Bern: Zaghafter Protest gegen Steuersenkungen & Sparpakte

04.12.2017, Lesezeit 5 Min.
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Im Kanton Bern wird in diesen Tagen ein Sparpaket von 185 Millionen Franken beschlossen. Betroffen sind vor allem Institutionen in den Bereichen Bildung, Sozialhilfe und Kultur. Der Kanton Bern folgt damit dem schweizweiten Trend, die Senkung von Unternehmensteuern mit Einsparungen bei Sozialausgaben zu finanzieren.

Am Samstag marschierten spontan etwa 600 wütende Menschen durch Bern um gegen das Sparpaket zu demonstrieren, dass in diesen Tagen vom Großen Rat, dem Kantonsparlament, verabschiedet wird. Die Demonstration war ein Versuch in letzter Minute, noch einmal den Druck zu erhöhen, nachdem der Protest in den letzten Wochen zaghaft zugenommen hatte. So gab es bereits in der Woche davor eine Demonstration mit über 1000 Teilnehmer*innen und einen Aktionstag unter dem Motto „Wir sehen Rot“. Doch das Sparpaket, das vor allem Kürzungen in den Bereichen Bildung, Pflege, Sozialhilfe, Asyl und Kultur vorsieht, ist so gut wie beschlossen. 100 Millionen Franken wurden bereits von einer Mehrheit des Rates bewilligt, weitere 85 Millionen sollen nächste Woche folgen. Eingespart werden muss vor allem wegen geplanter Senkungen des Gewinnsteuersatzes für große Unternehmen.

Die Schweiz konkurriert um die tiefsten Steuern

Senkungen von Unternehmenssteuern gepaart mit Kürzungen im Sozialbereich sind in der Schweiz inzwischen zum politischen Alltag geworden. Die Schweiz bangt um ihren internationalen Rang als Steuerparadies und befürchtet in der Konkurrenz als attraktiver Unternehmensstandort gegen Länder wie beispielsweise Irland, Liechtenstein, Zypern oder Hongkong ins Hintertreffen zu geraten. Dabei kann sich die Schweiz im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen. In Sachen Gewinnsteuer steht sie auf Platz 11, knapp hinter Hongkong und Singapur. Doch in der Schweiz herrscht Steuerautonomie der Kantone. Das heißt die Kantone konkurrieren nicht nur international, sondern auch untereinander. So steht der Kanton Luzern mit einem ordentlichen Gewinnsteuersatz von 12,4% international auf Platz 4 während Bern mit 21,6% weit abgeschlagen ist. Diesen Vorsprung im „Rennen um die tiefsten Steuern“ will der Große Rat nun Schritt für Schritt aufholen.

Sparen, wo es weh tut

Unter diesem Steuerwettbewerb leiden regelmäßig vor allem diejenigen, die sowieso schon zu wenig haben oder besonders schwach sind. Gespart wird auch in Bern an Schulen, Universitäten, Initiativen zur Unterstützung von Frauen, Geflüchteten, Menschen mit Behinderung und Drogenabhängigen, bei der Pflege von Alten und psychisch Kranken, beim Kinder- und Jungendschutz und bei der Sozialhilfe. Diese Maßnahmen werden zwangsläufig dazu führen, dass der Leidensdruck und die Armut bei den Empfängern staatlicher Unterstützung steigt und der bereits enorme Arbeitsdruck auf die Angestellten in Initiativen und öffentlichen Dienst weiter zunimmt, sodass soziale Arbeit weniger gründlich, weniger menschlich oder in machen Bereichen gar nicht mehr geleistet werden kann.

Widerstand regt sich nur zaghaft und sporadisch

Der ausgeprägte Föderalismus in der Schweiz führt nicht nur zu einer Konkurrenz der Kantone untereinander, sondern auch zu einer Schwächung und Zersplitterung des Widerstandes. Da die Sparmaßnahmen auf kantonaler Ebene und jeweils zeitlich versetzt beschlossen werden hält sich auch der Widerstand dagegen in den Grenzen der Kantone und hat selten zeitliche Überschneidungen zu Protesten in anderen Kantonen. Doch auch kantonal gewinnt der Protest gegen den immer weiter um sich greifenden sozialen Kahlschlag kaum an Kraft. Widerstand drückt sich meist in sporadischen Aktionen oder Demonstrationen aus, wie jene vom letzten Samstag, oder in Protestschreiben von einzelnen Berufsverbänden und Initiativen. Doch ein koordinierter anhaltender Protest, der mit kollektiven Kampfmaßnahmen wie Streiks unübersehbaren Druck aufbaut, fehlt bisher und macht es den bürgerlichen Parteien wie SVP, FDP, EVP und GLP leicht die Sparmaßnahmen durchzuwinken.

Gewerkschaften und Sozialdemokratie halten still

Beim Aufbau einer schlagkräftigen Bewegung auch über kantonale Grenzen hinweg könnten vor allem die Gewerkschaften eine führende Rolle spielen. Doch von einer koordinierten Kampagne oder gar Streikankündigungen keine Spur. Auch die Sozialdemokratie (SP) ist formal gegen das Wechselspiel von Steuersenkungen und Sparmaßnahmen, doch auch sie arbeitet nicht an einer großflächigen Mobilisierung ihrer Basis. Ein Aufruf zu einer Demonstration Anfang September und halbherziges Gejammer im Großen Rat waren bisher die einzigen Maßnahmen. Dass die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie die Füße still halten mag vor allem daran liegen, dass auch sie in der allgemeinen Erzählung verfangen sind, die bei einer Verweigerung des Steuerwettbewerbs einen wirtschaftlichen Kollaps prophezeit. So ist es ein Leichtes für die Politik, die Kantone gegeneinander auszuspielen und gleichzeitig einen effektiven landesweiten Widerstand zu unterbinden.

Es ist an der Zeit, dass sich die Betroffenen bewusst werden, dass ihre Interessen nicht die der großen Unternehmen sind und dass es zu einer Verbesserung ihrer Lage statt einer Unterwerfung unter die bürgerliche Politik ein kollektives und eigenständiges Handeln der Arbeiter*innen, der Geflüchteten, der Schüler*innen und Studierenden bedarf, unabhängig von den bürgerlichen Parteien und ihrer neoliberalen Narrative.

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