Besetzung für Klimagerechtigkeit und studentische Mitsprache an der Universität Augsburg!

07.12.2022, Lesezeit 10 Min.
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Quelle: Eigenes Bild

Seit Montag dem 28. November besetzen Aktivist:innen von End Fossil: Occupy den Hörsaal 1 der Universität Augsburg. Sie stellen einen umfangreichen Forderungskatalog auf, der soziale Forderungen, Anti-Militarismus, Dekolonialisierung und studentische Mitsprache in die Klimafrage einschließt. Wir interviewten dort die Besetzerin Nomi.

Der Campus der Universität Augsburg liegt südlich der Innenstadt dort, wo früher die Messerschmitt-Werke Flugzeuge für den Krieg produzierten. Die niedrigen Gebäude sind alle im gleichen Stil gebaut, der eine schon verflossene Begeisterung für zukünftige Technik atmet, wie er in den 70er und 80er Jahren für eine Universität als angemessen empfunden worden war. Die Plakate und Banner, welche nach außen die Besetzung des Hörsaals 1 verkünden sollen, sind, so erzählen die Besetzer:innen, in der Nacht abgerissen worden. Die Vermutung, die Hochschulleitung hätte sie abreißen lassen, um die Besetzung nach außen weniger sichtbar zu machen, liegt nahe.

Die Gesprächsangebote der Hochschulleitung, die sie auf ihre Forderungen hin erhalten haben, beschreiben sie als unannehmbar, da sie unter problematischen räumlichen und machtstrukturellen Umständen geplant gewesen seien. Gleichzeitig versucht die Hochschulleitung, das Gespräch auf die Frage der Klimaneutralität zu reduzieren, obwohl End Fossil Augsburg ein wesentlich breiteres Programm aufgestellt hat. Deshalb verhandeln beide Seiten gerade über ein Format und Thema des Austausches, in dem eine kleine Studierendendelegation unter Ausschluss der Öffentlichkeit nicht klar im Nachteil wäre, als wir den Hörsaal betreten.

Die Besetzer:innen wollten die Vorlesung im Hörsaal 1 nicht komplett unterbinden, doch nutzen sie die Möglichkeit um mit den Studierenden über ihr Anliegen zu sprechen. Eine Besitzerin, Nomi, diskutierte bspw. mit einem Professor für Politikwissenschaften über das Vorgehen von End Fossil Augsburg und zeigte uns damit, wie wir die Räume, in denen wir uns ohnehin schon tagtäglich sind, politisch nutzen können, um eine breite öffentliche Diskussion anzuregen.

Zwischen den vielen Diskussionen können wir mit ihr sprechen. Sie betont dabei, nicht für die gesamte Gruppe zu sprechen, sondern ihre Sichtweisen darzustellen:

Wer bist du und mit welchen Zielen besetzt ihr den Hörsaal?

Hier in der Besetzung bin ich Nomi und ich bin ein Teil von End Fossil. End Fossil ist eine internationale Bewegung, die gerade Universitäten besetzt, um Klimagerechtigkeit zu gewinnen. Da ist schon ein Unterschied zwischen Klimagerechtigkeit und Klimaneutralität. Klimaneutralität ist ein Teil von Klimagerechtigkeit. Klimagerechtigkeit wird gesehen im Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit und weiteren Punkten, die auch unter unseren Forderungen stehen. Wir sind hier, um fünf Forderungen, die wir konkret an die Uni gestellt haben, durchzusetzen. Diese fünf Forderungen sind Dekolonialisierung der Lehre, Klimaneutralität bis 2027, Entmilitarisierung der Universität, sozialere Uni und Studierendenmitspracherechte.

Ihr habt den Hörsaal Nr. 1 besetzt, habt Banner und Plakate aufgehängt, bietet Veranstaltungen und kulturelle Abendprogramme an und sprecht in den Vorlesungen, die parallel zur Besetzung im Hörsaal 1 stattfinden, von euren Forderungen. Wie reagieren die Studierenden auf die Besetzung?

Unterschiedlich. Da sind zwei Punkte ziemlich wichtig, einmal sind sie manchmal etwas verwirrt oder haben eine sehr große Distanz zu uns, darum glaub ich ist es total wichtig, erstmal diese Distanz abzubauen. Wenn ich diese Distanz abbaue und mit Studierenden in Kontakt komme, was auch eine unserer täglichen Aufgaben ist, dann habe ich bisher eigentlich durchweg positive Kommentare bekommen und Nachfragen nach unseren fünf Forderungen, was zum Beispiel Dekolonialisierung konkret bedeutet.

Andererseits haben wir diese Whiteboards aufgestellt, wo man draufschreiben kann: Was wünscht ihr euch denn für die Universität? Da stehen auch ganz viele Schmarrnkommentare drauf, also es ist von vielen Seiten Verständnis da, viele wollen Wissen darüber haben und es ist unsere Aufgabe, da noch viel mehr Wissen transparenter zu machen und gleichzeitig ist es aber auch manchen einfach egal. Ich habe einmal die Frage gestellt, weil ich mich das auch einfach frage, in einem Gespräch mit zwei total interessierten Menschen: Wo wäre die Grenze von eurem politischen Interesse hin zu Aktivismus oder hin zu Beteiligung oder Unterstützung. Und das war eine total nette Aussage, da hat einfach ein Mensch gesagt: „Ja ich weiß nicht, vielleicht hab ich auch einfach resigniert“, und war so: „Ja, vielleicht komm ich einfach mal vorbei.“ Ich glaube diesen Punkt von „es betrifft mich“, ist bei vielen einfach noch nicht so da.

In euren Forderungen stellt ihr einen deutlichen Zusammenhang zwischen Dekolonialisierung und der Forderung nach Klimagerechtigkeit her. Worin besteht dieser Zusammenhang?

Wir, also Europa, haben Kolonialisierung betrieben. Das koloniale Gedankengut dafür ist in Europa entstanden. Damit man überhaupt kolonialisieren kann, muss man Menschen herabwürdigen, weil sonst kann man solche Maßnahmen, wie getroffen worden sind, gar nicht durchführen. Und dieses Gedankengut ist heutzutage immer noch präsent, auch wenn nicht mehr öffentlich aktiv in dem Sinne, dass jetzt kolonisiert würde. Aber das Gedankengut, welches sagt, dass Menschen unterschiedliche viele Rechte haben, ist in unserer Zeit insofern ein Problem, als wir jetzt Klimawandel haben und mit allen Menschen auf der ganzen Welt an einem Strang ziehen müssen, um klimaneutral zu werden. Gleichzeitig sind aber die Länder der Erde unterschiedlich weit entwickelt und das möchte ich ganz klar betonen, nicht positiv oder negativ konnotiert, inwieweit Entwicklung geht, weil das auch ein koloniales Gedankengut ist, dass Länder unterschiedlich entwickelt sind und wir aus dem eurozentristischen Blickwinkel Länder, die aus unserer Perspektive nicht so weit entwickelt sind, als primitiv darstellen.

Wir müssen aber alle Menschen gleichberechtigt sehen, auch in ihren Handlungen. Wenn wir sagen, Deutschland oder Europa dürfen noch diese Menge an Emissionen ausstoßen, dann müssen wir uns dabei viel mehr einschränken als die Länder, die wir als nicht so weit entwickelt sehen, weil diese Länder viel mehr Recht haben, sich noch weiter zu entwickeln. Auch auf den Reichtum bezogen; Menschen, die in großer Armut leben, setzen viel weniger Emissionen frei als irgendein Mensch, der in Westeuropa lebt.

Aber auch in der Kriegsführung und der globalisierten Produktion sehen wir vom Kolonialismus stammende Probleme. Die meisten Edelerze, die z.B. in Telefonen verbaut werden, kommen aus von Europa damals kolonialisierten Gebieten. Diese Produktion muss klimaneutral werden, gleichzeitig unterdrücken wir die Menschen in diesen Ländern, sie werden weiterhin ausgebeutet. Um Klimaneutralität schaffen zu können, muss erstmal diese Hierarchie abgebaut werden von Ausgebeuteten und uns, die sie ausbeuten. Wir sehen schädliche Strukturen aber auch bei den Verkehrswegen. Wenn wir Erze von so weit her beschaffen, oder Klamotten nähen lassen, was alles dezentral passiert, haben wir wahnsinnig lange Wege, diese Wege kosten Energie und die Frage ist: Woher kommt diese Energie? Diese Gedanken, dass wir Produktion auslagern, um billiger arbeiten zu können, bauen auf die Begründung, dass die Menschen, die dann für geringe Löhne herstellen, weniger wert sind. Stattdessen könnte man auch erreichen, dass Klamotten wieder bei uns produziert werden und auf eine gerechte Art und Weise bezahlt werden.

Ihr fordert auf euren Bannern Solidarität mit den Menschen im Iran und eine Aufnahme der studentischen Beschäftigten in die Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes. Wo ist für euch der Zusammenhang zwischen anderen Konflikten, wie z.B. Arbeitskämpfen, und der Klimagerechtigkeitsbewegung, die teils als elitär abgestempelt wird?

Also ich glaub Gerechtigkeitskämpfe, wie wir schon sagen „Klimagerechtigkeit“, hängt eben nicht nur damit zusammen, dass Klimaneutralität erreicht wird, sondern mit sozialer Gerechtigkeit und deshalb müssen wir uns solidarisieren mit allen sozialen Kämpfen, die auf der Welt geführt werden, wo aktiv gegen soziale Ungleichheit gekämpft wird. Eine kleine Gruppe kann viel weniger erreichen als eine große. Die Solidarisierung kommt da vielleicht sogar noch viel zu kurz. Wenn man es aus einer Klassenfrage heraus betrachtet, die Forderung nach Klimagerechtigkeit bedeutet, dass wir auch soziale Kämpfe tragen müssen und gleichzeitig hat die Klimabewegung ein Problem mit Klassismus. Das wird oft nicht benannt, aber wir sehen es hier, wir sitzen in einer Universität, wir können studieren, wir haben die Zeit, wir haben die Privilegien, wir haben das ökonomische Kapital dazu. Und das ist etwas, was auf jeden Fall noch viel mehr hinterfragt werden muss in der Klimabewegung, inwiefern Menschen überhaupt Teil eines Protestes sein können. Momentan glaube ich, das passiert auch immer mehr und gleichzeitig hat jede Gruppe immer dazu beizutragen. Wir müssen alles parallel bedenken, wir brauchen viel Reflektion auch über Rassismus in der Klimagerechtigkeitsbewegung, über Sexismus in der Klimagerechtigkeitsbewegung und über Klassismusfragen in der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Am Spätnachmittag nach dem Interview wird die Besetzung aufgefordert, den Technikraum des Hörsaals zu räumen, den sie als Rückzugs- und Lagerraum genutzt hatten, worauf die Studierenden eingehen. Kurz darauf erscheint die Polizei, die keinen genauen Grund für ihr kommen angeben möchte. Ein Mann in ziviler Kleidung, der ohne erkennbaren Grund nach Vorlesungsschluss im Hörsaal aufhielt, ohne sich der Besetzung anschließen zu wollen, zeigt den Uniformierten Videos auf seinem Handy und unterhält sich kollegial mit ihnen.

Die Hochschulleitung entschloss sich dazu, sich öffentlich nicht besonders ablehnend gegenüber den Besetzer:innen zu zeigen und gab der Forderung nach einem offenem Forum, in dem alle unter Einbezug der Öffentlichkeit offen diskutieren können, nach. Doch es ist offensichtlich, dass sie auch andere Optionen in Erwägung zog. Die Universität Augsburg hat seit Ende 2020 ein Zentrum für Klimaresilienz, an dem 10 Professuren hängen. Das Thema Klimaneutralität steht auf der Agenda der Hochschule. Dank dem prinzipientreuen Festhalten an Klimagerechtigkeit, anstatt bloßer Klimaneutralität, der Besetzer:innen muss die Hochschule sich jetzt öffentlich auf einen Diskurs einlassen, der sonst gerne unter den Tisch gekehrt wird, die Klimafrage steht nicht in einem Vakuum: Imperialismus, die Kriege die mit ihm verbunden sind, demokratische Rechte und soziale Fragen können nicht von der Klimafrage getrennt werden. Diese Themen können nicht nur theoretisch und an weit entfernten Orten angegangen werden, sondern dominieren die Orte und Institutionen, in die wir tagtäglich eingebunden sind. Dort können wir auch gegen sie kämpfen.

Solidarität mit der Besetzung an der Uni Augsburg!

Wenn ihr an der Uni Augsburg studiert, lehrt oder für eine andere Tätigkeit angestellt seid, seid morgen um 15 Uhr im Auditorium Kunst und Musik im Gebäude C. und nehmt an der Diskussion zu Klimagerechtigkeit, Transparenz und studentischer Mitsprache teil!

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