Bildungsstreik am 17. November 2011
Auch in diesem Jahr wird ein bundesweiter Bildungsstreik am 17. November stattfinden. Während dieser Artikel verfasst wird, laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Doch viele SchülerInnen, Studierende und Auszubildende können mit dieser Bewegung noch immer nichts anfangen. Den Einen ist nicht ganz klar, weshalb sie streiken sollten, den Anderen nicht, was sie denn erreichen könnten. So verliefen zwar die letzten Bildungsstreiks mit weitaus höheren TeilnehmerInnenzahlen als anfangs erwartet, jedoch wurden die gestellten Forderungen kaum umgesetzt. An dieser Stelle wollen wir uns deshalb mit den Problemen im Bildungssektor und dem Potential des Bildungsstreiks inmitten der globalen Krise des Kapitalismus auseinandersetzen. In den weiterführenden Artikeln werden wir Lehren aus den vergangenen Bildungsstreik-Erfahrungen ziehen.
Der Bildungsstreik 2011 kann alles andere als ein alljährliches Ritual werden. In der Weltwirtschaftskrise stehen von England über Griechenland bis Chile die Bildungsforderungen der Jugend inmitten heftigster, sozialer Kämpfe. Wurden in England die Studiengebühren verdreifacht, erleiden die chilenischen Studierenden die Bildungsprivatisierungen der ehemaligen Pinochet-Diktatur. Die Privatisierungen der Bologna-Reformen drohen hierzulande das Selbe an.
Doch nicht nur die Übel, sondern auch die Antworten darauf, können hierzulande ähnlich ausfallen. Die gemeinsamen Kämpfe der lohnabhängigen Bevölkerung und der studierenden Jugend in vielen Teilen der Welt zeigen das Potential des bevorstehenden Bildungsstreiks. Mit hunderttausenden ErstsemesterInnen, die durch Turboabi und Abschaffung der Wehrpflicht an die überlasteten Universitäten strömen, können die kommenden Bildungsproteste eine Intensität erlangen, die bis in die Reihen der ArbeiterInnenklasse ausstrahlt. So könnte der Bildungsstreik der kapitalistischen Krise eine radikale Antwort von unten bieten.
Doch die Brücke zwischen dem Bildungssektor und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem wird vielen SchülerInnen und Studierenden erst langsam ersichtlich.
Die Verwertungsinteressen des Kapitals durchziehen alle Teile der Gesellschaft und damit auch das Bildungssystem.
Im Kindesalter lernen SchülerInnen die Bedeutung von individuellem, egozentrischem Handeln, indem sie in der Grundschule Leistungsdruck ausgesetzt werden. Schon hier werden sie diszipliniert, dass jedeR, der/die diesem Druck nicht standhält, eine schlechte Schulausbildung samt entsprechender Zukunft erhält. Dieser Druck manifestiert sich in der ersten großen Selektion. Das Sortieren in Hauptschule, Realschule (bzw. Oberschule) und Gymnasium spiegelt die Klassenspaltung der Gesellschaft wider. ArbeiterInnenkindern und besonders Kindern mit Migrationshintergrund bleibt der Weg zum Gymnasium meistens verwehrt. Kinder der obersten Schichten können sich hingegen mit Hilfe der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern sogar fern des Gymnasiums eine bessere Bildung auf Privatschulen „kaufen“.
Unabhängig lernt allerdings keine dieser Gruppen. Auch fern der Privatschulen findet das Kapital Wege, seine Verwertungsinteressen in die Lehrpläne einzuarbeiten. So der weltweit fünftgrößte Baukonzern Hochtief, der allein in Deutschland unter der Zauberformel Public Private Partnership über 50 Schulen seine Interessen diktiert.[1]
Die Universitäten stehen im Schatten der Bologna-Reformen. Die Auswirkungen dieser kapital-freundlichen Marktöffnungen des Bildungswesens verschärfen sich zunehmend. Während vermeintlich unproduktive Studienfächer gestrichen werden, entwickelt sich Fachidioten-Bildung im Schnelldurchlauf. Auch die Uni-Beschäftigten erleiden Einschnitte. Während Mensa, Reinigung und co. ausgelagert werden, verschlechtern sich ebenfalls die Arbeitsbedingungen der nicht-professoralen Lehrkörperschaft. Dies wirkt sich auf die Lernbedingungen der Studierenden aus.[2]
Auch an den Unis zeigt sich die Klassenspaltung der Gesellschaft. Dass in zwei Bundesländern (Baden-Württemberg und Bayern) immer noch Studiengebühren verlangt werden, stellt mit anderen Zulassungsbeschränkungen ein weiteres Werkzeug der sozialen Selektion da. Nach Jahrzehnten neoliberaler „Reformen“ ist die Bildungsexpansion der Nachkriegs-BRD tot. Die Universitäten sollen zunehmend elitäre Institutionen werden.
Die vergangenen Bildungsproteste erlebten, dass die Probleme der SchülerInnen und Studierenden über den Bildungssektor hinaus reichen. Jedoch herrscht noch immer der Eindruck, als wäre zwischen Arbeitenden und Lernenden keine Solidarität möglich und nötig. Studierende und GymnasiastInnen werden im Rest der arbeitenden Bevölkerung mitunter als elitäre und verwöhnte Schicht betrachtet. Andersrum werden Arbeitende oftmals zu bornierten, politisch passiven Objekten degradiert. Jedoch sollte klar sein, dass die Bedingungen der SchülerInnen und Studierenden nie isoliert, sondern immer als Teil des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems betrachtet werden müssen. Die Forderungen nach besseren Bildungsbedingungen sind eng an die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen geknüpft.
Durch ein reformistisches, zurückhaltendes Programm konnte die Bildungsstreikbewegung in der Vergangenheit zwar hohe TeilnehmerInnenzahlen, jedoch keine wirklichen Veränderung erreichen. Statt klaren Strukturen und dem Mehrheitsprinzip, erlahmte das Konsensprinzip die Bewegung. Es führte anstatt zu geschlossener Aktion zu endlosen, ermüdenden Diskussionen um kosmetische Änderungen in den Lehrplänen.
Inmitten der weltweiten Krise des Kapitalismus muss eine klar revolutionäre Perspektive aufgezeigt werden, die die Studierenden und SchülerInnen nicht vom Rest der Gesellschaft isoliert. Jede Zurückhaltung oder reformistische Illusion beinhaltet heute nicht nur die Gefahr, dass „sich halt nichts ändert“, sondern die Bedrohung zunehmend radikaler Einschnitte in die Bildungs- und Lebensstandards der Jugend und der lohnabhängigen Bevölkerung. Deswegen, kann der Bildungsstreik nur in Verbindung mit der lohnabhängigen Bevölkerung und einem revolutionären, sozialistischen Programm erfolgreich sein.
Fußnoten
[1] Holland-Letz, Matthias: Privatisierungsreport-10: Wie die Finanzkrise die Privatisierung des Bildungswesens vorantreibt. http://www.gew.de/Binaries/Binary59535/GEW-Priva-10_web.pdf.
[2] Die (Un-)Bildung des Bologna-Plans. In: Der Bildungsstreik.