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Berlin: Weniger ist mehr. GEW-Streik für kleinere Klassen

29.06.2022, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Raya Eilers

Nachdem die Berliner Sektion der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Lehrer:innen im April zu einem ersten eintägigen Warnstreik aufgerufen hatte, ging der Kampf nun heute weiter.

Noch vor dem Gewitter am heutigen Mittwoch, den 29. Juli, gingen 2.500 in der Hauptstadt Lehrende für kleinere Klassen auf die Straßen.

Die Demonstration anlässlich des Streiks durch Berlin-Mitte zum Roten Rathaus wurde von Lehrer:innen und GEW-Mitgliedern begleitet – hauptsächlich jüngere Beschäftigte. Schließlich sind viele ältere Lehrer:innen verbeamtet und dürfen so legal nicht streiken. Die Verbeamtung wird vielfach als Erlösung von schlechter Bezahlung dargestellt, doch sie führt nur dazu, den Lehrer:innen ihre Streikkraft zu nehmen. Viele Verbeamtete seien trotzdem solidarisch, so Shadi Henninger, Vertretungslehrerin in Berlin Moabit.

Auch Schüler:innen nahmen an der Demonstration teil. Denn gerade diese bekommen die Auswirkungen des Lehrer:innenmangels in ihrer Kindheit aufs Bitterste zu spüren, wie Shadi Henninger darstellt: „In jeder Klasse ist es eine Gemeinschaft von Individuen, die alle unterschiedlichste Bedürfnisse haben. Und darauf einzugehen braucht Zeit und braucht Personal. Und die haben wir nicht derzeit an den Schulen. In einer Klasse von 26 Kindern habe ich beispielsweise sieben Kinder mit einem Förderbedarf. Der diagnostiziert wurde.“

Mit dem Streik statuiert die GEW ein Exempel und wird dafür von Politik und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) scharf kritisiert. Denn die Forderungen nach kleineren Klassen gehören eigentlich in die TV-L-Verhandlungen.

Doch statt an Statuten orientiert sich die Lehrer:innengewerkschaft an der Berliner Krankenhausbewegung. Ganz nach dem Motto: „Wenn Pfleger:innen Entlastung erkämpfen konnten, unter anderem durch die Festlegung eines Schlüssels, müssen Lehrer:innen es auch dürfen!“

Momentan gibt es gar keine Obergrenze, sodass viele Klassen 30 Schüler:innen umfassen – oder sogar mehr. Um Kinder und Jugendliche mit Förderstatus können Lehrkräfte sich nicht einmal nur nicht angemessen, sondern zum Teil gar nicht kümmern. Daher ist eine der erhobenen Forderungen, dass Schüler:innen mit Förderbedarf doppelt gezählt werden, um beispielsweise auch ihre Familien bei der Wohnungssuche oder aufenthaltsrechtlichen Problemen unterstützen zu können.

Solange wie jemand gleichzeitig die Aufsichtspflicht für 29 andere innehat, kann diese Arbeit nicht geleistet werden. Die Folge: An einer Oberschule sind schon so viele junge Lehrer:innen nach wenigen Jahren aufgrund eines Bournouts in Teilzeit gegangen oder gar aus dem Beruf ausgestiegen, dass kaum noch damit gerechnet wird, dass neue Kolleg:innen in Vollzeit bleiben.

Daher geht es auch darum, dieser Überlastung präventiv entgegenzuwirken und damit natürlich auch den Lehrer:innenmangel zu bekämpfen, der einen weiteren Grund für die Klassengrößen darstellt. Wenn der Beruf nicht mehr mit Stress und psychischer Belastung assoziiert werden würde, gäbe es in der Zukunft mehr Entscheidungen für ein Studium auf Lehramt.

Ein großes Problem ist auch, dass es zu wenig Studienplätze gibt – unter anderem wegen der hohen Numeri Clausi (NC). Dieser müsse angeblich fortexistieren, da es nicht genügend Lehrstühle gäbe, mit denen Verwaltungsangestellte, Räume, und vieles mehr einhergehen würden.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders verheerend, dass der von SPD, Grünen und Linkspartei geführte Berliner Senat nach den letzten Haushaltsverhandlung entschied, sieben Millionen Euro in der Lehrkräftebildung einzusparen. Verwunderlich ist es aber nicht. Schließlich hatten zwar alle drei Regierungsparteien Wahlkampf mit der Forderung nach kleineren Klassen gemacht, doch verweigert Finanzsenator Daniel Wesener (Bündnis 90/Die Grünen) der GEW nach wie vor jegliches Gespräch. Außerdem hatte auch Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) schon im Zusammenhang mit dem ersten Streiktag im April versucht, Lehrer:innen von der Arbeitsniederlegung abzuhalten. Sie hatte dafür plädiert, in den schwierigen Zeiten, die wir angesichts der Aufnahme​​ von inzwischen mindestens 60.000 ukrainischen Geflüchteten durchleben, zusammenzustehen – ganz so, als wäre es nicht gerade für Menschen, die vor Kurzem ein Kriegsgebiet verlassen haben, zentral, ihre Kinder in guten Händen zu wissen.

Natürlich wird eine Festschreibung von maximalen Klassengrößen in einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz diese strukturellen Probleme nicht schlagartig lösen. Doch müsste sich tatsächlich endlich etwas bewegen. Außerdem könnte, wenn es wie bei der Krankenhausbewegung an der Umsetzung der erkämpften Entlastung scheitert, gegen die Untätigkeit geklagt werden. Denn gefordert wird auch, jährlich 2.000 Lehrkräfte auszubilden.

Kleinere Klassen sind aber nicht nur im Interesse der Lehrenden. In erster Linie würden natürlich die Schüler:innen davon profitieren, von denen seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie viele über eine Vermehrung der Schwierigkeiten klagen. Dass die rot-rot-grüne Landesregierung die Mietpreisbremse abgeschafft hat, macht die erfolgreiche Suche nach einer größeren Wohnung für viele Familien schlichtweg zu einer Unmöglichkeit; der Online-Unterricht und insbesondere die Abschottung voneinander hat zu enormen Lernrückständen und erheblich mehr individuellen Förderbedarf geführt; und vieles mehr.

Aber auch von der GEW heute nicht einmal zum Solidaritätsstreik, geschweige denn zum Streik aufgerufene, outgesourcte Sozialarbeiter:innen, Erzieher:innen, Heilerzeihungspfleger, Schulpsycholog:innen, Hausmeister und Reiningungskräfte könnten viel wirkungsvollere Arbeit verrichten, wenn die Klassen verkleinert würden. Schließlich können die Pädagog:innen unter ihnen nicht alle Kinder und Jugendliche adäquat begleiten, die dies bräuchten. Für die nächsten Streiktage ist deshalb zentral, dass auch all diese Berufsgruppen mit zum Streik aufgerufen werden.

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