Berliner Senat will vier palästinasolidarische Aktivist:innen abschieben

02.04.2025, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Baki Devrimkaya (KGK).

Der Berliner Senat nimmt sich ein Beispiel an der Trump-Regierung und hat Abschiebungsanordnungen für drei EU-Bürger:innen und eine:n Studierende:n aus den USA erlassen. Keine:r von ihnen wurde wegen eines Verbrechens verurteilt.

Der Berliner Senat von Kai Wegner (CDU) hat sich ein Beispiel an Trump genommen und will vier pro-palästinensische Aktivist:innen abschieben. Wie Hanno Hauenstein gestern erstmals in The Intercept berichtete, haben die vier die Aufforderung erhalten, Deutschland bis zum 21. April zu verlassen, da ihnen sonst die Abschiebung droht. Shane O’Brien und Roberta Murray sind irische Staatsbürger:innen, während Kasia Wlaszczyk einen polnischen Pass besitzt. EU-Bürger:innen genießen im Allgemeinen Freizügigkeit, die jedoch in Einzelfällen widerrufen werden kann. Cooper Longbottom stammt aus den USA und hat ein Studentenvisum.

Wegen einer Straftat wurde keine:r von ihnen verurteilt. Im Zusammenhang mit pro-palästinensischen Demonstrationen werden ihnen verschiedene „Vergehen“ vorgeworfen, wie zum Beispiel einen Polizeibeamten als „Faschisten“ bezeichnet zu haben. O’Brien wurde jedoch als einziger vor Gericht gestellt und dort vom Vorwurf der Beamtenbeleidigung freigesprochen.

In den Ausweisungsbescheiden werden sie bezichtigt, eine „aktuelle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ darzustellen – mehr oder weniger dieselbe rechtliche Argumentation, mit der die Trump-Regierung gegen Studierende wie Mahmoud Khalil vorgeht. Der Berliner Senat hat keine Beweise für seine Behauptung vorgelegt, dass die Aktivist:innen antisemitisch seien.

Stattdessen werden die vier beschuldigt, an Demonstrationen teilgenommen zu haben, auf denen der Slogan „From the river to the sea, palestine will be free“ skandiert wurde. Der Versuch der deutschen Regierung, diesen Slogan zu verbieten, wurde von mehreren deutschen Gerichten abgelehnt, da die Rechtsgrundlage äußerst dürftig ist. Und selbst wenn der Slogan eindeutig illegal wäre, gibt es keine Beweise dafür, dass diese vier ihn verwendet haben.

Die Ironie besteht darin, dass der Berliner Bürgermeister freundschaftliche Beziehungen zu echten Antisemiten unterhält. Wegner hat sich immer wieder geweigert, Elon Musk für seine Hitlergrüße und antisemitischen Verschwörungstheorien zu verurteilen. Stattdessen wird der ultrarechte Milliardär auf der offiziellen Website Berlins weiterhin als „wichtiger Jobmotor“ gelobt.

Eindeutig illegal

Als ein Abteilungsleiter der Berliner Ausländerbehörde im vergangenen Dezember den Antrag auf einen Ausweisungsbeschluss sah, schrieb er zurück, dass dies offensichtlich illegal sei: Ohne Verurteilung gebe es keine Grundlage, eine:r EU-Bürger:in die Freizügigkeit zu entziehen. In einem weiteren Anklang an die Trump-Regierung wurde dies von einem politischen Beamten, dem SPD-Politiker Christian Oestmann, außer Kraft gesetzt.

Longbottom, US-Bürger:in, beendet gerade ein Master-Programm an der Berliner Alice-Salomon-Universität. Eine Abschiebung, einschließlich eines zweijährigen Einreiseverbots in alle Länder des Schengen-Raums, würde them nicht nur deren Heimat, sondern auch einen Abschluss rauben, für den they hart gearbeitet haben. Dies ist vergleichbar mit dem Fall von Ranjani Srinivasan und anderen Studierenden in den USA, die angegriffen werden. Ein:e Sprecher:in der ASH sagte, die Universität „wünsche dieser Person, dass sie ihr Studium im Sommersemester abschließen kann“ – nannte aber keine konkreten Maßnahmen, die geplant werden, um Longbottom zu verteidigen.

Das Auswärtige Amt Deutschlands warnte kürzlich trans Personen vor Reisen in die Vereinigten Staaten. Longbottom ist trans, ebenso wie Wlaszczyk. Der Versuch Berlins, trans Personen in Länder mit queerenfeindlicher Politik abzuschieben, verstößt gegen grundlegende Menschenrechte. Die Angriffe der deutschen Regierung auf die demokratischen Rechte pro-palästinensischer Demonstranten wirken sich auch auf andere Fragen aus.

Erst vor zehn Tagen hat die Berliner Wissenschaftsverwaltung, die Forscher:innen aus den USA Zuflucht bietet, einen auf Instagram veröffentlichten Beitrag verfasst, in dem sie „die Angriffe der Trump-Regierung auf die US-Wissenschaft“ anprangert, darunter „massive finanzielle Kürzungen und Eingriffe in die akademische Freiheit“. Sie versprachen einen Fonds, um US-Forscher:innen zu helfen, ihre Arbeit in Berlin fortzusetzen – und führen nun eine ähnliche Politik aus. Ich habe die Wissenschaftsverwaltung um einen Kommentar gebeten.

Staatsräson

In einer Stellungnahme kritisieren die vier 

Deutschlands Staatsräson – eine Doktrin, die die bedingungslose Unterstützung Israels festschreibt, ungeachtet seiner systematischen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Dieselbe Staatsräson wurde herangezogen, um die Mitschuld Deutschlands am anhaltenden Völkermord zu rechtfertigen, während Kritik an Israels 77-jährigem Siedlerkolonialprojekt, an ethnischen Säuberungen und an der gegenwärtigen Massenschlachtung, Vertreibung und Aushungerung der Palästinenser systematisch unterdrückt wird.

Die „Staatsräson“ ist ein zutiefst antidemokratisches Konzept, das davon ausgeht, dass die Interessen des Staates sowohl den demokratischen Willen der Bevölkerung als auch etablierte Rechts- und Verfassungsnormen außer Kraft setzen. In den letzten 18 Monaten hat die deutsche Regierung ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen – wie den Haftbefehl gegen Netanjahu – beiseitegeschoben und sich die Kritik von Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International wegen der Unterdrückung der Demonstrationsfreiheit eingehandelt.

Diese Abschiebungen stellen eine erhebliche Verschärfung der Angriffe auf demokratische Rechte dar. Es ist bemerkenswert, dass der Fall zuerst in den US-amerikanischen und Israelisch-palästinensichen Medien, gefolgt von den irischen berichtet wurde. Deutsche Zeitungen und Fernsehsender haben bisher nur sehr wenig darüber berichtet.

Die Repressionen gegen die Palästina-Bewegung werden mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, jüdisches Leben zu schützen, als würden alle Juden:Jüdinnen Israel unterstützen. In Wirklichkeit gab es in den letzten 18 Monaten eine beispiellose Welle staatlicher Gewalt gegen Juden:Jüdinnen bei pro-palästinensischen Demonstrationen. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die deutsche Regierung beginnt, Juden:Jüdinnen im Namen des „Kampfes gegen Antisemitismus“ abzuschieben.

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