Berlin: Nein zur Wahl der etablierten Parteien! Revolutionär-sozialistische Kandidaturen vorbereiten!
Erklärung der Revolutionären Internationalistischen Organisation / Klasse Gegen Klasse zur Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar 2023
Am 12. Februar wird das Abgeordnetenhaus in Berlin erneut gewählt. Der Zeitpunkt sorgt dafür, dass die Wiederholungswahl in gewisser Weise ein Referendum über die Politik des rot-grün-roten Senats (R2G) in den vergangenen anderthalb Jahren seit der ursprünglichen Wahl im September 2021 ist.
Und tatsächlich könnte R2G abgewählt werden. So verheerend ist die Bilanz des Berliner Senats, dass die CDU laut Umfragen bis zu 26 Prozent (8 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl im September 2021) erlangen und damit mit Abstand die stärkste Partei werden könnte. Auch die AfD wird wohl gestärkt aus der Wiederholungswahl hervorgehen (10 Prozent gegenüber 8 Prozent 2021). In Ost-Berlin wächst die AfD sogar voraussichtlich von 10 auf 14 Prozent. Währenddessen werden alle Senatsparteien abgestraft: 4 Prozentpunkte weniger für die SPD, 2 bis 3 Prozentpunkte weniger für die Linkspartei, und ein Prozentpunkt weniger für die Grünen.
Das laut Umfragen wichtigste Thema für die Berliner:innen ist bei diesen Wahlen erneut die Wohnungsfrage. Wie konnte es passieren, dass gerade die Parteien gestärkt aus der Wahl hervorgehen werden, die sich am vehementesten gegen den Volksentscheid zur Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. gestellt haben, für den im September 2021 fast 60 Prozent der Berliner:innen gestimmt haben? Ein Blick auf die Bilanz seit der letzten Wahl spricht Bände: Die Enteignung wurde nicht umgesetzt, während die Mieten weiter durch die Decke gingen (plus 30 Prozent gegenüber dem letzten Quartal 2021). Anstatt 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr, wie es im Koalitionsvertrag steht, waren es im Jahr 2022 gerade einmal 630, während große Immobilienkonzerne wie Vonovia sogar angekündigt haben, alle für 2023 geplanten Neubauprojekte zu stoppen.
Neben Wohnen sind vor allem Verkehr und Bildung die zentralen Anliegen – zwei weitere Bereiche, in denen Wahlversprechen von R2G massiv nicht umgesetzt wurden. Insbesondere im Bildungssektor sieht es düster aus: Schulen verfallen weiter – von der Schulbauoffensive ist nichts zu sehen –, während das Bildungsbudget gekürzt wurde und der Lehrer:innenmangel immer größer wird. Nicht umsonst streiken seit vergangenem Jahr immer wieder die Berliner Lehrer:innen für kleinere Klassen und bessere Bedingungen. In dieser Woche, direkt vor der Wahl, findet sogar ein zweitägiger Warnstreik mit tausenden Streikenden statt. Auch die Wiedereingliederung der outgesourcten Tochterunternehmen, besonders im Gesundheitsbereich, hat der Senat nicht umgesetzt, trotz den seit vielen Jahren andauernden Kämpfen der Kolleg:innen.
Bei den Streiks, ebenso wie beim Kampf um die Enteignung der großen Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. steht der Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei nicht auf unserer Seite. Im Gegenteil sind die Senatsparteien dafür verantwortlich, dass die Enteignung auf antidemokratische Weise verschleppt wird, und als Arbeitgeber ist der Senat in den Streiks der direkte Gegner.
Dasselbe gilt bei der rassistischen Abschiebepolitik des Berliner Senats, und den Plänen des weiteren Ausbaus der Polizei und der Überwachung wie mit der Wache am Kottbusser Tor, während die Regierung gegenüber dem Anstieg rassistischer und rechtsextremer Gewalt blind bleibt.
Es ist klar, dass von einer CDU-geführten Regierung, falls R2G abgewählt werden sollte, keine Besserung zu erwarten ist, ebenso wenig von einer Regierungsbeteiligung der FDP oder gar der ultrarechten AfD. Diese Parteien treten die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung, der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Migrant:innen, Frauen und queeren Menschen mit Füßen.
Doch es muss ebenso klar sein, dass es gerade die aktuelle Politik von Rot-Grün-Rot war, die zum Wiederaufstieg von CDU und AfD geführt hat. Warum sollte eine erneute Stimme für die Senatsparteien daran etwas ändern? Im Gegenteil müssen wir mit der Logik brechen, dass eine Stimme für die Linkspartei (oder sogar für die Grünen oder die SPD) eine Stimme gegen rechts oder zumindest für ein paar kleine soziale Verbesserungen sei.
Die Linkspartei hat die Bewegung für die Enteignung von DW und Co. verraten. Anstatt aus der Koalition auszutreten, nachdem klar wurde, dass der Volksentscheid nicht umgesetzt wird, hält sie lieber weiter an ihren Regierungsposten fest. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sich in einer fortgesetzten Regierungsbeteiligung irgendetwas daran ändern könnte. Umso tragischer ist es, dass die offizielle DWE-Kampagne Wahlkampf für LINKE und Grüne macht. Im Gegenteil wäre es notwendig, angesichts der explodierenden Miet- und Energiepreise eine Massenbewegung auf der Straße, in den Betrieben, Schulen und Universitäten aufzubauen, um die Enteignung gegen die Regierung und die Immobilienkonzerne durchzusetzen.
Dafür könnten auch die aktuell stattfindenden Streiks in Berlin ein Ansatzpunkt sein: Schließlich zeigen sich die Lehrer:innen immer kampfbereiter, während die junge GEW eine Kampagne für einen Erzwingungsstreik begonnen hat. In der begonnenen TVöD-Tarifrunde, wo die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in dieser Woche ebenfalls in ihren zweiten Warnstreik gehen, organisieren sich schon jetzt hunderte kämpferische Streikdelegierte aus den Krankenhäusern, der Stadtreinigung und den Wasserwerken in der Perspektive eines Erzwingungsstreiks. Und auch die Postbeschäftigten befinden sich weiter in einem härter werdenden Arbeitskampf. Eine vereinte Streikbewegung all dieser Sektoren könnte ein größerer Ausgangspunkt für die Umsetzung der Enteignung von DW und Co., einen realen Inflationsausgleich und das Ende von Outsourcing, Abschiebungen und Polizeigewalt sein, als es eine Beteiligung der LINKEN an der Regierung je sein könnte. Ebenso kann und muss sich eine solche Bewegung den Widerstand gegen die tiefere Ursache von Inflation und Energiekrise auf die Fahnen schreiben, nämlich die fortgesetzte Kriegspolitik und Aufrüstung.
In all diesen Fragen bietet die Linkspartei keine konsequente Opposition, auch nicht auf Bundesebene, wo sie nicht an der Regierung beteiligt ist. Es ist deshalb völlig illusorisch zu glauben, dass DIE LINKE, wenn sie nicht mehr an der Regierung wäre, zu einer sozialistischen Oppositionspartei werden könnte. In den 15 Jahren Jahren ihrer Existenz war sie es noch nie, und in der tiefsten Krise ihrer Geschichte stehen die Zeichen auf die noch weitere Anpassung und Integration in den Staat. Umso tragischer ist es, wenn Organisationen mit revolutionärem Anspruch wie beispielsweise die Sozialistische Alternative (SAV) mit Lucy Redler in Berlin-Neukölln für „drei Stimmen für DIE LINKE“ werben, ohne in ihrem Wahlkampfvideo auch nur die geringste Kritik an der Regierungsbeteiligung anzubringen. Und auch andere linke Linkspartei-Kandidat:innen wie Ferat Kocak, der sich 2021 vor der Bildung der Koalition gegen eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen hatte, sagen heute nicht mehr öffentlich, dass sie gegen die Fortführung der R2G-Koalition sind.
Deshalb sind wir nicht der Meinung, dass man am 12. Februar ein Kreuz bei der Linkspartei setzen sollte. Im Gegenteil schlagen wir vor, den Stimmzettel ungültig zu machen, um ein Zeichen zu setzen, dass weder der R2G-Senat noch CDU, FDP und AfD unsere Interessen vertreten. Wir denken daher auch nicht, dass wir einzelne Linkspartei-Kandidat:innen kritisch unterstützen sollten, die jede öffentliche Äußerung gegen die Regierungsbeteiligung vermissen lassen, wie es die Gruppe Arbeiter:innenmacht vorschlägt.
Wir können nicht auf die Regierung vertrauen, auch wenn sie sich progressiv gibt. Es reicht nicht aus, weiter auf das „geringere Übel“ zu hoffen. Wir können auch nicht auf die Linkspartei setzen, die unsere Interessen für ein paar Posten verschachert. Stattdessen müssen wir mit der reformistischen Perspektive der Linkspartei insgesamt brechen. Deshalb haben wir im Januar eine Konferenz mit 150 Teilnehmer.innen veranstaltet, um eine revolutionäre Perspektive jenseits der Linkspartei zu diskutieren. Dort wurde mit großer Mehrheit eine Abschlusserklärung verabschiedet, die
angesichts des Verrats der Linkspartei am Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen, tausenden Abschiebungen, Ausbau des rassistischen Polizeiapparates, weiterer Kürzungspolitik in Gesundheit und Bildung usw. […] eine Wahlunterstützung für die Linkspartei bei der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl ab[lehnt]. Dagegen betonen wir die Notwendigkeit revolutionär-sozialistischer Kandidaturen abseits der reformistischen Parteien, organisieren gemeinsam mit allen Interessierten eine Kampagne gegen die erneuten Regierungsbeteiligungen der LINKEN an RRG und setzen uns für erneute Mobilisierungen für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne durchführen.
Da es sich am 12. Februar um eine Wiederholungswahl handelt, können wir dem R2G-Senat und den rechten Parteien heute noch keine eigene revolutionär-sozialistische Kandidatur entgegenstellen. Eine Stimme für die Linkspartei ist aber keine Stimme für eine sozialistische Opposition. Denn diese kann nicht im Rahmen der Linkspartei aufgebaut werden, wie es auch die Sol, der Funke und andere glauben machen wollen, die erneut zur Wahl der Linkspartei aufrufen.
Wir fordern stattdessen dazu auf, am 12. Februar ungültig zu wählen, und zugleich dafür zu kämpfen, dass wir bei den nächsten Wahlen mit einer revolutionären Wahlfront revolutionär-sozialistische Kandidaturen aufstellen und gemeinsam eine tatsächliche sozialistische Alternative aufbauen können, auf der Straße, in den Unis und Betrieben.
Zugleich schlagen wir vor, im Falle einer erneuten Regierungsbildung von R2G mit all jenen gemeinsam gegen die Regierungsbeteiligung der Linkspartei zu kämpfen, die die Perspektive der „Regierungssozialist:innen“ ablehnen und eine konsequente sozialistische Opposition aufbauen wollen.
Wir wollen eine revolutionäre Jugend aufbauen, die sich als sozialistisch, antiimperialistisch, antimilitaristisch, feministisch und antirassistisch versteht und an der Seite der Arbeiter:innenklasse für eine sozialistische Lösung der Klimakatastrophe und der sozialen Krise kämpft. Eine Jugend, die sich unabhängig vom Staat, dem Kapital, der Linkspartei und den Bürokratien von Gewerkschaften und NGOs organisiert. Statt zu resignieren und auf das (geringere) Übel zu hoffen, wollen wir kämpfen: Gemeinsam mit der Arbeiter:innenklasse für eine Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung.