BKA verhöhnt Hanau-Opfer: Rassismus kein „Hauptmotiv“
Im Februar dieses Jahres ermordete Tobias R. zehn Menschen im hessischen Hanau. Bevor er sich und seine Mutter erschoss, suchte der Täter am Abend des 19. Februar zwei belebte Shishabars auf, um eine möglichst große Anzahl an Menschen zu erschießen, die seiner Meinung nach nicht nach Deutschland gehörten. Das Bundeskriminalamt (BKA) arbeitet derzeit an einem Abschlussbericht zu diesem Anschlag, in dem laut einem Rechercheverbund aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung die rassistische Gesinnung des Täters verneint wird.
Der Täter hat demnach seine Opfer lediglich mit dem Ziel ausgewählt, möglichst viel Aufmerksamkeit für die Verschwörungstheorien um eine Art mystischen Geheimdienst zu generieren, die laut BKA das Denken des Täters hauptsächlich prägten.
Dies ist ein Schlag ins Gesicht der Ermordeten, ihrer Familien und der zahlreichen antirassistischen Initiativen, die sich im Nachgang zu dem Anschlag von Hanau gebildet haben!
1. Die Rolle des BKA
„Auf dem rechten Auge blind“ ist das Urteil, mit dem Dieter Schenk sein 2001 erschienenes Buch über die Entstehungsgeschichte des BKA betitelt. Schenk selbst war neun Jahre lang als Kriminaldirektor für das BKA tätig und versucht mit diesem Buch gegen die Auffassung anzukämpfen, dass das BKA vom Wesen her unpolitisch und nicht durch die Verbrechen des Nationalsozialistischen Regimes belastet sei.
Der Klassencharakter des BKA wird jedoch nicht nur aus der Entstehungsgeschichte der Behörde, sondern auch aus den Tätigkeiten der jüngeren Vergangenheit ersichtlich. Im Jahr 2012 kam heraus, dass 90% der Eintragungen des BKA in der Statistik über „Politisch motivierte Gewalt“ von linken Aktivist*innen rechtswidrig erfolgten. Das BKA musste über 3500 Personendatensätze löschen und der damalige Bundesbeauftragte für Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) sprach von einem „gravierenden Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften“. Im Jahr 2017 fertigte das BKA im Vorfeld des G20-Gipfels „schwarze Listen“ von kritischen Journalist*innen an, denen daraufhin kurzfristig die Akkreditierung und somit die Möglichkeit zur Berichterstattung über den Gipfel und die parallel dazu stattfindenden Proteste in Hamburg entzogen wurde. Auch dies geschah ohne Rechtsgrundlage. Im Rahmen einer Aufklärungskampagne der betroffenen Journalist*innen kam im Jahr 2019 ans Licht, dass die Zahl der durch das BKA rechtswidrig gespeicherten Datensätze sich nach Ansicht von Datenschutzexpert*innen im Millionenbereich bewegt!
Während also die Datensammelwut und die Kriminalisierung linker Aktivist*innen und kritischer Journalist*innen nicht einmal vor gesetzlichen Vorgaben Halt macht, hat die Verharmlosung rassistischer Gewalt und rechtsextremer Terroranschläge in deutschen Behörden Methode – und in diesem Kontext gilt es den Abschlussbericht des BKA zu den Morden von Hanau zu bewerten!
2. Analyse des Abschlussberichts zum Anschlag von Hanau
Die Analyse des BKA kommt zu dem schon auf den ersten Blick wenig überzeugenden Fazit, dass der Täter durch seine Morde zwar eine rassistische Tat verübt habe, er jedoch kein Anhänger einer rechtsextremistischen Ideologie gewesen sei. Diese Unterscheidung lässt tief blicken, auf das beim BKA vorherrschende falsche Verständnis von Rassismus sowie die mittlerweile fast schon traditionelle Handhabung deutscher Ermittlungsbehörden, bei rassistischen Taten möglichst angestrengt wegzuschauen.
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, wie dieses Ermittlungsergebnis zustande gekommen ist. Das BKA bezieht sich auf die Auswertung der technischen Geräte des Täters, wonach unter den 100 Videodateien, die auf dem Computer und dem Handy des Täters sichergestellt werden konnten, kein „tatrelevantes“ Material zu finden wäre. Außerdem soll es laut BKA keine Hinweise darauf geben, dass sich der Täter in der Vergangenheit mit rechtsextremer Ideologie befasst habe. Das ist selbst ohne Einblick in die Ermittlungsakten des BKA schlichtweg als nicht zutreffend zu bezeichnen! Der Täter veröffentlichte im Vorfeld der Tat ein Video mit dem Titel „Ansprache an alle Amerikaner“ und sprach auf Englisch über eine Reihe von Verschwörungstheorien, deren Ursprung und Verbreitung auf rechtsextreme Imageboards wie 4chan und die QAnon-Bewegung zurückgeht. Neben dieser Verbindung steht auch die Tatsache, dass der Täter auf seiner Website auf verschiedene Personen und Institutionen der US-amerikanischen Rechten verweist. Die inhaltlichen Verbindungen, Querverweise und die ideologische Nähe des Attentäters von Hanau zu online agierenden US-amerikanischen Rechtsextremen wurde selbst in der US-amerikanischen Presse diskutiert! Das BKA ist also entweder nicht in der Lage oder nicht willens, selbst den offensichtlichsten Hinweisen nachzugehen und stellt die Falschbehauptung auf, dass der Täter von Hanau sich vor der Tat nicht mit rechtsextremen Ideologien befasst habe!
Außerdem bezieht sich das BKA auf das vom Täter vor der Tat veröffentlichte Pamphlet, welches neben der ausführlichen Herleitung seiner Überwachungsphantasien noch längere, zutiefst rassistische Passagen enthält. Die Analyse des BKA stellt diesbezüglich fest, dass diese Passagen des Pamphlets erst kurz vor der Tat hinzugefügt wurden. Tatsächlich hat der Täter eine ursprüngliche Version des Textes bereits im November 2019 an den Generalbundesanwalt verschickt und darum gebeten, Ermittlungen wegen der angeblichen geheimdienstlichen Überwachung der ganzen Welt einzuleiten. Dieses Schreiben soll laut BKA nahezu wortgleich mit dem späteren Manifest sein, jedoch noch keine rassistischen Äußerungen enthalten.
Das endgültige Schreiben des Täters strotzt nur so von zutiefst rassistischen Ansichten. Es beginnt mit einer Adressierung des „gesamten deutschen Volkes“ welches im weiteren Verlauf des Textes als „eigene[s] Volk, als Land, aus dem das Beste und Schönste entsteht was diese Welt zu bieten hat“ [sic!] bezeichnet wird. Der Täter hält die „Existenz gewisser Volksgruppen an sich für einen grundsätzlichen Fehler“ und spricht davon, dass er die „Totalvernichtung“ der Bevölkerung des Iraks und Afghanistans bereits seit 1999 für legitim hält. Die Frage, die sich aus antirassistischer Sicht hier stellt: Wie kann es sein, dass eine „nahezu wortgleiche“, aber nicht rassistische Vorabversion dieses Textes existieren kann? Ebenso relevant: Selbst wenn dies zuträfe, können aus ermittlungsperspektivischer Sicht rassistische Aussagen aus der Gegenwart nicht gegen frühere Aussagen ausgespielt werden, in denen diese noch nicht enthalten waren. Diese Umkehr trägt lediglich dazu bei, die rassistischen Aussagen zu relativieren und in einen falschen Schluss von „sie kamen als letztes, also messen wir ihnen auch keine Bedeutung zu“ zu setzen. Das ist reiner Hohn, in Anbetracht von neun getöteten Menschen, die ausgewählt wurden, weil sie nicht in das weiß-deutsche Ideal des Täters passten!
Zudem ist sich das BKA nicht zu schade darauf hinzuweisen, dass der Täter auch Bekanntschaft zu migrantischen und gar schwarzen Menschen pflegte. Das ist Verleumdung rassistischer Denk- und Handlungsmuster, sowie eine Verschleierung eben dieser. Nach dem Rassismusverständnis des BKA kann man also gezielt migrantische Schutzräume aufsuchen und dort neun Menschen erschießen oder ausschweifend darüber schreiben, welche Volksgruppen ausgelöscht werden sollten; solange man nur seinen Schwarzen Nachbarn wie einen Menschen behandelt, kann man schlichtweg kein Anhänger einer rechtsextremen Ideologie mehr sein!
Ein weiteres bekanntes Muster der Leugnung rassistischer Handlungen ist die Trennung zwischen der Intention und dem Ergebnis einer Handlung. Das geht oftmals mit der Rechtfertigung „aber so habe ich das doch gar nicht gemeint“ einher und dürfte als solches Muster jeder Person, die von Rassismus betroffen ist, bereits begegnet sein. Das BKA geht durch die bereits eingangs erwähnte Trennung zwischen der rassistischen Tat und dem nicht von Rassismus geleiteten Täter sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter und maßt sich an, die wahren Intentionen des Täters erkannt zu haben. Trotz neun rassistischer Morde und einem nur so von Rassismus strotzenden „Manifest“ ging es dem Täter eigentlich nur um seine Verschwörungstheorien.
3. Was gilt es zu lernen aus dem Abschlussbericht des BKA?
Diese Umdeutung der Ideologie des Täters erfüllt viele Funktionen. Die mediale Aufmerksamkeit wird weggelenkt vom gesellschaftlichen Rassismus, betrachtet werden müssen stattdessen verwirrte Einzeltäter mit ihren hanebüchenen Verschwörungstheorien. Aus den neun Todesopfern eines rassistischen Terroranschlags durch einen rassistischen Täter werden Kollateralschäden einer PR-Aktion für die Bekanntmachung der kruden Theorien des Täters.
Rechtsextrem kann in Deutschland weiterhin nur sein, wer eine Festplatte voller Nazi-Musik besitzt oder Hakenkreuztattoos hat oder strategisch organisiert an einem politischen Umbruch arbeitet. Der unauffällige Bankkaufmann von nebenan? Kann keinesfalls an rechtsextreme Ideologien glauben! Wo es keine rechtsextremen Täter gibt, existiert natürlich auch kein Grund für staatliche Institutionen wie das BKA und die Justiz, die Überwachung und Strafverfolgung von rechtsextremen Strukturen zu intensivieren.
Wo nur verwirrte Einzeltäter existieren, gibt es keinen Grund darüber zu diskutieren, woher diese Täter die Ideen für ihre Anschlagsziele nehmen. Die militante, deutschlandweite Drangsalierung migrantischer Community Räume wie Shishabars oder Barbershops durch staatliche Institutionen sowie die Verknüpfung dieser Orte mit medialen Kampfbegriffen wie Clankriminalität? Im Kontext rechter Terroranschläge natürlich nicht weiter relevant!
Gegen diese Funktionalitäten gilt es sich zu positionieren! Es braucht eine unabhängige Untersuchungskommission, beauftragt mit der Aufklärung und der Kontextualisierung des rechten Terrors und seiner Netzwerke! Für die Opfer und Hinterbliebenen rechter Gewalt braucht es unbürokratische Hilfeleistungen anstelle von weiterer Kriminalisierung und Ausgrenzung.
Der Verfassungsschutz, jahrelang geleitet von rechtsextremen Ideologen wie Hans Georg Maaßen und beteiligt an der NSU-Mordserie und dem Attentat vom Breitscheidplatz, muss aufgelöst werden! Die skandalöse Verschlusshaltung der NSU-Akten für 120 Jahre muss endlich rückgängig gemacht werden, um den Einfluss und die Reichweite der staatlichen Mitwisser und Helfer der NSU-Täter offenzulegen!
Addendum: Diese Stellungnahme des BKA-Präsidenten lässt sich als Versuch einordnen, die negative Berichterstattung der letzten Tage einzudämmen. Inhaltlich wird die Recherche der Süddeutschen Zeitung nicht dementiert. Der BKA-Präsident hält lediglich fest, dass der Bericht, auf den das Recherchekollektiv sich bezieht, derzeit noch nicht existiert. Die Unterscheidung des BKA in eine rechtsextreme Tat ohne einen rechtsextremen Täter wird hingegen explizit nicht dementiert!