Berliner Lehrer:innen: Streikstrategiewechsel jetzt!
Bei GEW-Veranstaltungen diskutierten Lehrkräfte über den weiteren Verlauf ihres Streiks für kleinere Klassen. Nicht nur die Frage der Demokratisierung spielte für sie dabei eine große Rolle.
In über die ganze Stadt verteilten Streikversammlungen haben sich heute Hunderte Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter:innen und -psycholog:innen dafür ausgesprochen, ihren Streik für kleinere Klassen zuzuspitzen. Bisher hatte die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) sie etwa einmal pro Monat zu ein bis zwei Streiktagen aufgerufen. Doch seit mehr als einem Jahr hat es nicht einmal Verhandlungen gegeben. Die Kolleg:innen haben heute klar gemacht: So wie es läuft, kann es nicht weitergehen. Der Druck muss also erhöht werden!
In einigen Bezirken (Charlottenburg-Wilmersdorf, Neukölln, Lichtenberg) wurde sich trotz teils langer Gegenreden der Hauptamtlichen bei nicht einmal einer Handvoll Gegenstimmen für einen Erzwingungsstreik ausgesprochen. Das heißt: So lange streiken, bis die Forderung nach kleineren Klassen erfüllt wird – unbefristet streiken bis zum Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV G). Dafür solle die Tarifkommission (TK) und der Geschäftsführende Landesvorstand (GLV) der GEW Berlin die Verhandlungen in einem ersten Schritt für gescheitert erklären, um dann alle nötigen Schritte für eine Urabstimmung einzuleiten. In anderen (Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg, Spandau) dafür, dass der nächste Warnstreik fünf Tage am Stück andauert.
Auch gab es viel berechtigte Kritik an der Arbeitskampfleitung: Die Tarifkommission (TK) habe offensichtlicherweise keinen kurz-, mittel- und/oder langfristigen Streikplan und solle ihn, wenn doch, offenlegen! Außerdem haben für verschiedene Bezirke von der Bezirksleitung (BL) – nicht: der Mitgliederversammlung (MV) – gewählte, aber vielen Beschäftigen unbekannte TK-Mitglieder in der Vergangenheit anders abgestimmt als die Kolleg:innen, die sie vertreten sollen, in den Streikveranstaltungen. Doch der Streik solle den Streikenden gehören. Sie wollen selber darüber entscheiden, wofür, wann, wie lange und mit wem sie streiken. Dafür müssten die TK-Mitglieder sich freiwillig selbst zu einem imperativen Mandat verpflichten, also ihr Wahlverhalten nicht auf ihrer persönlichen Meinung, sondern der in der Streikversammlung ihres Bezirks mehrheitlich vertretenen zu basieren. Dafür müssten die TK-Mitglieder natürlich zu den Streikveranstaltungen kommen. In Neukölln war das nicht der Fall. In einer im Vergleich zu anderen demokratischen Gewerkschaft sollte beides eigentlich eine Selbstverständlichkeit darstellen – genauso wie die TK-Sitzungen für alle Interessierten zu öffnen. Tut es aber nicht.
So kam es in verschiedenen Bezirken zu Beschlüssen über die Forderungen, dass die TK die Namen ihrer Mitglieder kundtut, Erzieher:innen mit zum Streik aufruft und den Streik für den TV G mit dem der TVöD- und Post-Beschäftigten zusammenlegt. In Marzahn-Hellersdorf schlugen gleich mehrere Kolleg:innen den Generalstreik vor.
Vergangene Streikcafés empfanden verschiedene Streikende, unter anderem in Treptow-Köpenick, als von GEW-Referent:innen depolitisiert. Über den Streik und darüber, wie man ihn stärken kann, wurde nicht geredet und für politischen Austausch hatte es keinen Raum gegeben. Somit war die heutige Situation neu. Die Devise lautete: Weg vom gemeinsamen Kaffeetrinken hin zu tatsächlichen Diskussionen.
Auch wenn sowohl dort als auch in Mitte ohne vorherige Ankündigung plötzlich abmoderiert wurde und deshalb nicht abgestimmt werden konnte, war die Stimmung in diesen und insgesamt den meisten der genannten Streikversammlungen kämpferisch. Nachdem der Vorschlag der jungen GEW Berlin unterbreitet worden war, wurde stark geklatscht, sogar zustimmend gepfiffen. In Charlottenburg-Wilmersdorf erfand ein älterer Kollege ein Erzwingungsstreiklied, und stimmte es an – die meisten sangen mit.
Die Weichen sind gestellt. In mehr als der Hälfte der Streikcafés wurde sich für einen Strategiewechsel ausgesprochen. Nun müssen TK und GLV sich überlegen, was sie tun – und wir, wie wir damit umgehen, sollten sie so weitermachen, als sei nie etwas gewesen.