Berliner Lehrer*innen streiken mit Fahrrädern

13.05.2016, Lesezeit 5 Min.
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Berlin Lehrerstreik Lehrerstreik in Berlin. Ca. 3000 Lehrerinnen und Lehrer in Berlin streikten am Donnerstag den 12. Mai 2016 fuer eine tarifvertragliche Eingruppierungsregelungen fuer angestellte Lehrkraefte. Sie zogen mit einer Demonstration von der Senatsverwaltung fuer Bildung zum Brandenburger Tor. 12.5.2016, Berlin Berlin Teachers strike Teachers strike in Berlin Approx 3000 Teachers and Teacher in Berlin strike at Thursday the 12 May 2016 for a for Employees Lehrkraefte Them attracted with a Demonstration from the Senate administration for Education to Brandenburg goal 12 5 2016 Berlin

Fast 4.000 angestellte Lehrer*innen in Berlin traten am Donnerstag in den Streik. Sie ­fordern, das gleiche Gehalt wie ihre verbeamteten Kolleg*innen zu bekommen.

Manche Klischees bestätigen sich doch: Am Donnerstag vormittag zogen 3.800 angestellte Lehrer durch Berlin-Mitte. Gut jede*r zweite Demonstrant*in schob ein Fahrrad neben sich – Lehrer*innen eben. Deshalb wirkte die Demonstration noch viel größer.

Die Route ging von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung am Alexanderplatz zum Brandenburger Tor. „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“, riefen tausende. „So viele waren wir noch nie“, freute sich Dieter Haase von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin in seiner Begrüßung. Angestellte Lehrkräfte an Berliner Schulen machen die gleiche Arbeit wie ihre verbeamteten Kolleg*innen, aber pro Monat verdienen sie einige hundert Euro weniger. Das Land Berlin verbeamtet seit 2004 nicht mehr – inzwischen gehören 12.000 Pädagog*innen zur Niedriglohngruppe, fast die Hälfte aller Lehrkräfte in dem Land. Auch ihre Wut wird kontinuierlich größer.

Am Donnerstag fanden schriftliche Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss (10. Klasse) statt. Bestreikte Prüfungen wurden von Beamt*innen durchgeführt, dafür fiel der Unterricht an anderen Stellen aus. „Ich finde es gut, die Streiktage so zu legen, dass es den Druck auf den Senat erhöht“, sagte Florian Weiß, Lehrer an der Ernst-Reuter-Oberschule im Wedding. „Die Schüler*innen verstehen die Beweggründe für unseren Kampf und sind nicht unbedingt traurig, wenn etwas ausfällt.“

Die GEW fordert seit Jahren einen eigenen Tarifvertrag, eine sogenannte Lehrkräfte-Entgeltordnung (L-EGO), um die Gleichbehandlung zu erreichen. Parallel fordert die Gewerkschaft, dass Grundschullehrer*innen genauso entlohnt werden wie Gymnasiallehrer*innen – schließlich ist das Ausbildungsniveau ähnlich, allerdings arbeiten an Grundschulen mehr Frauen.

Gerade die jungen Pädagog*innen beklagen sich nicht sehr laut über das Gehalt an sich. „Jammern auf hohem Niveau“ nennt das ein Streikender. Denn junge Lehrkräfte werden automatisch in die höchste Erfahrungsstufe eingruppiert. Das bedeutet ein hohes Einstiegsgehalt, aber eines, das auch nach Jahrzehnten nicht mehr steigt. Diese „Nebenabrede“ ist darüber hinaus nicht tariflich geregelt und könnte jederzeit vom Senat gekündigt werden.

„Es geht viel mehr um Gerechtigkeit“, so Mirjam Kutzner, Lehrerin an der Ringelnatz-Grundschule in Reinickendorf. Weil sie das Referendariat an einem Gymnasium gemacht hat, verdient sie deutlich mehr als ihre Kolleg*innen an ihrem aktuellen Arbeitsplatz. Für sie gibt es weitere drängende Fragen: „Wir brauchen mehr Lehrer*innen, mehr Sozialarbeiter*innen, kleinere Klassen und weniger Arbeitsstunden. Unsere Arbeitsbedingungen sind schlecht, und dagegen hilft nicht einmal der beste Lohn der Welt.“

Ingmar Meinecke, Lehrer am Leibniz-Gymnasium in Kreuzberg, sieht das ähnlich: „Viele Kollegen arbeiten nur Teilzeit, weil sie das sonst nicht durchhalten.“ Am Gymnasium haben sie 26 Unterrichtsstunden pro Woche, an der Grundschule 28. Mit Vor- und Nachbereitung komme man schnell auf 50 Arbeitsstunden oder mehr. „In der Tarifrunde könnte die GEW mehr über Arbeitszeit und Mindestbesetzungen reden, so wie die Kolleg*innen an der Charité es neulich durchgesetzt haben.“

Lehrkräfte von einer Europaschule, in der bilingual auf deutsch und türkisch unterrichtet wird, machen darauf aufmerksam, dass es noch größere Unterschiede in der Bezahlung gibt. Sie wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen, aber als Lehrkräfte mit einem ausländischen Abschluss werden sie niedriger eingruppiert.

Eine Lehrerin an der gleichen Schule unterrichtet Deutsch als Fremdsprache für eine „Willkommensklasse“ mit geflüchteten Jugendlichen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. Sie ist in der Entgeltgruppe 10, obwohl sie mehrere Hochschulabschlüsse in ihrem Fach hat. Netto verdient sie 1.000 Euro weniger pro Monat als Kolleg*innen in der Entgeltgruppe 13. Ihr Arbeitsvertrag ist außerdem auf anderthalb Jahre befristet. „Die vollkommen unterschiedliche Bezahlung ist einfach nicht OK“ sagt sie.

20 Streiktage hat die GEW Berlin seit Anfang 2013 organisiert. Die Arbeitsniederlegung am Donnerstag war die bisher größte in dem dreijährigen Kampf. Ende April hatte Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) bei einem Treffen erstmals Bereitschaft zu Verhandlungen gezeigt – mehr aber auch nicht. Ähnliche Arbeitsniederlegungen fanden Anfang Mai in Sachsen statt – in dem Bundesland wird sogar seit 1990 nicht mehr verbeamtet. Die Frage für die Gewerkschaften ist nicht nur, wie eine bundesweite Bewegung entstehen kann – gewerkschaftlich Aktive müssen sich auch überlegen, wie sie zusammen mit Schüler*innen und Eltern eine breite Bewegung für bessere Bildung aufbauen können. Denn am Donnerstag waren mehr Lehrer*innen als je zuvor auf der Straße, aber leider weniger Schüler*innen als bei früheren Ausständen.

An einem offenen Mikrofon verwies die Schülerin Tabea Winter darauf, dass „am anderen Ender der Stadt auch gestreikt wird“. Die Beschäftigten vom Botanischen Garten waren am Donnerstag ebenfalls im Warnstreik. Sie fordern ebenfalls „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, da ein Teil der Belegschaft bei einem Tochterunternehmen angestellt ist und bis zu 42 Prozent weniger verdient. Die Losung ist die gleiche – die Gegner*innen vom Berliner Senat sind auch identisch.

Dieser Artikel in der jungen Welt

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