Bewusstsein
Debattenbeitrag anlässlich der Konferenz "15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?" | von Benny
Der Kapitalismus ist in einer Krise, mal wieder. Arbeiter*innen sind dieser Willkür ausgesetzt und müssen große Reallohnverluste und gar Kündigungen hinnehmen, mal wieder. Gewerkschaftssekretärinnen verlangen Kapitalismuskritik und allen voran den Klassenkampf für einen Kompromiss mit den durch die Krise „geschundenen“ Kapitalist*innen hintenanzustellen, mal wieder:
„Das sind die normalen Mechanismen der Marktwirtschaft. […] Es mag ja sein, dass die einem nicht gefallen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten, sondern für effektives Handeln in der Realität.“ ~Yasmin Fahimi, DGB-Chefin
Wir erleben ein Déjà-vu. Keine schlagkräftigen linken Bewegungen und keine schlagkräftigen Gewerkschaften. Dabei sollte all das in unserem *bewussten* Interesse sein. Spätestens nachdem es so vorhersehbar ist. Was ist der Grund für die fehlende Mobilisierung dagegen und inwiefern auch der „Revolutionäre Bruch“ (zumindest in seiner Erklärung) nicht ausreichend der Lösung entspricht, mache ich in erster Linie anhand von zwei Phänomenen aus.
Fehlendes Klassenbewusstsein
Obwohl die Arbeiterklasse in Deutschland nach wie vor unter dem Joch der Klassenherrschaft des Kapitals steht, inklusive all seiner negativen Auswirkungen, ist das Bewusstsein als gemeinsames und potenziell revolutionäres Kollektiv auf einem historischen Tiefstand. Eine essenzielle Erklärung dafür ist die vorherrschende und immer weiter durchdringende kapitalistische Ideologie.
In Bezug auf das Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse trägt die herrschende Ideologie dazu bei, dass die Arbeiter*innen ihre wirtschaftliche Lage als individuelles Problem betrachten und nicht als Ergebnis von Klassenungleichheiten und Überausbeutungen. Beispiele dafür sind die etablierten „Erklärungsversuche“ von Armut als persönliches Fehlverhalten oder mangelnde Eigenverantwortung zu reduzieren.
Das Resultat: die Arbeiter*innen sind zu sehr mit vergeblicher Selbstoptimierung, sowie destruktiven und spaltenden Konkurrenzkampf gegen andere Mitglieder der eigenen Klassen beschäftigt, dessen einziger Nutzen schlussendlich nur die Erhöhung der Gewinnmarge des Kapitals ist.Der von der Trickle-Down-Ideologie postulierte gesamtgesellschaftliche Wohlstand, fällt nur in den seltensten Fällen tatsächlich gesamtgesellschaftlich ab.
Utopismus und Selbstherrlichkeit der radikalen Linken
Als wäre es durch die vorherrschende kapitalistische Ideologie nicht schwer genug, notwendige und auch revolutionäre Akzente in der Gesellschaft zu setzen, so steht sich die radikale Linke leider sehr oft im Weg. Selbst wenn sich eine revolutionäre Organisation konstituiert, gibt es große Defizite in der allgemeinen Bildung und Aufklärung. Es wird oft der Fokus auf die (durchaus notwendige) theoretische Weiterbildung der bereits für sich gewonnen Mitglieder gelegt, während überhaupt keine Ambitionen bestehen, die vorherrschende Ideologie außerhalb der Organisation zu beeinflussen.
Die revolutionäre Linke verfällt in Nostalgie und Utopismus, schwärmt von den Erfolgen der UdSSR, trägt sowjetische Grabenkämpfe in Deutschland im Hier und Jetzt aus, spricht von Träumen einer befreiten Gesellschaft, als wäre der Weg dorthin nur zweitrangig. Wenn dann mal eine Perspektive für die Gegenwart entwickelt wird, erschöpft sie sich bereits im „Aufbau einer Avantgard-Partei“, unter der die meisten radikalen Linken selbst nur sehr vage und abstrakte Vorstellungen haben und einen Grund für die Selbstherrlichkeit als „intellektuelle Elite der Klasse“ sehen. Völlig erstaunt ist man dann, wenn sich die Menschen nicht in der Rolle als geistloses Nutzvieh einer kommunistischen Spitze wiederfinden wollen, trotz gleicher Ziele.
Ich mache RevBruch nicht diesen Vorwurf, dafür steht die Konstituierung einer revolutionären Organisation noch in weiter Ferne. Jedoch fehlt neben den vielen durchaus wertvollen Selbstreflexionen aus den Zeiten in Linke/Solid und den (für linke Gruppen typischerweise) noblen Zielen, oftmals die Antwort auf das „wie“ und spezifisch wie man die Mehrheit für diese Kämpfe begeistern will.
Fazit
Selbst wenn es alles sehr düster aussieht, so gibt es doch noch Lichtblicke. Auch wenn die Initiative “Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gegenwärtig von den Regierungsparteien in Berlin verschleppt wird und ihr Ausgang ungewiss ist, so lässt sich an ihr abzeichnen, dass man für soziale Anliegen auch im Deutschland des 21. Jahrhunderts, breite gesellschaftliche Spektren, von radikalen Linken bis zum sturen CDU-Wähler, viele Menschen für soziale Ideen begeistern kann. Plötzlich waren Begriffe wie „Gentrifizierung“, „Enteignung“ und „Ausbeutung“ nicht mehr nur fremdartige Vokabeln aus linken Diskussionsveranstaltungen, sondern Begriffe, unter denen sich der Otto Normalbürger tatsächlich etwas vorstellen konnte und in seiner Rolle als Subjekt der gesellschaftlichen Entwicklung bewusst wurde.(Augenmerk auf die 59% Zustimmung für den Volksentscheid)
Das sind Erfolge auf denen aufgebaut werden muss und ich hoffe, dass wenn der notwendige revolutionäre Bruch von der Linkspartei stattfindet und in einer neuen revolutionären Organisation mündet, das Bildungsprogramm und die gesellschaftliche Beeinflussung einen hohen Stellenwert hat und in Zukunft weitere gesellschaftsfähige Projekte dieser Art aufgezogen werden können.
Debatten über einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid
Zur Vorbereitung der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ am 14./15. Januar 2023 wurden von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen Debattenbeiträge geschrieben. Hier geht es zu allen Beiträgen.