Berichte aus dem Kessel: Ein Angriff auf die Menschenwürde

05.06.2023, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Am Wochenende wurden in Leipzig antifaschistische Proteste gegen das Urteil im so genannten „Antifa-Ost-Verfahren“ kriminalisiert. Die Repression ging so weit, dass hunderte Menschen 11 Stunden lang im Polizeikessel gehalten wurden. Eine Sammlung von Erfahrungsberichten, die uns anonym zugesendet wurden.

1
Symbolbild aus Berlin. Foto: Ayrin Giorgia / Klasse Gegen Klasse

Zuschrift 1: Ich war auch mit in dem 11-Stunden-Kessel und berichte euch gerne davon, was für menschenverachtende Ausmaße dieser angenommen hat. Es gab, auch auf Nachfrage, keine Toilette und wir mussten uns einen „Pissbusch“ einrichten also es wurde eine Rettungsdecke vor einen Busch gehangen für etwas Sichtschutz, jedoch waren auch Menschen in den Büschen, aufgrund des geringen Platzes, was dazu geführt hat, dass manche Menschen, einschließlich ich, die ganzen 11 stunden nicht auf Toilette konnten (dazu sei gesagt das man eigentlich nach 3 stunden eine Toilette stellen MUSS). Außerdem haben die Bullen, um uns zu ermüden, ab ca. 23 Uhr alle halbe Stunde ihre Helme aufgesetzt, damit alle, die sich bereits hingesetzt oder hingelegt hatten, wieder aufstehen und in Panik verfallen. Dies war durchaus sehr ermüdend und auch beängstigend. Wir haben von den Cops auch kein Essen oder Trinken bekommen, wir hatten aber Verpflegung von den Demo Sanis (die wirklich helfen) bekommen.

Zuschrift 2: Als die Polizei bei der Herderstraße eingerückt ist, haben ich und weitere Personen uns schon versteckt gehabt, wir wollten uns […] eher raushalten. Wir waren auf dem Spielplatz dort und wurden beim dritten Mal durchleuchten entdeckt. Die Polizei schrie uns an, wir sollten zu ihnen kommen, und wir zeigten uns die ganze Zeit kooperativ. […] Ich kam mit erhobenen Händen auf sie zu. Die andere Person wurde von mir weggebracht. Meine Arme wurden sofort angepackt und ich wurde zum Rest der Polizisten gebracht, wo alle dämlich auf mich eingeredet haben. Ich meinte, ich habe mich nur versteckt, um keinen Stress zu bekommen, nur einer von ihnen nahm es so hin. Vom Rest kamen Kommentare wie „du hast die Handschuhe ja nicht umsonst an“ oder „linkem Gesindel kann man kein Vertrauen schenken.“ Meine Personalien wurden aufgenommen.[…] Ich bin jung und stand unter Schock, denn bei der Taschenkontrolle wurde nichts abgetastet außer meiner Brust und meinem Arsch. Ich habe geweint. Verabschiedet wurde ich mit einem Platzverweis in Form von: „Wenn ich dich linke Fotze heute noch einmal auf den Straßen sehe, hast du nen Grund zum Heulen.” Meine Frage nach der Dienstnummer wurde ignoriert.

Zuschrift 3:
Ich war gestern auch auf der Demo am Alexis, wir kamen gegen 17 Uhr an und sammelten uns auf der Wiese. Es muss gegen 18 Uhr gewesen sein, als auf einmal die Situation zu eskalieren schien. Wir wurden von den Polizisten stadtauswärts gedrängt. Als wir quer über die Wiese gehen wollten, wurden wir von einer Mannschaft der Polizei überwältigt. Einer der Polizisten (NRW Kennzeichen, mehr konnte ich nicht sehen) stürmte voran und hat mehrfach auf mich eingetreten, obwohl ich der Situation entfliehen wollte. Ich konnte mich glücklich schätzen, eine Glasflasche in meinem Beutel gehabt zu haben, der vor meinen Bauch gerutscht ist, sonst wäre ich vermutlich stärker verletzt aus dem Vorfall gegangen. Ich war oft auf Demos, aber diese grundlose Aggression und Brutalität habe ich noch nie erlebt. Meine offensichtliche Wehrlosigkeit wurde ausgenutzt und es entstand zwar kein physischer Schaden, dafür aber ein seelischer. Glücklicherweise waren viele um mich, die das gesehen haben, aber wir konnten keine Identität feststellen, weil es so schnell ging.

Zuschrift 4: Dass den Demonstrierenden Zugang zu Nahrung und Toiletten verwehrt wurde, kann ich aus erster Hand bestätigen. Während zur gleichen Zeit eine Trinkwasserversorgung und Toiletten für Einsatzkräfte bereitgestellt wurden. Weiterhin wurde einer verletzten Person verboten, den Kessel mit Sanitäter:innen zu verlassen, mit Begründung des schweren Landfriedensbruch. Die Person hatte im Vorfeld einen Kreislaufzusammenbruch erlitten. Laut bisher unbestätigten Quellen soll die Person minderjährig gewesen sein.

Zuschrift 5: Die Bullen kamen auf die Menge zugerannt und begannen auf uns einzuschlagen. Gewaltsam drängte sie uns in die Gebüsche, obwohl es keinen Platz mehr gab. Ich bin mir unsicher, wie viele Kessel es gab, aber ich wurde 3-4 Stunden darin festgehalten. Wir bekamen nur Wasser von den Sanitäter:innen. Uns wurde kein Klo oder Essen zur Verfügung gestellt. Mehrere sind im Kessel zusammengeklappt und die Polizei hat manche nur ungern und mit Zögern abseits gesetzt. Nach ca. 4 Stunden fingen sie an, uns grob und einzeln in die Maßnahme zu nehmen. Es wurden Personalien aufgenommen, mein Tierabwehrspray (obwohl dies rechtlich erlaubt ist, bei sich zu führen) und Handys abgenommen und beschlagnahmt. Dies ging bis in die Nacht hinein, obwohl viele der Anwesenden Miderjährig waren. Ohne Handy musste ich nun nach Hause kommen, alleine und mit Platzverweisen. Freunde von mir wurden mit in die GESA genommen und saßen da bis 4 Uhr morgens fest. Panisch und komplett fertig, bekam ich dann meine erste Panikattacke.[…] Während des Kesselns kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Teilnehmer:innen. Ebenso wurden auch Passant:innen in den Kessel mit hinein gepresst. In der Maßnahme setzte die Polizei mich auch für kurze Zeit in eine Einzelzelle in ein Auto, wo ich aber nach kurzer Zeit wieder hinauskam.

Du warst auch von der Repression betroffen oder Zeug:in? Dann kontaktiere uns!


Schreib uns eine Mail an info@klassegegenklasse.org.

Instagram: Klasse gegen Klasse

Mehr zum Thema