Berliner Universitäten zerren Studierende vor Gericht – wie können wir uns wehren?
Studierende protestieren gegen den Genozid in Gaza, die Universitäten zeigen sie an. Jetzt braucht es eine Antirepressionskampagne, die alle Betroffenen organisiert!
Nach verschiedenen palästinasolidarischen Mobilisierungen an Berliner Unis hagelt es jetzt Strafanzeigen. Das sind die Antworten der Universitäten auf die Besetzung eines Hörsaals der Freien Universität (FU) im Dezember 2023, den Besetzungen des FU-Theaterhofs und des sozialwissenschaftlichen (Jabalia) Instituts der Humboldt-Universität (HU) im Mai und der FU-Hörsaal-Besetzung im Juli. Mit diesem klassischen Mittel der Studierendenbewegung formulierten die Studierenden einen Anspruch auf Raum für politischen Protest und Austausch, den ihre Unis seit dem 7. Oktober zunehmend einschränken, und klagen die Mitschuld der deutschen Universitäten im aktuellen Genozid in Gaza an.
Doch auch in der Reaktion der Präsidien gibt es eine Kontinuität, nämlich Repression. Neben den akuten Folgen der Festnahmen und der vielfach dokumentierten Polizeigewalt kommt es jetzt zur Strafverfolgung im Schnelldurchlauf. Der Vorwurf ist in zahlreichen Fällen Hausfriedensbruch, dafür dass Studierende in ihrer eigenen Universität demonstrierten. Getrieben werden die Hochschulleitungen dabei auch vom Berliner Senat. Bereits bei der HU-Besetzung hat der regierende Bürgermeister Kai Wegner Druck auf die Unipräsidentin Julia von Blumenthal gemacht, die nach einer Diskussion mit den Studierenden plötzlich nach Aufforderung des Senats jeglichen Dialog einstellte und die Polizei auf ihre Studierenden hetzte. Der Druck wäre „von ganz oben” gekommen. Bei der letzten FU-Besetzung positionierten sich die Polizist:innen bereits vor dem Hörsaal, während augenscheinlich noch Verhandlungen mit einer Delegation des Präsidiums inklusive Präsident Günter Ziegler stattfanden. Eine Besetzung über Nacht würde man nicht dulden, verkündete die Unileitung in diesem Fall ohne Begründung.
Kampf gegen Repression ist Kampf gegen Rechts
Die zahlreichen Anzeigen sind ein Versuch, der studentischen Bewegung in Solidarität mit Palästina den Wind aus den Segeln zu nehmen und sie zu spalten. Denn die Strafen treffen Studierende mit unsicherem Aufenthaltstitel besonders hart. Ihnen droht die Abschiebung, während anderen nach neuestem Gesetz die Einbürgerung verwehrt werden könnte. Gerade migrantische Studierende dürften sich an den Hochschulen inzwischen noch unsicherer fühlen, wenn sie ihre Meinung äußern. Arme Studierende werden mit hohen Geldstrafen in die finanzielle Not getrieben. Ein potenzieller Eintrag im Führungszeugnis verbaut zum Beispiel Lehramtstudierenden und anderen die berufliche Zukunft. Vor dem Hintergrund des neuen Berliner Hochschulgesetzes droht auch die politische Exmatrikulation. Im Angesicht dieser Repressionsszenarien hat sich die Kampagne „Hands off Student Rights” dem Ziel verschrieben, die Prozesse gegen Studierende politisch und solidarisch zu begleiten.
Diese Entwicklung ist kein reines Berliner Phänomen. Der zunehmend repressive Einsatz der Staatsgewalt ist im Kontext der inneren und äußeren Militarisierung der Bundesrepublik zu verstehen. Die einschlägigen Meldungen zeichnen dabei ein bedrohliches Bild: Diskussionen über neue Sondervermögen für die Bundeswehr, ein von Rassismus triefender Abschiebe-Diskurs, innereuropäische Grenzkontrollen, massiver Ausbau der Polizei, erweiterte Überwachungskompetenzen der Ermittlungsbehörden und bedingungslose Israelsolidarität als Staatsräson. Im Bundestag steht nun auch eine Resolution mit dem Namen „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ im Raum, welche sich auf die IHRA Definition von Antisemitismus beruft, nach der auch jede Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichzusetzen ist. Der Antrag rät auch zur „konsequenten Anwendung des Hausrechts, dem temporären Ausschluss vom Unterricht oder Studium bis hin zur ggf. Exmatrikulation“. Auch dies ist eine Einschränkung der politischen Meinungsäußerung.
Der Rechtsruck der Bundesregierung und die Einschränkung der demokratischen Rechte trifft die palästinasolidarische Bewegung am härtesten, weil sie diese Staatsräson und damit die Interessen des deutschen Imperialismus in Frage stellt. Aber die zunehmenden autoritären Tendenzen sind nur ein Vorbote auf die Repression von anderen kritischen Bewegungen. Sie sind ein Versuch der Disziplinierung der Bevölkerung. Diese Angriffe sind also Angriffe auf uns alle!
Wir fordern deswegen, dass die Uni-Leitungen alle Anzeigen sofort fallen lässt!
Für Unis unter unserer Kontrolle
Um diese Forderungen umzusetzen, wollen wir mit so vielen Studierenden wie möglich eine möglichst breite Front gegen die Repression und für die Verteidigung der demokratischen Rechte aufbauen. Lasst uns mit unseren Komiliton:innen in die Mensen und Vorlesungssäle unserer Unis gehen und die Repression, die uns vereinzeln und mundtot machen soll, skandalisieren! Ein wichtiger Stützpunkt kann hier die Initiative Studis gegen Rechts sein, in der sich hunderte Studierende organisieren, um dem Rechtsruck den Kampf anzusagen. Die Repression gegen die Studierendenbewegung bildet aktuell die Sperrspitze des Rechtsrucks an den Unis. Insbesondere ist sie Wasser auf die Mühlen der AfD: Die Änderung des Berliner Hochschulgesetzes wurde zunächst von der extrem rechten Partei vorgeschlagen. Beatrix von Storch gratulierte Ampel und Union zur Umsetzung von AfD-Politik, als diese im Bundestag die sogenannte „Resolution zum Schutz jüdischen Lebens“ verabschiedeten. Als Waffen der Kritik schlagen wir Studis gegen Rechts vor, mit Öffentlichskeitsrabeit, Aktionen, Versammlungen und Spendenkampagnen für Gerichtskosten den Kampf gegen die Repression aktiv aufzunehmen. Lasst uns aus der kommenden Vollversammlung gegen Rechts an der FU weiter über diese Perspektive diskutieren.
Außerdem denken wir, dass es eine gemeinsame Front mit den Beschäftigten an den Universitäten braucht. Sie haben tatsächlich die Macht, mit Streiks die Universität lahm zu legen und so Herrn Ziegler und Frau von Blumenthal in Bedrängnis zu bringen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Repression und die Disziplinierung auch kritische Beschäftigte und Dozierende trifft: Sie müssen um ihre Forschungsgelder und Anstellungen bangen, wenn sie Kritik am Rechtsruck oder der Unterstützung Israels äußern. Die Gewerkschaften Ver.di und GEW haben die Hetze gegen solidarische Dozierende und Polizeieinsätze an den Universitäten richtigerweise kritisiert. Diesen Worten müssen Taten folgen: Sie sollten zu Versammlungen und Mobilisierungen für das Fallenlassen der Anzeigen und ein Ende von Polizeieinsätzen auf Universitätscampus sowie der Repression gegen kritische Beschäftigte aufrufen.
All dies zeigt uns, dass die aktuellen Uni-Leitungen nicht das Interesse der Studierenden und der Beschäftigten vertreten. Sie machen mit bei dem autoritären Umbau und der Unterstützung von Israels Genozid und stellen sich gegen kritische Stimmen. Sie wollen ihre gute Beziehung mit der Regierung nicht gefährden und werden sich so im Zweifel immer auf die Seite des Staates gegen „unliebsame“ Universitätsangehörige stellen. Wir fordern die Abschaffung der allmächtigen Unipräsidien. Stattdessen sollten wir als Studierende und Beschäftigte der Universitäten selbst bestimmen, ob die Polizei Zutritt auf die Universität bekommt und auch wofür geforscht wird: An Waffen, die beispielsweise an Israel geliefert werden, ganz bestimmt nicht!
Alle Entscheidungen der Universität sollten demokratisch von allen Studierenden und Beschäftigten getroffen werden. Dafür braucht es regelmäßige Vollversammlungen, auf denen die Richtlinien der Universitätsführung diskutiert und abgestimmt werden. Für die Umsetzung sollten gewählte Ausschüsse von Studierenden und Beschäftigten beauftragt werden, die jederzeit rechenschaftspflichtig, absetzbar und somit demokratisch kontrolliert sind.