Berlin: Schlechte Jobs am neuen Flughafen
Zehntausende neue Jobs sollte der neue internationale Großflughafen Berlin-Brandenburg der Region bringen. Die Skandale um die nicht funktionsfähige Brandschutzanlage und die daraus folgende Dauerverschiebung der Eröffnung haben das Jobversprechen beinahe in Vergessenheit geraten lassen. Statt dessen berichtete die Presse von wütenden und verzweifelten LadenbetreiberInnen und TaxifahrerInnen, denen die Insolvenz droht, weil der Großflughafen BER erst im März nächsten Jahres seine Startbahnen freigeben soll.
Doch Beschäftigte in Berlins beiden weiterhin offenen und nun auch maßlos überlasteten Flughäfen Schönefeld und Tegel sind teilweise recht froh über das Bauchaos. Zwar heißt es von Sicherheitsbediensteten der Firma „Securitas“ unisono: „Wir dürfen keine Auskunft geben“. Doch es gibt viele ArbeiterInnen, die nicht nur wegen längerer Fahrtzeiten, die für die Tegel-Beschäftigten anstehen, über den Umzug verärgert sind.
Vor allem die lang gedienten Angestellten merken die Verschlechterungen. Klaus Leßlauer arbeitet seit 20 Jahren als Gepäckabfertiger in Tegel. Er erzählt: Die Kluft zwischen den Löhnen an den Flughäfen in West- und Ostberlin wurde schon in den 1990er Jahren ausgeglichen. Doch das bedeutet heute nur, dass die Bezahlung in beiden Teilen der Stadt gleich schlecht ist. Das gesamte Bodenpersonal ist bereits an die Firmen GlobeGround, GSI und Acciona ausgegliedert worden.
Es konnte mit der Gewerkschaft ver.di mit einer Reihe von Warnstreiks im Sommer 2010 einige Verbesserungen durchsetzen. Doch auch ein Warnstreik in der Tarifrunde im März dieses Jahres hielt die voranschreitende Prekarisierung der Arbeitsbedingungen nicht auf. Am neuen Flughafen wird sich die Ausgliederung fortsetzen – so wird die Gepäckabfertigungsanlage im Keller nun durch eine weitere Firma betrieben, die ihre Arbeitskräfte ausschließlich über Werkverträge anstellt.
„Letztendlich ist der neue Flughafen eine Jobmaschine auf Niedriglohnbasis“, meint Betriebsrat Leßlauer. Milliarden Euro wurden in den Bau gesteckt, aber Arbeitskosten sollten mit befristeten Verträgen auf einem Minimum gehalten werden – die Zahl gut ausgebildeter und gewerkschaftlich organisierter Facharbeiter erst recht, wenn die Betreiber sich durchsetzen können.
In den Läden der Terminals sind befristete Arbeitsverträge bereits die Norm. Da die meisten sowieso nur ein paar Monate am Flughafen arbeiten werden, sind ein paar Wochen woanders keine große Aufregung wert. Doch es gibt Ausnahmen, wie Angela Koop, die im Souvenirladen in Tegel beschäftigt ist: „Ohne die Verschiebung wären wir jetzt arbeitslos“, erklärt sie. Die LadenbesitzerInnen bei ihr hätten sich nämlich geweigert, einen „sittenwidrigen“ Mietvertrag für den BER zu unterschreiben. Dieser sah unter anderem einen Verzicht auf Schadenersatz bei Bauverzögerungen vor – was inzwischen für einige sehr teuer geworden ist.
„Ich könnte dem Verantwortlichen“, der die Eröffnung des Flughafens wegen Mängeln beim Brandschutz nicht erlaubte, „die Füße küssen“, sagte die 52jährige. Sie kämpfte bereits im Jahr 2008 für die Erhaltung des innerstädtischen Airports Tempelhof. Damals konnten die TempelhoffreundInnen immerhin 530.000 Stimmen gewinnen, doch der UnterstützerInnenkreis für Tegel ist überschaubarer: Zur ersten Demonstration im Mai kamen lediglich vier Personen.
Christian Kokert, der 200 Meter weiter Espresso verkauft, meint: „Selbst wenn diese Firma umziehen würde, ich ginge nicht mit.“ Grund ist nicht nur eine starke emotionale Bindung zum alten sechseckigen Flughafengebäude, das er als Teil einer Westberliner Identität sieht. Er ist selber in Tempelhof aufgewachsen und behauptet, dass nur Zugezogene sich vom Geräusch eines Flugzeuges belästigt fühlen könnten. Vor allem fielen ihm die niedrigen Löhne in der BER-Gastronomie auf, und noch weniger Geld als jetzt will er nicht verdienen.
Doch nicht nur LohnarbeiterInnen sind von der Verschiebung betroffen. Carolina Bischof arbeitet seit dreieinhalb Jahren in Schönfeld – genauer auf dem langen Gang zwischen dem Bahnhof und dem Flughafen. Sie arbeitet selbständig und steuerfrei als „Ticket-Dealer“, wie sie selbst sagt. Meist auf Englisch fragt Bischof abreisende Passagiere: „Haben Sie Tickets, die Sie nicht mehr brauchen?“
Das Einsammeln und Weiterverkaufen von Fahrscheinen ist nicht so richtig legal, doch das Gelände gehört weder dem Flughafen noch der Bahn. Das Sicherheitspersonal keiner der beiden Firmen kann hier zugreifen. „Der öffentliche Nahverkehr sollte sowieso kostenlos sein“, meint Bischof. Sie verkauft die eingesammelten Tickets nicht umsonst, aber mit erheblichem Rabatt: Ein Tagesticket bei ihr kostet morgens vier Euro und nachmittags nur drei Euro, 50 Prozent weniger als bei der BVG.
Verschiedene „Dealer“ erstreiten ihren Lebensunterhalt hier: Sie haben so etwas wie einen Dienstplan ausgemacht, um zu regeln, wer an welchem Tag an der profitabelsten Stelle direkt am Ausgang des Bahnhofes arbeiten darf. Am neuen Flughafen wird es keine Stelle geben, wo Bischof und ihre Kollegen ihre Tickets verkaufen können: Der Zug soll direkt in den Keller des Terminals fahren. Dort zu arbeiten wird von den Sicherheitsleuten verboten, ist sich Bischof sicher. „Der neue Flughafen tötet unsere Jobs – und die Verschiebung war eine Galgenfrist von einem Jahr.“
So ist der neue Flughafen ein Symbol für Deutschlands „arme aber sexy“ Hauptstadt: Ein Koloss aus Glas und Stahl, der mit neuster Technik aber auch mit schlecht bezahlter und „flexibler“ Arbeit betrieben wird. Die Beschäftigten, die jetzt an den Flughäfen arbeiten, sind alle mehr oder weniger gegen diesen Umzug – aber es bleibt zu hoffen, dass die bald fusionierte und erheblich größere Belegschaft mehr Kampfkraft hat, um gegen diese miesen Bedingungen anzukämpfen.
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