Betriebsratsgründung – was kann man besser machen?

07.10.2024, Lesezeit 35 Min.
1
Autokonvoi der IG Metall. Foto: penofoto / Shutterstock.com

In diesem Gastbeitrag schildert ein Kollege seine Erfahrungen beim Versuch der Gründung eines Betriebsrates in einem mittelgroßen Betrieb in einer mittelgroßen Stadt.

Wir haben versucht, einen Betriebsrat zu gründen. Das ist am Widerstand der Geschäftsführung gescheitert. Trotzdem haben wir Erfolge erzielt. Es gibt keinen Grund, es nicht zu versuchen.

Es ist ein Montag im Oktober. Um 11:34 Uhr fährt ein Auto auf den Firmenparkplatz. Ein Mann mit einer Aktentasche unter dem Arm steigt aus. Er betritt das Firmengebäude, stellt sich mit Visitenkarte als Gewerkschaftssekretär vor und verlangt den Geschäftsführer zu sprechen. Kurz darauf heftet ein Angestellter des Unternehmens zwei DIN-A4-Blätter an eine Magnettafel im Flur des Personaleingangs. Auf dem ersten steht in fetten Buchstaben „An alle Beschäftigten des Unternehmens“. Gleichzeitig drückt ein anderer Mitarbeiter auf den Sendeknopf einer E-Mail. Diese E-Mail hat als Verteiler alle Beschäftigten des Betriebs und den Betreff  „Einladung zur 1. Wahlversammlung zur Wahl eines Betriebsrats“.

Minuten vergehen. Es passiert – nichts. Nach einer Viertelstunde ploppt bei einem Initiator eine Nachricht auf: „Schön, dass Ihr den Worten Taten folgen lasst!“

Die Unternehmensführung wird diesen „Vorfall im Oktober“ später als „schwarzen Schwan“ betiteln. In der Börsensprache ist ein schwarzer Schwan ein unvorhersehbares Ereignis mit Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Viele Mitarbeiter werden es kämpferisch und liebevoll „Oktoberrevolution“ nennen.

In deutschen Unternehmen gibt es keine Demokratie, stattdessen herrscht das Weisungs- und Direktionsrecht. In §106 der Gewerbeordnung heißt es:

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.

Umgangssprachlich heißt das: Der Chef hat immer Recht. Um diesen gravierenden Machtvorteil der „Arbeitgeber“ gegenüber den „Arbeitnehmern“ etwas abzumildern, hat der Gesetzgeber das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) erlassen, das eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Form von Betriebsräten vorschreibt. In §1 steht:

In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt.

Zu Betriebsräten kann man bei Wikipedia nachlesen:

Ein Betriebsrat ist eine institutionalisierte Arbeitnehmervertretung in Betrieben, Unternehmen und Konzernen. Fachsprachlich bezeichnet das Wort das betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsorgan […]. In Deutschland und Österreich ist der Betriebsrat ein Organ zur Mitbestimmung und Vertretung der Arbeitnehmerinteressen, der auch an betrieblichen Entscheidungen mitwirkt.

Der Betriebsrat besteht aus „Arbeitnehmern“ des Unternehmens, die von der Belegschaft gewählt und gesetzlich verpflichtet sind, die Interessen der Belegschaft zu vertreten. Betriebsvereinbarungen, die auf Initiative des Betriebsrates zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung geschlossen werden, stehen über dem Weisungs- und Direktionsrecht der Unternehmer, wie oben zu sehen, und schränken dieses ein. Aus der Sicht der „Arbeitnehmer“ ist ein Betriebsrat also von Vorteil.

Aus der Sicht der Unternehmer bedeutet ein Betriebsrat jedoch, dass sie nicht mehr tun und lassen können, was sie wollen, sondern dass sie in bestimmten Fragen den Betriebsrat einbeziehen müssen, d.h. dass sie unter Umständen ihre Mitarbeiter in ihre Entscheidungen einbeziehen müssen. Viele Unternehmer wehren sich deshalb gegen Betriebsräte. Dürfen sie das überhaupt? In §1 BetrVG heißt es doch „[es] werden Betriebsräte gewählt“ und nicht „können gewählt werden“. In §119 steht sogar, dass die Behinderung der Betriebsratswahl eine Straftat ist, die mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet wird. Warum haben nicht alle Betriebe einen Betriebsrat?

Der zweite Teil der Frage, warum nicht alle Unternehmen einen Betriebsrat haben, ist schnell beantwortet. Ein Betriebsrat entsteht nicht automatisch. Er ist ein demokratisches Organ und muss gewählt werden. Die Wahl wird von einem Wahlvorstand organisiert. In Betrieben, die noch keinen Betriebsrat haben, muss der Wahlvorstand von der Belegschaft in einer Betriebsversammlung gewählt werden. Zu dieser Betriebsversammlung müssen mindestens drei „Arbeitnehmer“ oder die im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen, §17 Abs. 3 BetrVG.

Der erste Teil der Frage, ob sich die „Arbeitgeber“ gegen einen Betriebsrat wehren und ihn verhindern können, lässt sich nicht so schnell beantworten und soll im Folgenden geklärt werden. Sie dürfen es definitiv nicht. Es ist sogar eine Straftat. Zwischen Recht und Demokratie auf der einen und der kapitalistischen Realität auf der anderen Seite liegen – wie so oft – Welten. Zum besseren Verständnis wollen wir mit euch unsere persönlichen Erfahrungen zur Initiierung eines Betriebsrates teilen.

Was waren die Auslöser für die Initiierung?

Etwa neun Monate vor der Einladung fand eine Leitungssitzung statt, an der auch einer der späteren Initiatoren des Betriebsrats als Abteilungsleiter teilnahm. In Folge von Corona hat unser Unternehmen mobiles Arbeiten eingeführt. Unser Geschäftsführer aber hält seine Mitarbeiter für faul und glaubt, dass sie zu Hause viel weniger arbeiten als im Büro. Das hat er in dieser Leitungssitzung deutlich gesagt. Obwohl die Zahlen diese Annahme widerlegen, wollte er deshalb mit seinen Bereichs- und Abteilungsleitern darüber sprechen, wie man die Mitarbeiter wieder ins Büro bekäme. Das Problem war jedoch, dass mehrere Neueinstellungen anstanden und nicht genügend Büroarbeitsplätze vorhanden waren. Mobiles Arbeiten war notwendig, um für die neuen Mitarbeiter ausreichend Büroarbeitsplätze über geteilte Arbeitsplätze, sogenannte Shared Desks, zur Verfügung zu haben. Es sollte eine Lösung gefunden werden, um das mobile Arbeiten auf ein Minimum zu reduzieren, was jedoch den Interessen der Mitarbeiter zuwiderläuft, die die Vorteile zu schätzen wissen. Die Einschränkung scheiterte zunächst an der Persönlichkeit eines Bereichsleiters, der gleichzeitig Prokurist und Mitgesellschafter ist. Dieser wollte die mobile Arbeit mit der Begründung einschränken, dass dadurch Abstimmungen ineffizient würden. Er stellte dann einen Antrag mit Argumenten, die jeglicher Logik entbehrten. Auf diese fehlende Logik angesprochen, verhielt er sich bockig wie ein kleines Kind, was dazu führte, dass das Thema vertagt wurde. Es war aber klar, dass es irgendwann gegen die Interessen der Mitarbeiter zu einer deutlichen Einschränkung des mobilen Arbeitens kommen würde.

Fünf Monate vor der Einladung fand eine Konferenz statt, an der alle Softwareentwickler und erstmals auch die Tester des Unternehmens teilnehmen durften. Im Vorfeld der Konferenz verschickte die Personalleiterin eine E-Mail an alle Kollegen des Bereichs für die Produktentwicklung, in der sie mitteilte, dass die Reisezeit als Freizeit gelte, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder als Mitfahrer im PKW erfolge und man während der Reise nicht arbeite. Das könnte zur Folge haben, dass man bei Dienstreisen, die länger als acht Stunden dauern, sogar auf Minusstunden kommt. Einer der künftigen Initiatoren war bereits Gewerkschaftsmitglied und holte sich eine kostenlose Rechtsberatung bei der Gewerkschaft ein. Dabei wurde auf zwei Gerichtsentscheidungen vom Europäischen Gerichtshof und vom Bundesarbeitsgericht verwiesen, so dass die Reisezeit aus dienstlichem Anlass als Arbeitszeit und nicht als Freizeit einzustufen ist. Als die Personalleiterin per E-Mail mit dem Geschäftsführer im Verteiler darauf hingewiesen wurde, antwortete sie: „Zum Hintergrund: Wir haben uns dagegen entschieden, dass Reisezeit auch immer 100 % Arbeitszeit ist, da einige Kollegen sehr viel unterwegs sind und dann ebenfalls Probleme mit Überstunden/Pausenzeiten/Höchstarbeitsdauer eintreten könnten.“ Das Unternehmen verstößt also vorsätzlich gegen das Arbeitszeitgesetz, was letztlich auch etwas mit dem Gesundheitsschutz zu tun hat. Als der Kollege den Geschäftsführer persönlich ansprach, sah dieser die Konferenz als eine Art Spaßveranstaltung für die Mitarbeiter. Wir sollten dankbar sein, dass er die Kosten übernehme. Der Kollege machte dem Geschäftsführer klar, dass seine Mitarbeiter zu Konferenzen fahren, um das Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten und nicht zum privaten Vergnügen.

Auf der Konferenz bemerkten viele unserer Kollegen den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wir entwickeln Software agil nach dem Vorgehensmodell Scrum. In der Theorie arbeitet das Team selbstorganisiert. Niemand schreibt ihnen vor, wie sie etwas umzusetzen haben. Die Umsetzung der Aufgaben erfolgt in festen zeitlichen Zyklen, den Sprints. Am Ende eines jeden Zyklus wird in der Sprint-Retrospektive der Prozess bewertet und verbessert. Ziel ist es also, immer besser zu werden. Den Kollegen ist bewusst geworden, dass sie Scrum nur spielen. Sie sind in Wirklichkeit in sehr geringem Maße selbstorganisiert. Sie haben weiterhin Abteilungs- und Bereichsleiter, die ihre fachlichen, organisatorischen und disziplinarischen Vorgesetzten sind. Selbst bei der Umsetzung, die ihre Domäne ist, mischen sich die Vorgesetzten ein. Verbesserungsvorschläge aus der Sprint-Retrospektive werden nicht ursächlich, sondern meist nur symptomatisch umgesetzt, nicht selten mit Nebenwirkungen, die dann wiederum auch nur symptomatisch angegangen werden mit neuen Nebenwirkungen. Sie stoßen mit Scrum an die Grenzen der Eigentumsverhältnisse sowie des Weisungs- und Direktionsrechts.

All dies und weitere Vorkommnisse führten zu Unzufriedenheit. Drei Kollegen kamen nach Gesprächen mit mehreren Kollegen aus verschiedenen Abteilungen und Bereichen zu dem Schluss, dass das Unternehmen dringend einen Betriebsrat brauche. Der Kollege, der bereits Gewerkschaftsmitglied war, empfahl den beiden anderen, ebenfalls der Gewerkschaft beizutreten, damit jeder von ihnen Rechtsschutz hätte, falls es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen sollte, und weil unsere Gewerkschaft uns dann bei der Gründung unterstützen würde. Aus heutiger Sicht schätzen wir ein, dass man ohne gewerkschaftliche Unterstützung noch weniger Chancen hat.

Wir haben mit der Gewerkschaft Kontakt aufgenommen. Sie war bereit, uns bei der Gründung eines Betriebsrats zu unterstützen. Sie empfahl uns, weitere Unterstützer und Kandidaten für den Betriebsrat zu finden. Wir sollten schon mehr potenzielle Betriebsratsmitglieder haben, als für unsere Betriebsgröße möglich sind. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Betriebsrat von arbeitnehmerfreundlichen Mitgliedern dominiert wird. Die Unternehmensleitung versucht sehr oft, Mitarbeiter in den Betriebsrat zu bekommen, die ihre Interessen vertreten. Wir haben erstaunlich schnell die „notwendige“ Anzahl von Kandidaten gefunden. Alle sind auch Gewerkschaftsmitglieder geworden.

Im Sommer erhöhte der Geschäftsführer dann die Gehälter aller Mitarbeiter um 4,5 Prozent. Das lag zwar unter der Inflationsrate, war aber natürlich besser als nichts. Wir befürchteten, dass diese Gehaltserhöhung bei den Kollegen die Einsicht in die Notwendigkeit eines Betriebsrates schmälern würde. Wir haben mit einigen Kollegen gesprochen. Sie freuten sich natürlich über die Gehaltserhöhung, fanden sie aber angesichts der realen Inflation zu gering. Also beschlossen wir, weiter an der Gründung eines Betriebsrats zu arbeiten.

Gegenwind

Eine halbe Stunde nach der Einladung trifft eine erste kritische E-Mail eines Niederlassungsleiters ein. Er unterstellt uns Formfehler und moniert, dass wir nicht vorher offen über unsere Absichten mit allen geredet haben. Da wir zu diesem Moment noch glaubten, dass er grundsätzlich für den Betriebsrat sei und lediglich sachliche Fragen hätte, riefen wir ihn sofort zurück. Es sollte sich später herausstellen, dass er Teil der Mannschaft war, die mit allen Mitteln versuchte, den Betriebsrat zu verhindern. Von ihm werden in den nächsten zwei Tagen mehrere E-Mails mit Fragen zu Formalien, Unterstellungen zu Formfehlern und Vorwürfen zur Art des Vorgehens kommen. Aus heutiger Sicht gehen wir davon aus, dass es Teil der Strategie war, uns Initiatoren unter Druck zu setzen und zur Aufgabe zu drängen, da nur wir die Betriebsratsgründung stoppen konnten. Später erfuhren wir, dass der Geschäftsführer einen Experten zur Verhinderung von Betriebsräten angeheuert und einfliegen lassen hat. Unsere Personalleiterin versuchte uns mit Unwahrheiten über die Kosten eines Betriebsrates, die unser Unternehmen ruinieren würden, Angst zu machen. Dank Internet-Recherche konnten wir ihre Falschbehauptungen sehr schnell als solche entlarven.

Sechs Stunden nach der Einladung erscheint der Geschäftsführer im Büro zweier Initiatoren und macht seinem Unmut lautstark Luft. Er behauptet, er habe das Unternehmen aufgebaut und wir würden es zerstören. Natürlich zerstören weder wir noch der Betriebsrat das Unternehmen. Wenn er das Unternehmen aufgebaut hat, wofür hat er dann seit Jahren seine Mitarbeiter? Welche Rolle haben sie gespielt? Welche Rolle spielen sie heute und in Zukunft? Wer hat den Mehrwert geschaffen, weshalb die Kunden unser Produkt kaufen? Wer hat die Arbeit geleistet? „Da reden mir irgendwelche Leute rein!“, bricht es aus ihm heraus. Erstens: Nein, das sind nicht irgendwelche Leute, das sind deine Mitarbeiter, und zweitens: Ja, das ist die Idee der Demokratie, dass niemand allein und absolutistisch herrscht. In den etwa zehn Minuten, in denen wir versuchen, mit dem Geschäftsführer sachlich zu diskutieren, zeigt sich, dass er weder von seinen Mitarbeitern noch von unseren Rechten, noch von Demokratie viel hält.

Zwei Tage nach der Einladung erhalten alle Mitarbeiter eine E-Mail des Geschäftsführers, der hier seine Autorität und das Abhängigkeitsverhältnis seiner Mitarbeiter ausnutzt und zuckersüß behauptet, seine Mitarbeiter seien das Wichtigste für ihn. Er habe das Unternehmen gemeinsam mit seinen Mitarbeitern aufgebaut. Der Kontrast zu seinen wütenden Worten von vor zwei Tagen könnte kaum größer sein. Er stellt sich auf die Seite der Mitarbeiter und macht Front gegen die Initiatoren. Ohne sachliche Argumente, sondern rein emotional wettert der Geschäftsführer gegen den Betriebsrat. Er behauptet, wir bräuchten keinen und schlägt stattdessen eine Mitarbeitermitbestimmung in Form einer Satzung vor, ein Klassiker zur Verhinderung von Betriebsräten, wie man selbst bei Wikipedia lesen kann:

Zahlreiche Unternehmensleitungen versuchen eine Betriebsratsgründung zu verhindern, indem sie großzügig und freiwillig Alternativen anbieten.

Diese Alternativen haben natürlich keine rechtlichen Befugnisse und ihre Mitglieder keinen rechtlichen Schutz, wie dies bei echten Betriebsräten der Fall ist. Allein die Geschäftsführung entscheidet, welche Maßnahmen sie tatsächlich umsetzt und kann letztlich das Konstrukt der Mitbestimmung jederzeit wieder abschaffen. Sollte es zu einem Rechtsstreit kommen, müssten die Mitarbeiter in Vorkasse gehen und blieben eventuell auf den Kosten sitzen. Bei einem Betriebsrat ist das durch das Betriebsverfassungsgesetz eindeutig geregelt: Die Kosten trägt das Unternehmen, unabhängig davon, wie der Rechtsstreit ausgeht. Diese betriebsratsverhindernden Alternativen sind also zahnlose Tiger.

In seiner E-Mail behauptet der Geschäftsführer, ein Betriebsrat würde das Betriebsklima zerstören und der Prozess der Betriebsratsgründung sei undemokratisch, nur sein Vorschlag sei wirklich demokratisch. Er fordert die Initiatoren ultimativ, aber rechtlich wenig angreifbar in Form einer „Bitte“ auf, sich bis 20:00 Uhr persönlich bei ihm zu melden und den Betriebsratsprozess zu stoppen.

Die Initiatoren lassen sich davon nicht beeindrucken und machen in einer Antwort deutlich, dass sie nicht aufgeben werden. Sachlich gehen sie auf einen Teil der Behauptungen ein, eben auch auf die Schwächen der von ihm angebotenen „Mitarbeitermitbestimmung“.

An dieser Stelle ist es notwendig, in relativ kurzer Zeit eine sehr weitreichende Entscheidung zu treffen. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht einen Betriebsrat vor. Für die Gründung bedarf es eben nur drei Initiatoren. Es lässt nicht die Möglichkeit abzustimmen, ob die Mehrheit der Belegschaft überhaupt einen Betriebsrat möchte. In der Belegschaftsversammlung, zu der die Initiatoren eingeladen haben, wird lediglich der Wahlvorstand gewählt. Dieser wird mit der einfachen Mehrheit der Anwesenden gewählt. Kommt diese Mehrheit nicht zustande, wird der Wahlvorstand vom Arbeitsgericht bestimmt. Dazu muss jedoch von drei Mitarbeitern oder der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft ein entsprechender Antrag gestellt werden, §17 Abs.4 BetrVG.

Die Frage ist nun also, ob wir die Abstimmung über den Wahlvorstand gleichzeitig zur Abstimmung über den Betriebsrat an sich machen oder im Falle der Ablehnung über das Arbeitsgericht gehen, wie es der Gesetzgeber vorsieht. Dazu fragten wir uns, welche Kraft ein Betriebsrat in Verhandlungen mit der Geschäftsführung hätte, wenn er nicht die Mehrheit der Kollegen vertrete und die Geschäftsführung auch genau das wüsste. Weiterhin besteht das Risiko, wenn der Betriebsrat von der Mehrheit abgelehnt wird, dass die Kandidaten der Geschäftsführung größere Chancen haben gewählt zu werden als die aus dem Kreise der Initiatoren, die wirklich die Mitarbeiter vertreten wollen. Damit würden wir unseren Kollegen einen Bärendienst erweisen.

Aus diesen beiden Gründen haben wir uns entschieden, den Kollegen die Möglichkeit zu geben, ihr Votum für den Betriebsrat durch die Annahme oder Ablehnung des Wahlvorstandes zum Ausdruck zu bringen. Dieses Votum würden wir als demokratischen Mehrheitswillen akzeptieren.

Mit dieser öffentlichen Entscheidung gegen einen möglicherweise vom Arbeitsgericht eingesetzten Wahlvorstand änderte sich die Strategie der Geschäftsleitung. Von nun an stand die Belegschaft im Mittelpunkt der Maßnahmen zur Verhinderung des Betriebsrates.

Die Vorgesetzten führen fortan Einzelgespräche mit ihren Mitarbeitern. Darin werden sie gefragt, wie sie selbst zum Betriebsrat stünden und wer für den Betriebsrat sei. Die Vorgesetzten geben vor, sie würden ihre Mitarbeiter über den Betriebsrat informieren, in Wirklichkeit aber machen sie ihnen mit falschen Behauptungen Angst. Sie schaffen ein Klima der Angst und Denunziation und bauen eine Front gegen den Betriebsrat und die Initiatoren auf. Dabei nehmen sie billigend in Kauf, dass das Betriebsklima zerstört und die Arbeitsproduktivität sinken würde, was dann auch tatsächlich eintrat.

Einige wenige Beschäftigte beginnen, sich in emotionalen E-Mails an alle offen gegen den Betriebsrat auszusprechen. Die Betriebsratsgegner können offen auftreten. Sie haben von ihren Vorgesetzten nichts zu befürchten, hoffen vielleicht sogar auf Wohlwollen. Die Befürworter können sich diesen Luxus nicht leisten. Sie müssen mit erheblichen Nachteilen rechnen, was sich später auch bestätigen wird. Ein mutiger Kollege, der keinen Hehl aus seiner positiven Einstellung zum Betriebsrat macht, wird später unter fadenscheinigen Gründen abgemahnt. Also bleiben die Befürworter leise, während die Gegner laut sind. In manchen Abteilungen geraten Beschäftigte schon unter Druck, wenn sie sich neutral verhalten und nicht gegen den Betriebsrat auftreten. Nur zwei Vorgesetzte verhalten sich in dieser Zeit aufrichtig und korrekt, indem sie sich nicht an der Hexenjagd beteiligen.

Eine Initiatorin wird unter dem psychischen Druck krank und vom Arzt arbeitsunfähig geschrieben. Dies wird von der Leitungsebene als mögliche Schwachstelle erkannt. Ihr direkter Vorgesetzter ruft sie während ihrer Krankheit mehrmals an und besucht sie sogar am Wochenende. Er nutzt ihr Leiden schamlos, ja geradezu kriminell aus und setzt sie weiter unter Druck. Mit dem Versprechen, dass es ihr dann wieder besser ginge, drängt er sie, eine E-Mail an alle Kollegen zu schicken, in der sie sich vom Vorgehen der Initiatoren distanziert und den Prozess der Betriebsratsgründung nicht mehr unterstützt. Eine Stunde nach dem Versand dieser E-Mail geht es ihr schlechter als je zuvor.

Zehn aufreibende Tage nach der Einladung findet schließlich die Betriebsversammlung für die Wahl des Wahlvorstandes im „zweistufigen vereinfachten Wahlverfahren“ statt. Im Vorfeld erfahren die zwei verbliebenen Initiatoren und die nach wie vor zu ihrem Schutz geheimgehaltenen Unterstützer und Kandidaten, dass die Gegner auf der Betriebsversammlung „richtig Stimmung machen“ würden. So kommt es dann auch. Die erste Wahlversammlung gleicht mehr einer Inquisition als einer Betriebsversammlung. Sie gleicht einer Inszenierung, deren Akteure vorher gecoacht wurden. Die immer gleichen Personen stellen zum Teil mit Zetteln in der Hand kritische bis provokante Fragen mit unwahren Unterstellungen. Während die Initiatoren und die beiden Gewerkschaftsvertreterinnen ruhig und sachlich auch unsinnige Fragen beantworten, wird von der Gegenseite mit Zwischenrufen wie „jetzt mal Butter bei die Fische“, „jetzt mal eine kurze Antwort“, „ich will nur ein Ja oder Nein hören“ Stress, Druck und negative Stimmung verbreitet. Auch wenn sich die Gewerkschaftsvertreterinnen und Initiatoren davon nicht beirren lassen, ist die psychologische Absicht erkennbar: Der Wahlprozess, die Initiatoren und die Institution Betriebsrat werden emotional derart negativ aufgeladen, dass sich wenige trauen sollen, für den Betriebsrat zu stimmen oder sich gar laut dazu zu bekennen. Gleichzeitig sollen sich die Teilnehmer so unwohl fühlen, dass sie unbewusst nur noch rauswollen. Sie sollen den Drang verspüren, das Ganze so schnell wie möglich zu beenden. Ein schnelles Ende kann nur dadurch erreicht werden, dass gegen den Wahlvorstand gestimmt wird. 

Bei der Wahl des Versammlungsleiters wird die Versammlung komplett von den Gegnern gekapert. Noch bevor einer der Initiatoren die Gewerkschaftssekretärin vorschlagen kann, schlägt ein Niederlassungsleiter, der bisher noch nicht in Erscheinung getreten ist und somit noch kein Vertrauen verspielt hat, den Niederlassungsleiter vor, der uns im Vorfeld unter Druck zu setzen versucht hatte. Sein Vorschlag wird mit der notwendigen Neutralität begründet, die den Initiatoren und den Gewerkschaftsvertreterinnen implizit abgesprochen wird. Die Initiatoren stellen ihren Gegenantrag, der jedoch in der Abstimmung nicht angenommen wird. Hinter dieser Taktik steht zum einen der psychologische Effekt, dass die meisten Menschen zum Sieger gehören wollen. Die Unentschlossenen sollen sich unbewusst gegen die Initiatoren und damit gegen den Betriebsrat entscheiden. Zum anderen hätte der Versammlungsleiter dann auch die Möglichkeit gehabt, bewusst Formfehler zu machen, die dem Geschäftsführer die Möglichkeit zur Anfechtung geben. 

Nach all dem Druck durch das Management, der Spaltung der Belegschaft, irreführenden und falschen Behauptungen sowie der emotionalen Aufladung während der vergangenen 10 Tage und innerhalb der Wahlveranstaltung ist es letztlich nicht verwunderlich, dass sich mehr als zwei Drittel der Anwesenden gegen den Betriebsrat entschieden.

Was kann man daraus lernen?

Wir gingen davon aus, dass wir bei den Kollegen offene Türen einrennen würden. Wir wussten, was ein Betriebsrat ist und welche Vorteile er für die Belegschaft hat. Aber unsere Kollegen hatten sich nicht wie wir monatelang mit dem Thema beschäftigt. In der Schule lernt man nichts darüber. Die meisten kennen das Thema nur aus den Medien. Die bürgerlichen Medien berichten sehr selten über Betriebsräte, und wenn, dann nur aus der Sicht der Unternehmen, also negativ. Ein grundlegender Denkfehler ist, dass Betriebsräte bei den Beschäftigten positiv besetzt sind.

Auf Widerstand des Managements haben wir uns im Vorfeld natürlich eingestellt. Unterschätzt haben wir, dass sich auch einige Kollegen – aus eigener Überzeugung, aus Unwissenheit oder durch das Management instrumentalisiert – gegen die Initiative wenden werden. Viele meinen, es brauche keinen Betriebsrat, wenn es ihnen persönlich gut ginge. Manchen fehlt eine Vision, was sich verbessern kann. Manche haben einen blinden Fleck gegenüber der Geschäftsführung, wenn diese sich kumpelhaft gibt. Desweiteren unterschätzt haben wir, dass sich sowohl das Lower Management als auch die Personalabteilung angegriffen fühlen können. Beide haben in unserem Fall die Betriebsratsinitiative als Kritik an ihrer eigenen Rolle und Arbeit verstanden. Beabsichtigt war das nicht, ganz im Gegenteil hatten wir die Vision einer fruchtbaren Zusammenarbeit.

Es reicht nicht, dass man sein Recht wahrnimmt. Es reicht auch nicht, dass es eine gewisse Unzufriedenheit bei den Beschäftigten gibt. Das ist die Grundvoraussetzung für Akzeptanz. Man sollte aber erst dann einen Betriebsrat gründen, wenn es konkrete Vorfälle der Unternehmensleitung gegeben hat, die bei der Mehrheit der Kollegen sehr schlecht angekommen sind, weil sie für sie einen großen Nachteil bedeuten. Diese sollten nicht allzu lange zurückliegen. Kürzlich erfolgte positive Maßnahmen wie Gehaltserhöhungen, auch wenn sie nur gering ausfallen, Weiterbildungen, Beförderungen, Motivationsveranstaltungen verringern dagegen die Akzeptanz.

Das Stimmungsbild sollte unauffällig, aber annähernd repräsentativ abgefragt werden, um die Akzeptanz besser einschätzen zu können.

Wir haben für die Einladung einen Standardbrief der Gewerkschaft verwendet. Das fanden wir sehr gut. Er informiert aber viel zu wenig über Betriebsräte. Hier sollte die Einladung um allgemeine Informationen über einen Betriebsrat ergänzt werden.

Die Initiatoren sind durch den Kündigungsschutz rechtlich abgesichert, allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Einladung. Durch eine notariell beglaubigte Erklärung, einen Betriebsrat gründen zu wollen, greift der Kündigungsschutz bereits ab diesem Zeitpunkt. Die drei Initiatoren haben eine solche Erklärung vor einem Notar abgegeben, die anderen Mitglieder des Betriebsratsteams nicht. Hier sollten sich alle unbedingt rechtlich absichern. Damit haben sie auch die Möglichkeit, laut für den Betriebsrat zu argumentieren, was sie dann auch unbedingt tun sollten, damit nicht nur die Gegner laut sind und gehört werden.

Wir sind nicht auf alle Gegenargumente eingegangen. Das sollte man aber tun, damit sie nicht als möglicherweise zutreffend im Raum stehen bleiben. Wir hätten auch mehr in die mündlichen Diskussionen eingreifen sollen. Hier ist es natürlich sehr wichtig, ruhig, besonnen und sachlich zu bleiben.

Das Unternehmen ist auf mehrere Standorte in verschiedenen Bundesländern verteilt. An einem Standort fiel der Termin für die erste Betriebsversammlung in die Urlaubszeit. Dies führte dort zu Unmut und wurde öffentlich gegen die Initiatoren verwendet. Man wird nie einen Termin finden, der allen passt. Aber man muss versuchen, möglichst viele mitzunehmen und den Gegnern möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, denn die nutzen das aus.

Man sollte sich vorher überlegen, ob man, wenn der Wahlvorstand nicht zustande kommt, ihn vom Arbeitsgericht bestellen lässt oder ob man das Verfahren einstellt. Der Vorteil der ersten Möglichkeit ist klar, dass der Betrieb auf jeden Fall einen Betriebsrat bekommt. Da kann die Geschäftsleitung machen, was sie will und noch so viel Geld für „Berater“ ausgeben. Sie können den Prozess durch Anfechtung verlangsamen, aber nicht verhindern. Die Kosten trägt in jedem Fall das Unternehmen. Der Nachteil: Wenn der Betriebsrat nicht von der Mehrheit der Belegschaft getragen wird, kann er kaum etwas für die Belegschaft erreichen. Außerdem werden dann eher Kandidaten in den Betriebsrat gewählt, die die Interessen des Managements vertreten. Allerdings kann man nicht pauschal sagen, dass nur bei einer Mehrheit ein Betriebsrat zustande kommen sollte. Je größer ein Betrieb ist, desto schwieriger wird es, eine Mehrheit zu gewinnen, zumal die Arbeitgeberseite keine Kosten und Mühen scheut, ihre Belegschaft zu manipulieren. Ab einer gewissen Größe wird es aufgrund der bürgerlichen Propaganda nie eine Mehrheit geben, die vom Gesetzgeber auch gar nicht vorgesehen ist. Man sollte sich also gut überlegen, welchen Weg man gehen will. Das gesamte Betriebsratsteam sollte diese Entscheidung mittragen. Von dieser Entscheidung sollte dann nicht mehr abgewichen werden. Diese Entscheidung sollte aber auf keinen Fall nach außen kommuniziert werden, damit sich das Management nicht auf eine Strategie festlegen und alle Ressourcen darauf konzentrieren kann.

Antworten auf die Gegenargumente

Die Initialisierung des Betriebsrates sei undemokratisch.

Hier wird vor allem darauf angespielt, dass drei Arbeitnehmer dem Rest der Belegschaft einen Betriebsrat „aufzwingen“. In einem rechtsstaatlichen und demokratischen Prozess hat der Gesetzgeber mit dem Betriebsverfassungsgesetz, dessen Name schon die Bedeutung ausdrückt, dieses Verfahren festgelegt. Der Gesetzgeber sieht auch nicht vor, dass ein Betriebsrat etwas Freiwilliges ist, sondern wenn die Mindestzahl an Beschäftigten vorhanden ist, wird ein Betriebsrat gewählt. Dieses Verfahren muss von mindestens drei „Arbeitnehmern“ eingeleitet werden. Der Betriebsrat bricht das Machtmonopol des Managements gegenüber der Belegschaft auf und führt demokratische Strukturen und Prozesse ein. Letztlich geht es auch um den Schutz von Minderheiten. Wenn es der Mehrheit der Belegschaft gut geht und nur eine Minderheit ungerecht behandelt wird, hätte diese Minderheit nie die Möglichkeit, sich durch einen Betriebsrat vertreten zu lassen, wenn dieser nur durch Mehrheitsbeschluss gebildet würde. Betriebsräte sind das Gegenteil von undemokratisch.

Der Betriebsrat würde das Betriebsklima zerstören.

Die Geschäftsleitung behauptet, das ganze Unternehmen sei eine große Familie. Ein Betriebsrat würde eine Front zwischen Management und Belegschaft schaffen. Der Betriebsrat handelt nicht gegen das Management, sondern für die Belegschaft. Ob er dabei auf Widerstand des Managements stößt, hängt allein vom Management ab. Das Wort von der Familie ist ohnehin ein Mythos. Das Unternehmen gehört nicht der Belegschaft, sondern den Anteilseignern. Das Management handelt im Interesse der Eigentümer des Unternehmens. Im Interesse der Belegschaft handelt es nur dann, wenn es für den Erfolg des Unternehmens notwendig ist, z.B. weil es der Arbeitsmarkt verlangt oder weil die Einsicht vorherrscht, dass motivierte Mitarbeiter effektiver und mehr arbeiten als unmotivierte. Im Einzelfall mag es auch den netten Chef geben. Der wird aber sofort weniger nett, wenn die wirtschaftliche Lage nicht mehr rosig ist. Ein Betriebsrat kann dagegen zum Betriebsfrieden beitragen, weil er als einziges Gremium beide Interessen berücksichtigt und im Idealfall vereinen kann. Ohne Betriebsrat werden immer nur einseitig die Interessen des Unternehmers durchgesetzt, was immer wieder zu Frustrationen bei den Beschäftigten führt.

Der Betriebsrat sei teuer.

Hier kursieren Zahlen von 1.000 € pro Mitarbeiter und Jahr. Gerade für Privatleute wie uns klingt das sehr viel. Für die meisten Unternehmen sind das ganz normale Größenordnungen, die sie auch für andere Dinge ausgeben. Diese 1.000 € sind Durchschnittswerte aller Betriebsräte in Deutschland. Da sind Unternehmen mit mehreren Betriebsräten, Gesamtbetriebsräte und Konzernbetriebsräte dabei. Auch sehr große Betriebsräte mit hauptamtlichen Mitgliedern und eigenen Angestellten sind hier enthalten. Kleinere Betriebe dürften mit den Kosten also deutlich darunter liegen. Doch was kostet ein Betriebsrat eigentlich? Wofür entstehen Kosten? Die Betriebsratsmitglieder müssen über ihre Rechte und Pflichten geschult werden. Das ist notwendig, damit sie die Interessen der Belegschaft richtig vertreten können. Diese Kosten fallen einmalig an oder im ungünstigsten Fall alle vier Jahre, wenn alle vier Jahre ein komplett neuer Betriebsrat gewählt würde. Es gibt auch einmalige Kosten für das Büro und dessen Ausstattung. Das sind Kosten, die die Geschäftsleitung auch für normale Arbeitsplätze aufwenden muss. Laufende Kosten entstehen durch die Arbeit des Betriebsrats selbst. Seine Arbeit gilt als Arbeitszeit. Außerdem finden alle drei Monate Betriebsversammlungen statt, die ebenfalls zur Arbeitszeit zählen. Hier können natürlich zusätzliche Kosten für Raum, Fahrt und Übernachtung entstehen. Kosten entstehen auch bei Streitigkeiten, wenn diese vor Gericht ausgetragen werden. Einen großen Teil der Kosten hat also der „Arbeitgeber“ selbst in der Hand. Den anderen Teil der Kosten hat der Betriebsrat in der Hand. Da kein Betriebsrat will, dass es dem Unternehmen schlecht geht, kann man davon ausgehen, dass er kostenbewusst handelt. Ein Betriebsrat kostet, wie andere gesetzliche Vorgaben auch, zunächst einmal Geld, ohne dass ein unmittelbarer Nutzen entsteht. Kosten ohne unmittelbaren Ertrag entstehen aber auch bei vielen anderen nachhaltigkeitsorientierten Ausgaben wie Versicherungen, Weiterbildung, Pflege der Kundenbeziehungen, Absicherung der IT-Infrastruktur etc.

Der Betriebsrat würde das Unternehmen unflexibel machen.

Der Betriebsrat muss nicht in alle unternehmerischen Entscheidungen einbezogen werden. Hier hat ein Betriebsrat also keinen Einfluss auf die Flexibilität. Andere Entscheidungen wie Einstellungen oder Entlassungen, Homeoffice oder mobiles Arbeiten, Maßnahmen zur Erfassung von Arbeitsleistungen usw. sind in den meisten Fällen Entscheidungen, die nicht innerhalb von 24 Stunden getroffen werden müssen. Beispielsweise beträgt die Kündigungsfrist neu einzustellender Mitarbeiter mehrere Monate. Anträge an den Betriebsrat, die dieser nicht innerhalb von sieben Tagen beantwortet, gelten automatisch als angenommen. Je kleiner ein Betrieb ist, desto schneller wird auch der Betriebsrat zu Entscheidungen kommen. In sehr großen Unternehmen sind die Entscheidungsprozesse auch ohne Betriebsrat eher schleppend, so dass der Betriebsrat hier kaum ins Gewicht fällt. Tatsächlich ist der Vorwurf der Inflexibilität eher eine versteckte Kritik daran, dass das Management nicht mehr machen kann, was es will.

Der Betriebsrat würde den Datenschutz aushöhlen.

Hier wird den Beschäftigten Angst gemacht, der Betriebsrat könne ihre Personalakte einsehen. Diese Behauptung ist falsch. Der Betriebsrat hat kein Recht auf Einsicht in die Personalakte:

Der Betriebsrat hat kein eigenes Einsichtsrecht bzgl. der Personalakten von Arbeitnehmern. Jedoch kann der Einsicht nehmende Arbeitnehmer ein von ihm bestimmtes Betriebsratsmitglied bei der Einsichtnahme hinzuziehen,§83 Abs. 1 BetrVG. Das hinzugezogene Betriebsratsmitglied hat über den von ihm erfahrenen Inhalt der Personalakte Stillschweigen zu bewahren, es sei denn der Arbeitnehmer hat es ausdrücklich und gem. den Umständen des Einzelfalls von der Schweigepflicht entbunden.

Der Betriebsrat darf die Lohn- und Gehaltslisten nur auf Verlangen der Beschäftigten einsehen, um zu prüfen, ob eine Benachteiligung „aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität“, §75 BetrVG vorliegt. Der Betriebsrat hat lediglich ein Einsichtsrecht. Die Listen müssen ihm nicht ausgehändigt werden. Über etwaige Lohnpfändungen erfährt er nichts.

Der Betriebsrat höhlt den Datenschutz nicht aus. Er darf nur bestimmte Informationen einsehen und muss dafür ein berechtigtes Interesse geltend machen. Er ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Für den Betriebsrat gilt das Datenschutzrecht wie für jeden anderen auch. Interessant ist die Frage, warum eine von der Geschäftsleitung bestellte Person vertrauenswürdiger sein soll als eine von der Belegschaft gewählte.

Mit dem Betriebsrat gäbe es keine individuellen Vergünstigungen.

Der Betriebsrat handelt mit der Geschäftsleitung das Minimum für alle aus. Bessere Bedingungen kann jeder individuell aushandeln. Der Betriebsrat wacht lediglich darüber, dass es, wie oben beschrieben, keine Diskriminierung gibt und niemand „nach Nase“ besser behandelt wird. Wenn eine individuelle „Besserstellung“ gerechtfertigt ist, wird der Betriebsrat dies nicht verhindern.

Macht mit, macht’s nach, macht’s besser!

Betriebsräte stärken die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern. Statt dass jeder für sich verhandelt, findet eine übergreifende gemeinsame Verhandlung statt. Diese Verhandlungen bündeln zum einen die gemeinsamen Interessen mehrerer Beschäftigter – gemeinsam ist man stärker. Zum anderen erfolgen sie auf einer besseren Wissensbasis über die rechtlichen Grundlagen – Wissen ist auch Macht.

Wirtschaftsunternehmen agieren immer in einem Rahmen, der sowohl vom Markt als auch von regulatorischen Anforderungen bestimmt wird. Ein Betriebsrat schränkt hier den „freien“ Handlungsspielraum weiter ein, aber analog zu den regulatorischen Anforderungen geschieht dies mit der Intention der Nachhaltigkeit. Der Arbeitnehmerschutz stellt langfristige Ergebnisse wie Stabilität, Motivation, Gesundheit, wirtschaftlichen Erfolg über kurzfristige.

Betriebsräte sollen das Machtmonopol der Unternehmer aufbrechen und für demokratische Mitbestimmung der Arbeiter in den Unternehmen sorgen. In der Novemberrevolution von 1918/1920 entstand eine breite Rätebewegung. Arbeiterräte waren eine neue Form der Demokratie, die über die bürgerliche Demokratie hinausgeht. Die heutigen Betriebsräte sind ein Nachhall dieser Arbeiterräte der zerschlagenen Revolution. Sie sind die aktuell einzige Form der Demokratie in den privatwirtschaftlichen Unternehmen. Lasst sie uns nutzen! Wir haben das Recht dazu. Nehmt es wahr! „Die Freiheit nutzt sich ab, wenn man sie nicht nutzt“, singt schon Reinhard Mey. Jeder Versuch, Betriebsräte zu verhindern, ist Unrecht, nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat. Lasst uns aus dem Nachhall den Vorboten einer neuen, wahrhaft demokratischen Gesellschaft machen.

Wie gründet ihr einen Betriebsrat?

1. Da die Geschäftsleitung in den meisten Fällen keinen Betriebsrat will und sich mit allen Mitteln dagegen wehrt, vor allem mit Kündigungen, bevor der Kündigungsschutz greift, egal wie wichtig und unentbehrlich ihr für das Unternehmen seid, sind Vorsicht, Wachsamkeit und Verschwiegenheit gerade in der Anfangsphase sehr wichtig.

2. Findet mindestens so viele Mitstreiter, wie bei eurer Betriebsgröße Betriebsratsmitglieder möglich sind. Je mehr ihr seid, desto besser, damit ihr Nachrücker habt oder bei Ausfällen durch Krankheit oder Kündigung noch genügend seid. Mindestens zu dritt müsst ihr auf jeden Fall sein.

3. Tretet alle der Gewerkschaft bei, damit ihr Rechtsberatung und Rechtsschutz bekommt und die Gewerkschaft euch bei eurem Vorhaben unterstützt. Der Rechtsschutz greift oft erst nach drei Monaten Mitgliedschaft.

4. Sprecht mit der Gewerkschaft über euer Vorhaben und bittet sie um Unterstützung. Arbeitet eng mit der Gewerkschaft zusammen.

5. Gebt alle vor einem Notar eine Erklärung ab, dass ihr einen Betriebsrat gründen wollt, damit ab diesem Zeitpunkt bereits Kündigungsschutz besteht. Diese Erklärung gilt nur drei Monate. Unter Umständen müsst ihr sie rechtzeitig verlängern oder erneut abgeben.

6. Analysiert die Missstände in eurem Betrieb. Sprecht vorsichtig, ohne Verdacht zu schöpfen, mit vielen Beschäftigten aus allen Bereichen, um ein möglichst repräsentatives Stimmungsbild zu erhalten. Schätzt ehrlich ein, ob die Stimmung für eine Betriebsratsinitiative aussichtsreich ist.

7. Entscheidet, ob ihr den Betriebsrat nur mit der Mehrheit der Belegschaft gründet oder notfalls auch gegen sie über das Arbeitsgericht. Diese Entscheidung solltet ihr von der Größe eures Betriebes abhängig machen. Grundsätzlich ist es besser, die Mehrheit hinter sich zu haben. In großen Betrieben wird das aber selten möglich sein. Tragt diese Entscheidung nie nach außen, damit sich die Gegner nicht darauf einstellen können.

8. Wartet auf einen konkreten Anlass, der die Stimmung gegen die Unternehmensleitung aufheizt. Bei positiven Maßnahmen für die Belegschaft sollte die Aktion verschoben werden.

9. Macht euch mit den rechtlichen Grundlagen und den möglichen Gegenargumenten vertraut, damit ihr diese entkräften und auf Fragen antworten könnt.

10. Passt das Einladungsschreiben der Gewerkschaft an eure Bedürfnisse an. Erklärt grundsätzlich, was ein Betriebsrat ist und welche Vorteile er für die Belegschaft hat. Macht deutlich, ohne euch zu rechtfertigen, dass ein Betriebsrat nichts Schlechtes ist, sondern vom Gesetzgeber gewollt. Schließt in eurem Einladungsschreiben ausdrücklich alle Führungskräfte aus, die nicht wahlberechtigt sind. Das sind vor allem Personen, die nach §5 BetrVG nicht eindeutig als leitende Angestellte erkennbar sind. Sie werden wahrscheinlich versuchen, euch das Leben schwer zu machen und die Kollegen zu manipulieren. Damit ist ihre Parteilichkeit von vornherein geklärt und ihre Teilnahme an der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands fragwürdig. Ihre Anwesenheit kann als Einschüchterung und Behinderung der Wahl ausgelegt werden.

11. Versteckt euch möglichst nicht hinter der Gewerkschaft, sondern zeigt Flagge, um eine hohe Akzeptanz bei den Kollegen zu erreichen und für Fragen eurer Kollegen ansprechbar zu sein. Offenbart aber nur drei von euch.

12. Ladet mit Unterstützung der Gewerkschaft zur Betriebsversammlung zur ersten Wahlversammlung ein. Informiert euren „Arbeitgeber“.

13. Greift in Diskussionen ein. Geht sachlich auf Gegenargumente ein. Auch die „heimlichen“ Initiatoren, die durch ihre notarielle Erklärung ebenfalls Kündigungsschutz genießen, sollten sich als Fürsprecher in die Diskussion einbringen.

14. Zieht euer Vorhaben unbeirrt durch! Ihr tut das Richtige.

Mehr zum Thema