Bereitet Israel in Gaza einen Genozid vor?
Als Antwort auf den palästinensischen Widerstand nimmt die israelische Gegenoffensive ein ungeheuerliches Ausmaß an. Die Netanyahu-Regierung drückt die Vernichtungsabsicht insofern aus, dass die bisherigen Luftangriffe nur den Anfang eines Kriegs darstellen würden.
Seit dem Beginn der israelischen Luftangriffe auf Gaza sind bisher mindestens 950 Palästinenser:innen ums Leben gekommen und beinahe 3.000 Menschen verletzt worden. Darunter ist die Zahl an ermordeten Kindern sehr hoch, weil in Gaza die Kinder circa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Die israelische Armee rückt mit Panzern in die Nähe des Zauns um den Gazastreifen, da sie sich auf eine Bodenoffensive vorbereitet.
Der Gazastreifen, in dem die aktuellen Angriffe stattfinden, befindet sich in einer Wirtschafts-, Luft- und Landblockade. Israel kontrolliert alle Land- und Seegrenzen, jegliche Importe und Exporte, sowie Ein- und Ausreise. Die Menschen haben nicht einmal sicheren Zugang zu Trinkwasser oder Strom. Der palästinensische Widerstand war ein Versuch, die Mauer des größten Freiluftgefägnisses zu zerreißen. Die Reaktion der israelischen Regierung ist, die Blockade zu intensivieren: So hat der Verteidigungsminister Yoav Gallant am vergangenen Montag ein umfassendes Embargo verhängt. „Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.“
Aktuell sind die Krankenhäuser überfüllt, und es mangelt an Vorräten aufgrund der Blockade, der Gaza ausgesetzt ist. Der palästinensischen Bevölkerung in Gaza droht eine Vernichtung.
Den Palästinenser:innen droht Genozid
Die israelische Offensive erfüllt alle Voraussetzungen, die laut der Definition der UN-Völkermordkommission nötig sind, um von einem Genozid zu sprechen: Explizit als Völkermord definiert werden in Artikel 2 Handlungen, „die in der Absicht begangen“ werden, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Zu solchen Handlungen zählen nicht nur die gezielte „Tötung von Mitgliedern der Gruppe“ sondern auch „die Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischem Schaden“ und die „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung“ herbeizuführen.
Kein Völkermord passiert plötzlich, dahinter steht immer eine Kontinuität von unterschiedlichen Abstufungen, um den Willen durchzusetzen. Bisher konzentrierte sich das zionistische Regime darauf, zu Lasten der Palästinenser:innen das die territoriale Ausdehnung fortzusetzen. Die Siedlung, der Raub von Land und natürlichen Ressourcen und die Zwangsvertreibung der Einheimischen durch Streitkräfte und bewaffnete Siedler:innen waren die Grundsäulen einer solchen Praxis. Der gegenwärtige Krieg in Gaza hebt allerdings die bisherige Politik des israelischen Staates qualitativ auf ein höheres Niveau, was die Vernichtung eines Volkes auf die Agenda setzt.
Die ultrarechte Netanyahu-Regierung fordert zynischerweise die palästinensische Bevölkerung dazu auf, durch den Grenzübergang Rafah nach Ägypten zu fliehen, um der Vernichtung zu entkommen. Das Problem ist, dass Ägypten den Grenzübergang geschlossen hält und sich weigert, den Palästinenser:innen sichere Fluchtroute zu gewährleisten. Montagabend hatte Israel den Grenzübergang bombardiert. Die Bevölkerung ist eingesperrt und hat keine Möglichkeit zu fliehen.
Deutschland erteilt Israel Freifahrtschein zum Kriegsverbrechen
Die deutsche Bundesregierung hat unmissverständlich mitgeteilt, dass sie an der Seite von Israel steht. Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Sonntag dem israelischen Präsident Netanjahu im Telefonat versichert, „dass Deutschland angesichts dieses furchtbaren Angriffs fest und unverbrüchlich an der Seite Israels steht. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“. Weiter hoffe er, „dass die Sicherheitskräfte alle Orte von den Terroristen befreien können.“ Wie genau er alle Orte definiert und ob sie den Gazastreifen einschließen, ließ er dabei offen. Auch Außenministerin Annalena Baerbock sicherte Israel „das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen Terror zu verteidigen“ zu. Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen sind die Aussagen der Spitzenpolitiker:innen mehr als nur zynisch.
Es gab kein Wort zu der gekappten Wasserversorgung, zu den massiven Bombardements und den geschlossenen Grenzen des Gazastreifen. Während Netanjahu die Palästinenser:innen zum Verlassen des Gazastreifens auffordert, sind die Bombardements genau dieser Grenzposten eine ganz klare Ansage, dass das Todesurteil der Bevölkerung im Gaza längst verbrieft ist. Der deutsche Imperialismus schaut also nicht nur vor dem sich anbahnenden Völkermord weg, er gibt Israel sogar einen Freibrief dazu. Dabei richtet sich Scholz eben nicht nur gegen die Hamas, sondern auch gegen die Bevölkerung insgesamt, wenn er von einem „Flächenbrand“ warnt, den man auch als Aufstand der unterdrückten Massen bezeichnen kann: „Vor allem setzen wir aber alles daran, dass aus dem Überfall kein Flächenbrand mit unkalkulierbaren Folgen für die Region wird. Und wir warnen alle davor in dieser Lage den Terror zu befeuern und weiter zu tragen“. Wenn Scholz sich über den Terrorismus beklagt, meint er nicht nur die Hamas, sondern alle Aktivitäten – auch jene des Proletariats – die sich gegen das Interesse seiner Klasse richten. Scholz gibt kübelweise moralische Entrüstung von sich, während der ganze israelische Staatsapparat mit seiner Justizreform, seiner Armee und seinem militärisch-industriellen Komplex nichts anderes als ein Apparat für kolonialen Terror ist! Doch seine heuchlerische Doppelmoral lässt sich nicht allein durch sein politisches und geostrategisches Interesse erklären.
Der deutsche Staat pflegt enge Rüstungsverbindungen mit der Atommacht Israel. Bei einem Treffen von Scholz und Netanjahu im März dieses Jahres bekräftigten beide, die Rüstungspartnerschaft ihrer Länder auszubauen. So ließ Scholz verlauten, dass es klar sei „dass wir auch weiter Waffen nach Israel liefern werden“. Auch über das milliardenschwere Raketenabwehrsystem „Arrow 3“, wurde dabei gesprochen. Deutschland will sich das Raketenschutzschild selbst zulegen, das Israel für seinen „Iron Dome“ (Eiserne Kuppel) einsetzt, was dazu führt, dass Israel die allermeisten palästinensischen Raketen abfangen kann. Sogar Raketen im Weltraum können anvisiert und zerstört werden. Für das System gibt Deutschland nun vier Milliarden Euro aus. Viel Geld, was in der Bildung und in der Pflege rücksichtslos eingespart wird. Geld für Krieg ist schließlich wichtiger als Geld für Kinder. Auch die Überwachungssoftware Pegasus kaufte Deutschland aus Israel. Die Software des israelischen Unternehmens NSO Group kann Handys ausspähen, unbemerkt auf sämtliche Daten zugreifen und sie über das Internet versenden. Das Unternehmen rekrutiert sich laut Recherchen von Arte massiv aus dem israelischen Militär, das eines der hochtechnologisiertesten der Welt ist. Mit der Spyware wurden nicht nur Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen ausgespäht, sondern auch Politiker:innen in den höchsten Ämtern wie der französische Präsident Emmanuel Macron. Dass der Gebrauch von Software wie Pegasus als verfassungswidrig einstuft wurde, interessiert den deutsche Auslandsgeheimdienst Bundesnachrichtendienst (BND) wenig. In einem als „geheim“ eingestuften Vorgang wurde eine angeblich angepasste Version der umstrittenen Software gekauft, während der Softwarehersteller betont, dass sie keine angepassten Versionen verkaufen. Deutschland und Israel haben also nicht nur politisch, sondern auch militärisch eine enge Verbindung, an der beide Seiten nur allzu gerne festhalten. Die Waffen mit denen Palästinenser:innen getötet werden, sind auch deutsche Waffen.
In einem anderen Artikel zeigen wir unsere Lösungsperspektive auf den Konflikt auf: „Die einzige wahre und mögliche Lösung, die ein friedliches und geschwisterliches Zusammenleben von Palästinenser:innen und Juden und Jüdinnen ermöglicht, besteht darin, sich gegen das Apartheid-Regime und den Kolonialstaat Israel zu stellen.“ Es muss im Umkehrschluss die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse in Deutschland sein, sich mit dem Befreiungskampf zu solidarisieren und ihn mit seinen eigenen Methoden zu unterstützen. Die Stellung des deutschen Imperialismus zu Israel bedeutet auch für die Arbeiter:innenklasse hierzulande eine besondere Dringlichkeit in der Frage. Es braucht Streiks in der Rüstungsindustrie und Demonstrationen gegen den Genozid. Der Kampf gegen den sozialchauvinistischen Kurs der Gewerkschaftsbosse, die sich hinter Israel stellen, spielt eine zentrale Rolle. Auch die Verteidigung des Demonstrationsrechts spielt dabei eine Schlüsselrolle. Scholz kündigte indirekt schon Polizeigewalt an: „Und lassen sie uns einiges noch ganz klar sagen: Wir akzeptieren es nicht, wenn hier auf unseren Straßen die abscheulichen Attacken gegen Israel gefeiert werden.“ Dieses Statement reiht sich nahtlos in die systematisch Unterdrückung der Palästinenser:innen, denen erst vergangenen Jahres das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit verwehrt wurde. Auch eine Demonstration, die diese Woche hätte stattfinden sollen, wurde von der Versammlungsbehörde untersagt. Wir dürfen nicht tatenlos bei dem Genozid zuschauen, sondern müssen uns offensiv dagegenstellen.
Stoppt die Bombardierungen und die israelische Militärintervention gegen das palästinensische Volk!