Berliner Kita-Streik: Erzwingungsstreik jetzt! 

26.07.2024, Lesezeit 9 Min.
1
Foto: Marco Verch / Creative Commons

Bereits seit einigen Wochen wird in Berliner Kitas für einen Tarifvertrag Entlastung gestreikt. Der Streik ist einer der kämpferischsten der letzten Jahre und von besonderer Bedeutung in Zeiten des Rechtsrucks und der Kürzungspolitik. Warum braucht es einen Erzwingungsstreik für einen erfolgreichen Abschluss?

Die Beschäftigten der fünf Berliner Kita-Eigenbetriebe sind streikbereit! Nachdem sie zuletzt im Herbst 2023 anlässlich der TV-L-Runde gestreikt hatten, kämpfen sie aktuell für einen Tarifvertrag Entlastung (TV-E). In diesem sollen unter anderem eine geringere Gruppengröße, ein besserer Fachkraft-Kind-Schlüssel und mehr Zeit für Vor- und Nachbereitung festgehalten werden. Dies ist dringend notwendig, denn die Bildungs- und Betreuungskrise ist seit Jahren in aller Munde, doch aus der Politik wird wenig dafür getan, sie zu stoppen. Erzieher:innen haben im Durchschnitt zehn Krankheitstage pro Jahr mehr als Beschäftigte aus anderen Berufen – viele davon aus psychischen Gründen. 

Ein streikender Erzieher berichtete uns im Interview:

 „Wir konnten selten alle Räume öffnen, einfach weil nicht genug Personal da ist, beziehungsweise das Personal so viele Zusatzaufgaben hat. Mir liegt was an den Kindern und ich möchte meine Vorstellung von Arbeit, wirklich richtig in die Kinder investieren zu können, umsetzen können. Und das geht bei der Belastung nicht.“

Deshalb ist es besonders wichtig, dass dieser Streik konsequent geführt wird. Den Druck, der durch eine allgemeine Arbeitsniederlegung entsteht, kann man schon alleine an den heftigen Gegenreaktionen aus bürgerlichen Medien und Senat ablesen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass ver.di eine Urabstimmung angekündigt hat, ob es zu einem Erzwingungsstreik kommen soll.

Dramatische Situation in den Kitas

Durchschnittlich fehlen pro Einrichtung mehr als zwei Fachkräfte. Kombiniert mit der hohen Anzahl an Krankheitstagen ist es mehr als verständlich, dass viele an ihr Limit kommen. Dies drückte sich auch an der Teilnahme an den Streiks aus: Vorletzte Woche fand ein fünftägiger Streik statt, an dem pro Tag rund 3.000 Kolleg:innen teilnahmen – die Kita-Eigenbetriebe beschäftigen insgesamt rund 7.000 Pädagog:innen. Der mediale Unmut über die Streiks ist groß: „Dramatische Krise“, „Grenzt an Kindeswohlgefährdung“, „Großer Kita-Streik trifft Zehntausende Berliner Familien“, lauten nur einige der Schlagzeilen. Auch haben vier der fünf Berliner Kita-Eigenbetriebe eine Petition gestartet, den Streik zu stoppen. Bislang hat sie 4.500 Unterschriften. Die Kindertagesstätten Berlin-Südwest beteiligen sich nicht daran. Unter dem Artikel sind auch Kommentare von Streikenden zu finden, die an die Eltern appellieren, sich solidarisch mit ihrem Arbeitskampf zu zeigen: 

„Wir streiken FÜR eure Kinder, weil wir unsere Arbeit gut machen möchten und nicht nur verwahren wollen! Es ist doch längst auf eurem Rücken und dem eurer Kinder! Genauso wie auf dem Rücken von uns pädagogischen Fachkräften! Also zieht mit uns an einem Strang, anstatt dass wir gegeneinander arbeiten!“ 

Erzwingungsstreik jetzt!

Der Berliner Senat ist nicht bereit, Verhandlungen aufzunehmen und schiebt rechtliche Gründe vor. Wohl als Reaktion auf den Druck von allen Seiten hatte ver.di vergangene Woche angekündigt, dass es in den nächsten Wochen durch Streiks nicht zu Kitaschließungen oder Verkürzungen der Betreuungszeiten kommen würde. Es ist jedoch essentiell, dass der Druck aufrechterhalten wird, um durchsetzungsfähig zu bleiben. Schließlich steht hier die Gesundheit tausender Kolleg:innen als auch die Bildung von noch viel mehr Kindern auf dem Spiel. Genau deshalb ist es auch der richtige Schritt, dass die ver.di-Führung die Urabstimmung zum Erzwingungsstreik angekündigt hat. 

Die einzig richtige Option zum Wohle sowohl der Kolleg:innen als auch der Kinder ist es, für den Erzwingungsstreik zu stimmen. Neben der Abstimmung muss ver.di jetzt in allen Betrieben Versammlungen organisieren, in denen über die Perspektiven des Streiks, die mediale Hetze, den Druck durch besorgte Eltern und den Umgang mit all dem für einen erfolgreichen Streik diskutiert werden kann. Man muss alle Kolleg:innen vereinen und insbesondere gegen die mediale Hetze stärken, um einen kraftvollen Streik zu ermöglichen. In diesem Rahmen muss auch über Streikdemokratie diskutiert werden und die Einrichtung einer durch imperative Mandate ausgestatteten Arbeitskampfleitung und Tarifkommission. Dass dies nötig ist, zeigt das Verhalten der ver.di-Führung letzte Woche.

Letzte  Woche fanden zwei weitere Streiktage statt, am Mittwoch und am Donnerstag. Jedoch seien laut dem zuständigen Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel nicht alle Kolleg:innen der streikenden Kita-Betriebe aufgerufen worden. „Wir haben durch organisatorische Maßnahmen und Absprachen sichergestellt, dass nur ein kleiner Teil der Beschäftigten die Arbeit niederlegt“, so Kunkel. Auch wenn unklar bleibt, wie dieses Verfahren aussah, scheint dies nicht besonders demokratisch oder transparent. Dass weniger Kolleg:innen aufgerufen waren, schlug sich am Mittwoch auch klar in einer geringeren Streikbeteiligung nieder.

Diese Streiktaktik trägt nicht dazu bei, den Streik zu einem Erfolg zu führen. Wenn nur wenige Kolleg:innen aus derselben Einrichtung überhaupt streiken dürfen, ist es leichter für unsolidarische Leitungen oder Kolleg:innen, die Streikenden einzuschüchtern. Auch müssen die Kolleg:innen, die nicht zum Streik aufgerufen wurden, mehr Arbeit leisten, um das Fehlen der Streikenden auszugleichen. Das belastet die Psyche und Gesundheit und steht in einem totalen Widerspruch zum TV-E. 

Oft ist es in Kitas so, dass nicht alle Pädagog:innen gleichzeitig vor Ort sind. Jemand ist krank, jemand hat Urlaub, jemand ist bei einer Fortbildung. Und diese Woche sind noch ein paar im Streik. Natürlich stellen Kita-Streiks viele Eltern vor eine Herausforderung. Nicht alle haben Angehörige, die sich um die Kinder kümmern können und wollen, nicht alle können im Home-Office arbeiten und nebenbei ein bisschen die Kinder betreuen. Um wirkliche Veränderungen für Pädagog:innen und Kinder zu erkämpfen, braucht es jedoch den Streik. Angesichts dessen, dass der Senat nicht einmal bereit ist, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, und zusätzlich die Betriebe gegen den Streik hetzen, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass es ohne Streik zu Veränderungen kommt.

Die demokratische Kontrolle über den Streik ist auch notwendig, um Streiks von Erzieher:innen und Lehrer:innen zusammenzuführen. Nach den Sommerferien wird es voraussichtlich weitere Streiktage der Berliner Lehrer:innen für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV-G) geben, welcher kleinere Klassen und mehr Schulsozialarbeiter:innen und -psycholog:innen fordert. Es gab bereits einen Streiktag, an dem die Lehrer:innen und die Kitabeschäftigten zeitgleich aufgerufen wurden. Jedoch gab es keine gemeinsamen Aktionen oder Kundgebungen. Bildung fängt bereits im Kleinkindalter an und in Kitas werden wichtige Grundlagen für die Schullaufbahn gelegt. In beiden Bereichen sind die Pädagog:innen, meistens Frauen, zu schlecht bezahlt, zu wenig wertgeschätzt und haben mit gesundheitlich belastenden Arbeitsbedingungen zu kämpfen. In zu großen Gruppen oder Klassen und völlig ausgebrannten Pädagog:innen können Kinder ebenfalls nicht gut lernen. Sowohl im TV-G als auch im TV-E geht es nicht um ökonomische Forderungen, sondern um Verbesserungen der Arbeits- und Lernbedingungen, die für viele Menschen einen Unterschied machen können. Darum ist es wichtig, dass es gemeinsame Streiktage und Aktionen dieser beiden Entlastungsbewegungen gibt. Wenn Erzieher:innen und Lehrer:innen zusammen streiken, baut dies noch mehr Druck auf. 

Von Gegner:innen des Streiks wird argumentiert, dass ein erfolgreicher TV-E für die kommunalen Kitas das Ungleichgewicht zwischen den kommunalen und den städtischen Kitas vergrößern würde. Ihre Schlussfolgerung, dass darum niemand streiken sollte, bedeutet, das Bildungssystem immer weiter an die Wand fahren zu lassen und nichts dagegen zu tun. Dahingegen müssten sich ver.di und GEW dafür einsetzen, dass auch Beschäftigte aus den freien Trägern streiken können. Dies würde dem Streik zu einem größtmöglichen Erfolg verhelfen. 

Für Politisierung des Streiks gegen den Rechtsruck und die Kürzungspolitik 

Dass sich Erzieher:innen und Lehrer:innen zusammentun ist nicht nur notwendig, um ihre Gesundheit zu schützen, sondern auch, um gegen die Kürzungswelle zu kämpfen. Schon im letzten Haushalt hat die Bundesregierung massivst in Gesundheit, Bildung und Institutionen zum Schutz vor patriarchaler Gewalt wie Frauenhäusern gekämpft – als besonders oft von Frauen ausgeübte Jobs ist es deshalb notwendig, sich in Streiks auch gegen diese Politik zu richten. Diese wird nämlich im jüngst veröffentlichten Haushalt fortgesetzt. Dieses Mal wird besonders bei der Rente Axt angelegt, die vor allem bei Erzieher:innen sowieso schon niedrig ausfällt. Bei dem Landeshaushalt gilt dasselbe Spiel: Auch hier wurde massiv an Bildung und Gewaltprävention gekürzt, ohne Aussicht auf Besserung. Dies alles passiert in einem Kontext von einem massiven Aufstieg der AfD. In allen Landtagswahlen, die dieses Jahr in Ostdeutschland stattfinden, besteht die Gefahr, dass die AfD stärkste Kraft wird. Solche Kürzungen, wie sie der Bund und das Land Berlin vorantreiben, bedeuten heftige soziale Prekarisierung und wirken damit wie ein Brandbeschleuniger für die AfD. Das effektivste Mittel, um gegen die AfD und das Regime von Ampel und Schwarz-Rot zu kämpfen, ist es, gegen sie zu streiken. Es ist daher notwendig, die Erzwingungsstreik nicht nur für besseren Gesundheitsschutz, sondern auch für eine Rücknahme aller Kürzungen und für massive Investitionen in Bildung und Soziales und gegen die AfD zu führen.

Mehr zum Thema