Berlin: Warnstreik der Landesbeschäftigten

08.03.2013, Lesezeit 5 Min.
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Rund 50.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Länder haben am Mittwoch bundesweit die Arbeit niedergelegt, um ihren Forderungen im Tarifstreit einen Tag vor der dritten Verhandlungsrunde Nachdruck zu verleihen. Dies teilte die Gewerkschaft ver.di mit, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach sogar von 60.000 Streikenden.

Bei strahlendem Sonnenschein beteiligten sich rund 12.000 Menschen an einer Demonstration durch Berlin-Mitte. In der Hauptstadt waren 7.000 LehrerInnen und ErzieherInnen an über 500 Schulen in den Streik getreten. Dazu kamen Tausende Beschäftigte des Landes, etwa von den Bürgerämtern und den Jobcentern.

Am heutigen Donnerstag findet in Potsdam die dritte Verhandlungsrunde zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und den Gewerkschaften ver.di, GEW, GdP und dbb statt. Betroffen sind rund 800.000 Tarifbeschäftigte. Am späten Nachmittag haben daher 10.000 Streikende in Potsdam demonstriert, um den Forderungen nach 6,5 Prozent mehr Lohn, einer Anhebung der Ausbildungsvergütungen um 100 Euro monatlich und einer Übernahmegarantie für Auszubildende Nachdruck zu verleihen. Auch protestierte die GEW gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen, hohe Arbeitsbelastung und die Ungleichheit zwischen angestellten und verbeamteten LehrerInnen.

„Solange es keine Entgeltordnung für angestellte Lehrkräfte gibt, gibt es auch keinen Arbeitsfrieden an Berliner Schulen!“ sagte Doreen Siebernik, Vorsitzende der GEW Berlin. Tatsächlich hatten mehr LehrerInnen am Ausstand teilgenommen als beim letzten Warnstreik vor zweieinhalb Wochen. Siebernik nannte die aktuelle Situation „wie im Feudalismus“, da die Behörden „nach Gutsherrenart“ über die Bedingungen der LehrerInnen entscheiden könnten.

„Justice for all“, also „Gerechtigkeit für alle“, wollte Claudia Jolitz, eine Lehrerin für Spielpädagogik an der Jane-Addams-Schule für Sozialwesen in Friedrichshain. „Es schafft auf Dauer Unmut, wenn manche mehr und andere weniger verdienen“, stimmte eine Kollegin von der gleichen Schule zu. Sie arbeitet seit 1989 dort, aus den ursprünglich 23 Wochenstunden sind nun 26 geworden. „Man denkt, Lehrer hätten viel Freizeit“ erzählt sie, „aber jetzt in den Osterferien müssen wir über 100 Klausuren korrigieren.“ Da ihre SchülerInnen selbst zu ErzieherInnen ausgebildet werden, gibt es viel Unterstützung für die Warnstreiks aus den Klassen. „Hier sind auch viele ehemalige Schüler von uns dabei.“

„Ich will auf Klassenfahrt mitfahren!“ forderte Jolitz auf einem handgemalten Schild. Nur verbeamtete LehrerInnen werden für die Fahrten eingeteilt, denn angestellte LehrerInnen bekommen dafür einen Dienstreisezuschlag. Da aber die älteren KollegInnen in der Regel weniger Energie für eine Woche mit Jugendlichen haben, finden weniger Klassenfahrten statt. Die Ungleichheiten zwischen BeamtInnen und Angestellten an den Schulen betreffen nicht nur den Lohn. Zwei junge LehrerInnen einer spanischsprachigen Europaschule forderten auf einem Transparent „Igualdad“ („Gleichheit“), denn mit einem ausländischen Hochschulabschluss bekommen sie weniger Geld.

Zwar waren die weißen und roten Westen der GEW deutlich in der Überzahl, doch gab es auch zahlreiche neonglebe Westen von ver.di. „Für mich ist die wichtigste Forderung die Übernahme der Auszubildenden“, betont eine Frau vom Jugendamt in Reinickendorf, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Obwohl viele KollegInnen in Rente gehen, werden die meisten Azubis nicht übernommen – nur einige bekommen einen Arbeitsvertrag, auf ein Jahr befristet. „Man merkt, dass die Arbeitsbelastung zunimmt“, sagt sie.

Als „Uni-Prekariat“ bezeichnen sich Laura Calbet und Lisa Vollmer von der Technischen Universität Berlin auf selbstgemalten Schildern. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Stadtplanung und die Doktorandin der Soziologie gehören zu den wenigen Hochschulbeschäftigten, die bei der Demonstration zu treffen sind. „Wir Akademiker haben eine sehr lange Ausbildung und dann sehr unsichere Arbeitsverhältnisse“ erklärt Vollmer. An den Unis werden nur noch befristete Verträge vergeben, die zudem nicht verlängert werden dürfen. „Es gibt wenige Gewerkschaftsmitglieder an den Hochschulen“, äußerte Calbet. „Viele sehen sich auch gar nicht als Angestellte, weil sie alle zwei Jahre ein neues Projekt finden müssen“, ergänzt Vollmer. Beide fanden den Punkt „gegen prekäre Arbeitsverhältnisse“ im Aufruf der GEW gut und nahmen daher erstmals an einem Warnstreik teil.

Am Ende der Kundgebung gibt es noch Solidaritätsbotschaften von Studierenden. „Eure Arbeitsbedingungen von heute sind unsere Arbeitsbedingungen von morgen“, sagt Markus Oliver von der marxistischen Gruppe Waffen der Kritik. Lasse Thiele von der Bildungsstreik-Initiative an der Freien Universität Berlin betont: „Wir haben viele gemeinsame Ziele, für die wir gemeinsam kämpfen sollten.“ Die Beteiligung von SchülerInnen war trotz des Unterrichtsausfalls ziemlich gering, nur von der Kurt-Tucholsky-Oberschule in Pankow kamen etwa zwei Dutzend SchülerInnen. „Die Forderungen der Gewerkschaft sind ein Anfang, aber nicht ausreichend für ein freies, selbstbestimmtes Bildungssystem“, so einer von ihnen, Fabian Wolf. Er hofft auf gemeinsame Proteste mit den LehrerInnen.

Für Freitag planen angestellte Lehrkräfte in Berlin ein Protestfestival um 16 Uhr am Brandenburger Tor, um ihren Kampf für Gleichbehandlung auch außerhalb der Tarifrunde fortzusetzen. Um die Forderungen der Berliner LehrerInnen durchzusetzen, müssen die Proteste über die bundesweite Tarifrunde hinaus fortgesetzt werden. Doch die Führung der GEW wird wenig in diese Richtung unternehmen, wenn sie nicht durch die demokratische Selbstorganisierung der Basis unter Druck gesetzt wird. Deswegen ist es sehr wichtig, dass junge, prekär beschäftigte LehrerInnen in Berlin in den letzten Wochen erste Schritte der Organisierung unternommen haben..

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