*e Polizist*in entlassen wird, wachsen viele nach, um sie*ihn zu ersetzen. Fünf Polizisten wurden in Dallas getötet: auch sie werden ersetzt werden. Politiker*innen versuchten, die Tode der Polizisten in Dallas und Baton Rouge zur Zerschlagung und Einschüchterung der #BlackLivesMatter-Bewegung zu instrumentalisieren. Stattdessen erlebte die Bewegung eine erneute Welle des Widerstands. Aber die Frage bleibt: Wie stoppen wir diese rassistischen, mordenden Bullen?

Soziale Ungerechtigkeit und Klassenunterschiede im Kapitalismus verstärken Rassismus und erhalten ihn aufrecht. Dieser wird nie enden, wenn wir nicht seine strukturelle Grundlage angreifen. Wir müssen uns als Arbeiter*innen organisieren und zusammen gegen Kapitalist*innen, die Polizei und den Staat kämpfen. Das ist der einzige Weg, auf dem wir vorankommen.

Revolutionäre Sozialist*innen sind keine Pazifist*innen, aber Märtyrer*innentum und individuelle Rache haben keinen Platz in unserer Strategie. Individuelle bewaffnete Schwarze können die Community nicht gegen rassistische Polizeieinsätze verteidigen. Bewaffnete Organisationen alleine haben sich in der Vergangenheit für eine gewisse Zeit verteidigen können, aber sobald sie eine Gefahr für den amerikanischen Kapitalismus und seine Institutionen darstellen, wurden sie von staatlicher Repression zerstört.

Die Verteidigung der schwarzen Community

Die Beispiele der Black Panthers, der Black Liberation Army und anderer bewaffneter Organisationen in den 60ern und 70ern waren das Ergebnis der allgemeinen Frustration mit dem Pazifismus. Doch Waffen alleine konnten die Attacken der Polizei nicht aufhalten.

Die Panthers waren in der Lage, die neu geformten Sondereinsatzkommandos der LAPD während eines Angriffs auf ihr L.A. Hauptquartier 1969 abzuhalten. Das war durch eine mobilisierte Community möglich, die die Panthers unter anderem für ihre Projekte wie die kostenlosen Kliniken und das Free Breakfast Program verteidigte. Doch die Polizei und das FBI nutzten die Bewaffnung der Panthers als Vorwand für einen brutalen Angriff auf die Organisation und ihre Mitglieder. Die Panthers waren weder bezüglich ihrer Mitglieder, noch im Hinblick auf ihre Waffen, bereit, um in den bewaffneten Kampf gegen den Staat zu treten.

Die Polizei traf die Panthers gezielt und sprengte sie. Sie schwächte ihr revolutionäres Potential durch Beschuss und die volle Härte des Justizsystems: Strafverfolgungen, hohe Strafzahlungen und Kautionen, Komplott-Fälle vor Gericht, Isolationshaft. 
Wenn heute ein ähnliches Phänomen, angeführt von Schwarzen, Unterdrückten oder revolutionären Gruppen aufkäme, würde es gewaltvoll geschwächt werden, wenn es nicht aus Tausenden oder Millionen bestünde. Erst vor ein paar Wochen ließ die Polizei in Dallas unbeirrt eine Bombe detonieren und richtete Micah Johnson hin – ohne Gerichtsprozess, ohne im Gerichtssaal aufgeführte Beweise.

Die Organisierung der Community ist ein Weg zum Aufbau von Widerstand. Die Panthers sicherten sich den Support der Community durch Gesundheitsleistungen und Frühstücksprogramme für Kinder. Die Menschen zählten bei Konflikten innerhalb der schwarzen Community auf ihre Unterstützung, statt auf die Polizei.

Die Verteidigung der Community bedeutet Solidarität. Solidaritätsaktionen gegen Polizeimorde auf der Straße verwandeln sich in Proteste, die die Stadt lahmlegen können. Wir können und müssen auf die Straße gehen. Mit mehr Organisierung und Mobilisierung können wir gezielt Geschäftsbezirke und Highways blockieren. Trotzdem gibt es eine Kraft, die wir besitzen und auf die wir nicht verzichten können: die Kraft der Arbeiter*innenklasse.

Bürger*innengremien: Kann die Community die Polizei kontrollieren?

Die Perspektive der “Bürger*innenkontrolle über die Polizei” argumentiert, dass es zivile Beaufsichtigung der Einsatzkräfte geben soll. Einige Organisationen der Community und linke Gruppen benutzen diesen Slogan. Auch der Black Panther Bobby Seale propagierte ihn in der Vergangenheit. Er argumentierte, dass Gremien von Zivilist*innen, die über die Polizei bestimmen und anstellen und entlassen können, von der Polizei in jeder Stadt abgelehnt werden, wo man sie vorschlug. In der Los Angeles Police Commission kann die Community ihre Bedenken über die Polizei ausdrücken. Doch die Mitglieder werden vom Bürgermeister eingesetzt. Die Polizeikommission hat auch keine Macht, Polizist*innen der LAPD abzustrafen, einzustellen oder zu entlassen. Selbst in Fällen, wo die Kommission der LAPD widerspricht, hat sie keine Macht über sie. Die Polizei tötet weiterhin straffrei.

Angesichts dieser Farce haben andere Organisationen eine Polizeikommission aus Zivilist*innen vorgeschlagen. Aber wären diese Gremien ein Mechanismus, um als Community Kontrolle über die Polizei zu erlangen? Union del Barrio, eine mexikanische nationalistisch-revolutionäre und internationalistische Organisation aus Los Angeles hat kürzlich vorgeschlagen, ein solches Gremium in L.A. einzurichten, auch im Hinblick auf das bereits existierende Schulgremium von Los Angeles (LAUSD). Doch Bullen sind keine Lehrer*innen. Der Zweck ihres Berufes ist es, die kapitalistische Ordnung abzusichern und Widerstand zu unterdrücken.

Deshalb ist es eine falsche Einschätzung der Rolle der Polizei, der Community einige Mitentscheidungsrechte geben zu wollen. Wir wollen die Polizei abschaffen, statt nettere oder freundlichere Beamt*innen anzustellen. Wir haben keine bessere Repräsentation von Unterdrückten unter Bullen zum Ziel. Seit Jahrzehnten gibt es die Rekrutierung von armen Schwarzen und anderen nicht-weißen Jugendlichen: stark geförderte Marketingkampagnen und Rekrutierungen, die speziell auf junge Männer und Frauen of Colour, die gerade die Schule abgeschlossen haben, abzielen.

Auch eine regenbogenfarbige Polizeieinheit ändert nichts an der rassistischen Natur der Institution und ihrer Funktion. Die Polizei wird als Institution immer unterdrücken, unabhängig von der Hautfarbe und Herkunft des*der Polizist*in. Die LAPD ist die mit der höchsten Tötungsrate und besteht mehrheitlich aus Schwarzen und People of Colour. Ohne Einfluss auf die Exekutive als Ganze wird ein Kontrollgremium aus Bürger*innen, welches sich am Einstellungsprozess beteiligt, nur die “demokratische” Deckung für Polizei und Staat darstellen.

Organisierung als Klasse

Die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse sichert die kontinuierliche Konzentration und Akkumulation von Kapital und Macht auf Seiten der herrschenden Klasse. Dieses Geld und diese Macht sind sowohl gesichert durch als auch investiert in den Staat. Einerseits in seine Repressivkräfte (Polizei, Armee, etc.), andererseits in “sanftere” Institutionen, zum Beispiel Bildung und bürgerliche Medien. Wir gehen jeden Tag zur Arbeit und machen die Bosse reicher. So lange wir passiv bleiben, wird die Quelle der Polizei – und auch der Rassismus, den sie systematisch ausüben – nie austrocknen. Ohne Arbeiter*innen, die Reichtum produzieren, würden die Städte zum Erliegen kommen. Ohne Arbeit sind die Bosse nichts. Ohne Arbeit ist das Land nichts. Unsere sofortige Aufgabe ist es, uns als Klasse zu vereinen, um gegen die Verbrecher*innenbande der Bosse, die Polizei, zu kämpfen.

So sehr auch dieses System weißer Vorherrschaft schwarze Menschen hasst, so sehr wir auch darauf beharren und dafür kämpfen, dass schwarze Leben einen Wert haben in einer Gesellschaft, der sie egal sind, so können schwarze Menschen die Polizeigewalt doch nicht allein bekämpfen. Das kapitalistische System lebt von Spaltung. Es ist im Interesse der herrschenden Klasse und der weißen Rassist*innen, die systematische Unterdrückung von nicht-weißen Menschen aufrechtzuerhalten und dabei weiße Arbeiter*innen in die Verteidigung von reaktionärer und letztendlich arbeiter*innenfeindlicher Politik zu treiben, statt dass sie sich mit den Unterdrückten verbünden. Trump verkörpert dieses falsche Bewusstsein unter weißen Arbeiter*innen und treibt so die Spaltung der Arbeiter*innenklasse voran. Wir müssen uns gemeinsam organisieren und eine zusammenhängende, kämpfende Organisation bilden, die die Erfahrungen der Unterdrückten und der Arbeiter*innen verbindet. 

Eine Organisierung unter dem Banner “Streiken gegen Polizeiterror” hat das Potential, aktive Solidarität in Richtung eines effektiven Kampfes gegen die Polizei aufzubauen.

Gewerkschaften sollen für Arbeiter*innen und die Community eintreten. Wir müssen dafür kämpfen, dass unsere Gewerkschaften Position gegen rassistische Bullen beziehen. Das kann bedeuten, Arbeitsstillstände zu organisieren, wenn die Polizei eine*n von uns umbringt, aber auch Demonstrationen gegen Polizeigewalt und den Rauswurf von Polizist*innen aus den Organisationen der Arbeiter*innenklasse.

Die Organisationen der Arbeiter*innen müssen sich in einer Front gegen rassistische Polizeigewalt unter den Slogans “Keine Bullen in unseren Gewerkschaften” und “Streiken gegen Polizeigewalt” verbünden. Diese Losungen haben das Potential, aktive Solidarität in Richtung eines effektiven Zurückschlagens der Polizei aufzubauen. Wir sollten diese Vorschläge an unsere Arbeitsplätze, zu Gewerkschaftstreffen und anderen Organisationen der Arbeiter*innenklasse bringen. Die Kampagne “Strike Against Police Terror” (StrAPT), an der Left Voice teilnimmt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, gewerkschaftlich organisierte und nicht organisierte, unterbeschäftigte und arbeitslose Menschen aller Geschlechter, Ethnien und Behinderungen als Kraft im Streik gegen Polizeiterror zu organisieren und zu mobilisieren. Wir werden unsere Macht als Klasse und als Unterdrückte benutzen, um den Kapitalismus und seine bewaffnete Einheit, die Polizei, zu bekämpfen.

Der Friedhof der sozialen Bewegungen

Sowohl die demokratische, als auch die republikanische Partei haben über Folter, Morde und Masseninhaftierung von schwarzen Menschen gewaltet. Polizeivorsitzende, Bürgermeister*innen, Gouverneur*innen und Präsidenten: von ganz oben bis nach unten, alle erhalten sie das rassistische System aufrecht.

Am 19. Mai 2015, einen Monat nach dem Tod von Freddie Gray durch ein von der Polizei Baltimore verursachtes Halswirbeltrauma, hat Präsident Obama das “Blue Alert” Gesetz unterschrieben, welches die Polizei durch die Schaffung eines nationalen Systems von Bedrohungswarnung schützt. Am 28. Mai 2016 hat John Edwards, Gouverneur von Louisiana, den “Blue Lives Matter” Gesetzesentwurf unterschrieben, welcher die Polizei als “geschützte Gruppe” in Satzungen zu Hassverbrechen einstuft. Damit stellt Gouverneur Edwards die bewaffneten Truppen des Staates mit den unterdrücktesten Gruppen gleich, für deren Belästigung, Einsperrung und Ermordung Polizist*innen angestellt und ausgebildet sind.

Nach den Morden an Alton Sterling und Philando Castle, und nach der Schiesserei von Dallas haben der demokratische schwarze Kongressausschuss und Politiker*innen des Kongresses sich versammelt und eine “Debatte über Waffenkontrolle” gefordert. Es wurden keine Maßnahmen diskutiert, die die Ermordungen von schwarzen Menschen durch die Polizei behandeln. Es fand keine Sitzblockade für die Leben der über 130 schwarzen Männern, Frauen und Kindern statt, die allein dieses Jahr von Polizist*innen ermordet wurden. Diese Gesetze werden geschaffen, um die Sicherheit von Bullen zu garantieren, die uns kaltblütig ermorden.

Dieses Auftreten von Anführer*innen der Demokratischen Partei soll die Widerstandsbewegung dämpfen, die sich im ganzen Land ausbreitet. Jede politische Organisation, welche von Kapitalist*innen finanziert wird, wird auch von diesen kontrolliert. Wir müssen mit den Politiker*innen und den Parteien des Kapitals brechen.

Die Frage der Polizei ist keine moralische; die Polizei ist der bewaffnete Apparat des Staates, desselben Staates, der die Profite der Kapitalist*innen sichert und Elend für den Großteil der Arbeiter*innen bedeutet. Die Polizei ist eine Beschützerin dieses Systems. Dass Rassismus unter Polizist*innen grassiert und in die Institution der Polizei eingewoben ist, ist keine Frage. Die Macht über Einstellung und Kündigung einzelner Bullen ändert nichts an ihrer sozialen Rolle. So lange wie es Kapitalismus gibt, wird es Polizist*innen geben, die diesen verteidigen. Unterdrückte Communities werden die Polizei so lange nicht kontrollieren, wie sie nicht abschafft wird. Also bis der Kapitalismus seinen Todesschlag erlebt und es keine Notwendigkeit für Einsatzkräfte mehr gibt, die die Reichen beschützen und die Unterdrückten in Schach halten.

Wir müssen uns als Klasse organisieren und verbünden, um die rassistische Polizeigewalt zu beenden. Denn die Auflösung der Polizei wird nur durch die Abschaffung des Klassensystems und seiner ungleichen sozialen Verhältnisse möglich, für deren Aufrechterhaltung die Polizei geschaffen wurde.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf LeftVoice.

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