Berufsverbot wegen „Extremismus“? Jetzt klagt Benjamin Ruß gegen die Technische Universität München
Benjamin Ruß ist für eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität München geeignet. Wegen angeblich extremistischer Ansichten wurde er jedoch abgelehnt – und geht nun gerichtlich dagegen vor.
Der Geoinformatiker Benjamin Ruß bewarb sich Anfang 2022 um eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter und wurde, trotz professioneller Eignung, abgelehnt. Der Grund: Seine marxistische Weltanschauung und anhaltende Kritik an Kapitalismus, Faschismus und Polizeigewalt. Gemeinsam mit dem ver.di-Rechtschutz hat er Klage vor dem Münchner Arbeitsgericht eingereicht – am 9. Februar beginnt sein Prozess gegen den Freistaat Bayern, der verantwortlich für die Hochschulen ist.
Nach mehreren Bewerbungsgesprächen wurde Benjamin Ruß mitgeteilt, dass die leitende Professorin ihn gern als wissenschaftliche Lehrkraft am Lehrstuhl für Kartographie und visuelle Analytik einstellen würde. Später wurde er zur Erledigung aller Papierarbeit eingeladen. Darunter ein Fragebogen, der alles ins Rollen brachte. Spätestens mit dem Absenden der Bewerbungsunterlagen von Seiten des Lehrstuhls an die Personalabteilung war klar, dass der Lehrstuhl ihn anstellen wollte. Dabei hatte er allerdings die Rechnung ohne die repressive Gewalt der Personalabteilung der Technischen Universität München (TUM) gemacht.
„Mitglied einer oder mehrerer extremistischer Organisationen“
Für eine Bewerbung um eine Stelle im öffentlichen Dienst zwingt der Staat Bayern Arbeiter:innen, eine Selbstauskunft mit „Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue“ abzugeben. Raum für Interpretation lässt der Staat einem dabei nicht. Es geht direkt in die Frage, ob man „Mitglied einer oder mehrerer extremistischer (…) Organisationen“ sei. Weiter unten sind diese Organisationen fein säuberlich aufgelistet, dabei unter Anderem Linksjugend [‘solid], Marx21 und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Ver.di-Kollege Ruß gab wahrheitsgemäß an, dass er in der Vergangenheit Mitglied der Organisationen DIE LINKE.SDS und Rote Hilfe e.V. (RH) war beziehungsweise letztere mit einem kleinen jährlichen Betrag unterstützt.
In einem Schreiben forderte die Personalabteilung der TUM den Kollegen dann nicht nur zu einer Stellungnahme auf, sondern beschuldigte ihn auch eines tätlichen Angriffes auf einen Polizisten. Schamlos wie unwahr: Tatsächlich war es nicht nur physische und verbale Polizeigewalt, die gegen ihn verübt wurde. Die Anwälte der Kolleg:innen fanden auf Nachforschung heraus, dass die Staatsanwaltschaft München der Polizei München davon abgeraten hatte, in diesem Fall Anzeige gegen Ruß zu stellen. Die Polizeibeamten zeigten sich in der Akte auch erleichtert, dass es zu keinem Prozess gekommen war. Sie hatten Ruß nämlich zu Boden geschlagen und sind ihn verbal übelst angegangen: „Unten bleiben, sonst haue ich dir den Schädel ein“, „Übernehmt’s den, und weg mit dem Arsch“.
Auf sechs Seiten, die Klasse Gegen Klasse zur Verfügung gestellt wurden, nimmt Ruß Stellung zu den Fragen der Personalabteilung, die ihr offensichtlich vom Verfassungsschutz diktiert worden sind. Ruß formuliert eindrücklich: „Es wirkt wie aus der Zeit gefallen, wenn Klassengegensätze, Ausbeutung und Unterdrückung in vielen Regionen der Welt – reale gesellschaftliche Bedingungen, die in unzähligen Veröffentlichungen von unzähligen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anerkannt worden sind – als Annahmen einzelner Extremist:innen bezeichnet werden. Das Grundgesetz wird nicht dadurch geschützt, dass man Realitäten ausblendet, sondern sie benennt und Lösungen präsentiert. Das ist die Aufgabe der Wissenschaft und ich verstehe mich als Wissenschaftler“.
Zwei Monate später folgte die Entscheidung des Verwaltungs- und Finanzen-Kanzlers der TUM, Albert Berger: „Eine Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kartographie und Visuelle Analytik der Technischen Universität München kann (…) nicht erfolgen“.
Gegnerschaft zur bestehenden Ordnung
Die abenteuerlichen Begründungen sind ein bezeichnender Einblick in das labile Demokratieverständnis der TUM und damit des Freistaates Bayern. Ruß bediene sich „klassischer Begriffe wie Faschismus, Rassismus, Kapitalismus, Polizeigewalt/-willkür, mittels derer auch die Gegnerschaft zur bestehenden Ordnung betont und begründet wird“. Wer also Faschismus und Rassismus kritisiert, ist ein Verfassungsfeind?
Weiter befürchtet die TUM, Ruß würde „seine [marxistischen] Ansichten in Lehrveranstaltungen, zu der [sic!] er als wissenschaftlicher Mitarbeiter verpflichtet wäre, […] verbreiten“ und seine Student:innen agitieren. Fast beleidigt beklagt die TUM, dass Ruß den aktuellen Systemzustand als „ausgesprochen negativ“ empfinde und dass er diesen „zugunsten einer sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaftsordnung […] beseitigen“ wolle.
Ruß äußerte sich in seiner Stellungnahme ausführlich und bedacht zum Thema Gewalt. Er sprach zum Beispiel von – gemeinhin als gewaltfrei verstandenen – zivilem Ungehorsam und davon, „Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele“ abzulehnen. Über Ruß klare Analyse, dass das Gewaltmonopol des deutschen Staates, strukturelle und Polizeigewalt hinterfragt werden müssen, liest die TUM großzügig hinweg, um dann an einer Stelle hängenzubleiben, die sie ihm anklagend vorwerfen kann: „Auch die Demokratisierung von Betrieben durch Arbeiterselbstverwaltung widerspricht dem Grundgesetz nicht, ihre Durchsetzung ist keinesfalls nur mit Gewalt möglich – wie historische und auch aktuelle Beispiele weltweit mehrfach beweisen“. „Keinesfalls nur mit Gewalt“ – eine Formulierung, die die TUM triumphierend nutzt, um den Kollegen Ruß als gewaltbereiten Verfassungsfeind abzustempeln.
„Die Frage nach der Gewalt ist allerdings in erster Linie eine gesellschaftliche Frage. Kein Mensch wird geboren und ist als Säugling direkt gewalttätig. Die strukturelle Primärgewalt ist etwas, was in unserer Gesellschaft jedem Individuum durch gesellschaftliche Prozesse vermittelt wird. Moderne europäische Verfassungen legitimieren unmittelbare, individuelle oder kollektive Gewalt der Bürger:innen in nur äußerst engen Grenzen, vor allem zum Zwecke der Notwehr oder der Nothilfe.“
Wie geht es nun weiter?
Ruß hat gemeinsam mit seiner Gewerkschaft ver.di beschlossen, die Aussagen der TUM als das zu sehen, was es ist: Ein klarer Angriff auf Meinungs- und Bildungsfreiheit, ein scheinheiliger Vorwand. Mit der Unterstützung durch den Rechtsschutz des ver.di-Bezirk München hat Ruß inzwischen eine Klage vor dem Münchner Arbeitsgericht eingereicht. Ihn vertritt die ehemalige Bundesjustizministerin und Rechtsprofessorin Herta Däubler-Gmelin.
Zentral geht es mir aber in erster Linie darum, innerhalb der Gewerkschaften eine Debatte darüber anzustoßen, dass derlei Angriffe auf Marxist:innen in einer Linie stehen mit Repression in Betrieben gegenüber politischen (Gewerkschafts-)Kolleg:innen. In einer Linie stehen mit der zunehmenden Tendenz der Wissenschaftsfeindlichkeit und dem Rechtsruck in den Parlamenten. Wie wir uns gegen derlei Repression wehren können und dass wir uns als Lohnabhängige vor dem Hintergrund solcher Angriffe auch besser in den Gewerkschaften organisieren müssen.
Das gerichtliche Vorgehen von Ruß ist dabei ein greifbares und konkretes Beispiel, einer von vielen wichtigen Arbeitskämpfen. Als linke Marxist:innen und Beschäftigte müssen wir uns gegen solche Angriffe wie der der TUM wehren. Es ist besonders wichtig, dass wir Ruß solidarisch und laut unterstützen. Komm daher auch du gerne zu dem Gerichtstermin von Benjamin Ruß!
Gerichtstermin
Datum: Freitag, 9. Februar
Uhrzeit: Ab 10:00 beginnt die Kundgebung, ab 11:15 der Gerichtstermin
Ort: Arbeitsgericht München, Winzererstraße 106, 80797 München