Berlin: Warnstreiks der angestellten LehrerInnen
Mittwoch vormittag, Berlin-Charlottenburg: An der Friedensburg-Oberschule in Charlottenburg, einer zweisprachigen deutsch-spanischen Europaschule, demonstrieren 19 LehrerInnen mit Schildern und Trillerpfeifen um das Schulgebäude herum. „Ich streike, weil ich gegen die Prekarisierung der Bildung bin“, steht auf einem handgemalten Plakat. Ein Musik- und Mathelehrer erklärt, dass er bis zu 800 Euro weniger verdient als seine verbeamteten Kollegen: „Davon kann ich mir keine Zwei-Zimmer-Wohnung leisten, und das sollte eigentlich für einen Lehrer drin sein.“ Wegen der hohen Arbeitsbelastung gibt es auch bei jungen LehrerInnen viele Krankheitsausfälle.
Die LehrerInnen mit ausländischem Hochschulabschluss – und an dieser Schule sind es viele – bekommen zudem bis zu 700 Euro weniger als ihre angestellten KollegInnen mit deutschem Abschluss. Manche kommen gerade auf ein Drittel des Einkommens wie ein Kollege im nächsten Zimmer. „Ich habe einen europäischen Titel und trotzdem werde ich wie ein Lehrer zweiter Klasse behandelt“, sagt Adria Gimeno (31), der zwei universitäre Abschlüsse in Spanien gemacht hat und Englisch und Spanisch unterrichtet. „Wozu haben wir den ganzen Bolognascheiss gemacht?“
„Ich mache das alles gern, aber dieser Job lässt dir keine Zeit für ein Leben“ sagt Sonia Ruiz (27), die ebenfalls Englisch- und Spanischlehrerin ist. Berliner LehrerInnen müssen 26 Wochenstunden unterrichten, aber: „Als Lehrer muss man auch ein bisschen Sozialarbeiter und ein bisschen Psychologe sein.“ Mit Korrektorat, Vertretungen, Sitzungen, Elternkontakt und anderen Aufgaben komme man stets auf mehr als 50 Arbeitsstunden die Woche. Für sie geht es bei diesem Arbeitskampf nicht nur um Lohn, sondern um die Arbeitsbedingungen überhaupt.
Drei verbeamtete LehrerInnen kommen vorbei und sprechen ihre Unterstützung aus. Ein Streikender erfährt, dass er in seinem Ethikkurs gerade durch einen Beamten vertreten wird – ein klarer Fall von Streikbruch – etwas, wozu laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kein Beamter verpflichtet werden darf. Schülerin Natalia Sánchez (18) hat im Jahr 2011 selbst am Bildungsstreik teilgenommen und spricht nun den Lehrern ihre Unterstützung aus. „Damals waren die Lehrer solidarisch, nur die Schulleitung hat unsere Aktion verboten und jedem einen unentschuldigten Fehltag gegeben.“
Insgesamt an 70 Berliner Schulen haben am Mittwoch und Donnerstag angestellte LehrerInnen für je zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Die GEW fordert damit gleiche Bezahlung für angestellte und verbeamtete LehrerInnen. Von den 33.000 Lehrkräften in der Stadt sind rund 7.000 im Angestelltenverhältnis. Bei BerufsanfängerInnen wird das grundsätzlich so gehandhabt, wodurch der Anteil der Beamten kontinuierlich sinkt, erklärte Susanne Reiß vom Vorstand der GEW Berlin. Ihr Verdienst liegt nach Gewerkschaftsangaben etwa 15 Prozent niedriger als der der verbeamteten KollegInnen. Da es zur Zeit keinen Tarifvertrag für die Angestellten gibt, diktiert der Berliner Senat einseitig, wie sie eingruppiert und bezahlt werden.
Von den Warnstreiks betroffen waren Gymnasien, Sekundarschulen, Oberstufenzentren und einige Grundschulen. Die Beteiligung war laut GEW hoch. Für viele junge Lehrer war es der erste Arbeitskampf. An der Kurt-Tucholsky-Oberschule in Pankow solidarisierte sich ein Aktionskomitee der Schüler mit den zehn Lehrern, die den Unterricht verlassen hatten. Dazu hatten sie Flyer verteilt und ein Transparent aufgehängt. Am Dienstag hatten bereits rund 200 LehrerInnen auf dem Potsdamer Platz für gleiche Bezahlung demonstriert.
Die angestellten Lehrer der Friedensburger Oberschule wollen nun eine Basisgruppe der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gründen. Gleichzeitig hat sich der Senat zu Kontakten mit der Gewerkschaft bereiterklärt, jedoch nicht zu Tarifverhandlungen. Die neue Basisgruppe kann sich also auf weitere Arbeitsniederlegungen vorbereiten.
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