Berliner Linkspartei bestätigt ihren Rechtskurs
Beim Landesparteitag der Berliner Linkspartei setzt die Parteiführung die Verschleppungstaktik zur Enteignung von Wohnungskonzernen fort und befürwortet imperialistische Sanktionen im Krieg in der Ukraine.
Laute Rufe hallten vor dem Neuköllner Estrel-Hotel, in dem die Berliner Linkspartei am Samstag ihren Landesparteitag abhielt. „Umsetzen, umsetzen!“ rief eine Gruppe von Aktivist:innen der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWE) den Delegierten entgegen. Große Schilder erinnerten die Delegierten daran, wie viele Menschen für den Volksentscheid gestimmt haben: 59,1 Prozent. „Die Linkspartei spielt ein doppeltes Spiel“, meinte der DWE-Aktivist Willi Schulz im Gespräch mit der jungen Welt. „Einerseits präsentieren sie sich als Speerspitze der Kampagne, andererseits sind sie offenbar bereit den Volksentscheid fallen zu lassen, um den Koalitionsfrieden zu wahren.“ Die SPD hätte sich mit ihrer Verschleppungspolitik durchgesetzt. Während mit der Immobilienwirtschaft ein runder Tisch gebildet wurde, an dem über mehr Wohnungsbau beraten wird, wird über die Legalität und Umsetzbarkeit des Volksentscheides zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne erstmal ein Jahr eine Expert:innenkommission beraten. Die SPD hätte dafür gesorgt, dass in diesem Gremium hochkarätige CDU-Jurist:innen sitzen, die sich offen gegen den Volksentscheid positionierten.
Die Führung der Berliner Linkspartei hingegen feiert die Expert:innenkommission als vollen Erfolg linker Politik. Es wurde eine Viertelparität durchgesetzt (also dass die Mitglieder zu gleichen Teilen von SPD, Grüne, Linke und DWE ernannt werden), dass die Kommission öffentlich tagt, und dass nicht nur die Frage der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz geprüft wird, sondern auch über die Umsetzbarkeit diskutiert wird. Für den Bürgermeister Klaus Lederer liegt der Vorteil in der öffentlich tagenden Kommission darin, dass sie mit dem Thema Enteignung Politik machen können. „Wir müssen die Gesellschaft überzeugen, dass eine Vergesellschaftung auch langfristig sinnvoll ist“, betonte er in seiner Rede. Im September stimmten mehr Wahlberechtigte für die Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne als für die Koalitionsparteien insgesamt. Da stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wen überzeugen muss.
Erst in einem Jahr wird die Kommission dem Senat ihren Abschlussbericht übergeben. „Danach bleibt es offen, ob wir parlamentarische Mehrheiten finden“, betont auch die Vorsitzende der Berliner Linkspartei, Katina Schubert. Falls nicht, müsse die Partei bereit sein, einen zweiten Volksentscheid zu machen. Dann könnte DIE LINKE 2025 wohl ein zweites Mal Wahlkampf mit dem Volksentscheid machen.
Wie groß der Frust von DWE auf die Linkspartei ist, spiegelte sich auch in der Gastrede der DWE-Sprecherin Bana Mahmood wieder. Sie betonte die wichtige Rolle, die die Linkspartei in der Kampagne zum Volksentscheid gespielt hat: „Ihr habt als Partei den Volksentscheid unterstützt und euren Wahlkampf ganz wesentlich auf unserer Kampagne aufgebaut“, so Mahmood. „Aber ihr seid in eine Koalition mit einer Partei eingetreten, die die Vergesellschaftung ablehnt.“ Und die LINKE würde sich dem fügen. Die DWE-Kampagne hätte unzählige Stunden in Absprachen mit der Linkspartei gesteckt, doch dann sei der Super-GAU gekommen. „Unsere Initiative, früh gemeinsam Druck auf die SPD auszuüben, wurde abgeblockt und bei Verhandlungen auf Senatsebene wurden wir nicht mit einbezogen. Im Senat wurden Tatsachen geschaffen und wir wurden im Dunkeln gelassen“, kritisierte Mahmood in ihrer Rede auf dem Parteitag. Sie würden von der Linkspartei auch nach der Wahl erwarten, dass sie sich konsequent für eine Umsetzung des Volksentscheides einsetzen. „Sonst entsteht der Eindruck, dass ihr nur Wahlkampf mit uns gemacht habt“, so die DWE-Sprecherin.
Die Parteiführung verwehrte Mahmood den Applaus und auch einzelne Delegierte zeigten sich während ihrer Rede empört über die Vorwürfe. Viel Beifall gab es hingegen von den Delegierten der Ortsverbände Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. Auch Delegierte dieser Bezirke wie Niklas Schrader, Lucia Schnell oder Ferat Kocak stellten sich in ihren Reden auf Seiten der Enteignungs-Kampagne. „Ich bleibe dabei“, schloss Kocak seine Rede, „keine Koalition ohne Enteignung.“ Über eine Fortsetzung der Koalition wurde hingegen nicht abgestimmt und auch eine Kampfabstimmung über eine Resolution zu DWE konnte die Parteiführung abwenden. Die Debatte über eine Fortsetzung der Koalition soll erst im nächsten Jahr geführt werden.
Auch über den Krieg in der Ukraine wurde ausgiebig gesprochen. In den Reden der Berliner Parteispitze wurde die Bundesregierung viel kritisiert für die mangelnde Hilfe angesichts der vielen Geflüchteten, die derzeit in Berlin ankommen. Zumindest die Berliner Parteispitze vermied es jedoch, in ihren Reden auch die massiven Ausgaben für eine Aufrüstung der Bundeswehr zu kritisieren. Einzelne Delegierte wie Philipp Wohlfeil forderten sogar eine „grundlegende programmatische und moralische Erneuerung“ der Außen- und Friedenspolitik: ein NATO-Austritt dürfe nicht mehr Bedingung für eine Regierung mit SPD und Grünen sein. Prominente Schützenhilfe erhielt der Delegierte von der ehemaligen Sozialsenatorin Elke Breitenbach. Wie weit rechts der Landesvorstand auch in der Ukrainefrage steht, spiegelte sich auch in ihrer Beschlussvorlage wieder: mit Forderungen nach härteren Sanktionen und dem Schweigen über die Rolle der NATO und die Frage der Waffenlieferungen. Der Ortsverband Neukölln beharrte zwar darauf, dass letztere Punkte aufgenommen werden sollten, und stellte klar, dass unter Sanktionen nicht die Zivilbevölkerung leiden soll. Aber bei welchen Sanktionen gegen russische Unternehmen die Bevölkerung keine Nachteile hätte, darüber wurde sich in Schweigen gehüllt.
Während der letzte Parteitag von einer harten Auseinandersetzung zwischen der rechten Parteiführung und der linken Basis über die Debatte der Regierungsbeteiligung geprägt war, stand der Parteitag am Wochenende eher unter dem Zeichen der Versöhnung zwischen dem rechten und linken Lager. Die Parteiführung konnte ihren Kurs weitestgehend durchsetzen: sei es bei der Verschleppung des Volksentscheides oder der imperialistischen Sanktionspolitik, die derzeit zu einer großen Verarmung der russischen Bevölkerung führt.
Die Akzente des linken Flügels werden, das hat der Parteitag erneut gezeigt, keinen substanziellen Einfluss auf die Entwicklung der Partei haben. Reicht es aus, in einer politischen Konjunktur, in der Pro-NATO-Positionen und imperialistische Sanktionspolitik auch in der Linken immer salonfähiger werden, eine Diskussion zu führen, welche Sanktionen des deutschen Staates die russischen Arbeiter:innen nur in einem vertretbaren Maße treffen? Bekommt die Verschleppungspolitik des Volksentscheides mit einer Komission nicht noch mehr Legitimität, wenn diese auch vom linken Flügel mitgetragen wird und die Debatte über den Ausstieg aus der Koalition auf nächstes oder übernächstes Jahr verschoben wird? Gerade junge Parteimitglieder, die sich mit der Debatte um DWE nach links politisiert haben, dürfte der beim Parteitag bestätigte versöhnlerische Kurs der “Regieren-um-jeden-Preis-Fraktion” demoralisieren und in die Passivität drängen. Statt einen taktischen Frieden mit der Führung bräuchte es einen konsequenten Kampf um die richtige Linie – inklusive der Option, mit dem gesamten linken Flügel die Partei zu verlassen, wenn diese nicht die Regierung verlässt.
Eine kürzere Version dieses Artikels erschien am 4. April 2022 in der jungen Welt.