„Bereit sein, mehr zu tun“

11.03.2014, Lesezeit 10 Min.
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// Die deutsche Bourgeoisie setzt auf einen aggressiveren Kurs //

Die Große Koalition will Deutschland auf den Weg zu einer neuen Weltmacht bringen. Nur wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags beginnen die PolitikerInnen der herrschenden Klasse zu zeigen, was sie mit der gefestigten innenpolitischen Lage wirklich anfangen wollen. Bei der diesjährigen NATO-Sicherheitskonferenz (SiKo) in München ging es ihnen vor allem um eins: der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass Deutschland bereit ist, international „mehr Verantwortung“ zu übernehmen – und der einheimischen Bevölkerung zu erklären, dass jetzt endlich Schluss sein müsse mit der „Kultur der Zurückhaltung“.1 Die Leitmedien der herrschenden Klasse überschlugen sich vor Freude über die neue Offenheit, mit der über die schon seit Jahren immer aggressiver werdende deutsche Außenpolitik geredet wird. Beispielsweise jubilierte die FAZ, dass Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Eröffnungsrede zur SiKo das „autoritative Wort zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ gesprochen habe. Endlich könne man wieder aussprechen, dass ein Staat „bei dem Versuch, eine Welt im Wandel aktiv mitzugestalten, […] alle Mittel nutzen können [muss] – wenn es geboten ist, auch militärische.”2

Achsen der neuen deutschen Außenpolitik

Gaucks Rede, in der er unverblümt „Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert“ definierte, nämlich „dieses Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten“,3 ist Vorbote einer stärkeren Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Nicht, dass die deutsche Außenpolitik in den letzten Jahrzehnten besonders friedlich gewesen wäre – jedoch war die deutsche Bourgeoisie stets bestrebt, gemeinsam mit Bündnispartnern wie den USA oder Frankreich aktiv zu werden. Gauck definierte jedoch ziemlich klar – trotz kryptischem Diplomaten-Deutsch –, dass Deutschland in der Krise eine unabhängigere und mehr auf die deutschen Interessen in Osteuropa und Afrika zugeschnittene Außen- und Militärpolitik braucht: „An der europäischen Idee halten wir fest. Aber Europas Krise verunsichert uns. Auch an der Nato halten wir fest. Aber über die Ausrichtung der Allianz debattieren wir seit Jahren, und ihrer finanziellen Auszehrung werfen wir uns nicht entgegen. Das Bündnis mit den Vereinigten Staaten stellen wir nicht in Frage. Aber Stresssymptome und Zukunftsungewissheit beobachten wir durchaus. […] Und gerade wenn die Vereinigten Staaten nicht ständig mehr leisten können, müssen Deutschland und seine europäischen Partner für ihre Sicherheit zunehmend selbst verantwortlich sein.“

Oder anders gesagt: Die Krise erfordert eine neue Rolle Deutschlands in Europa und der Welt: die eines aufstrebenden Hegemons. Das bedeutet nicht unbedingt eine Entfernung vom Bündnis mit Frankreich, denn gerade die französische Militärmacht stellt in der aktuellen Situation des deutschen Imperialismus noch eine notwendige Ergänzung zur bisher nur eingeschränkten militärischen Macht Deutschlands dar. Die Verbindung mit Frankreich trägt jedoch auch viele Konflikte in sich. So kann es zum Beispiel durch eine offensivere deutsche Afrika-Politik zu Spannungen mit Frankreich kommen, das in weiten Teilen Afrikas nach wie vor großen Einfluss besitzt.

Das Streben nach Unabhängigkeit von den USA und der Anspruch auf die europäische Führungsrolle – mit Frankreich als Juniorpartner – sind zentral für die deutsche Bourgeoisie. So ist auch zu verstehen, dass die frischgebackene Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mehr militärisches Engagement der Bundeswehr fordert, vor allem in Afrika, und zwar in typisch imperialistischer Manier: „Ein boomendes Afrika ist eine Chance, gerade für ein Land mit einer so starken Exportwirtschaft.“4 Und der alt-neue Außenminister Steinmeier zeigte mit seinen Drohungen gegen die Ukraine, dass die SPD in der Großen Koalition vor Säbelrasseln genauso wenig zurückschreckt, wenn es um die Ausweitung des deutschen Einflusses in seinem osteuropäischen „Hinterhof“ geht.5

Gerade der Fall der Ukraine zeigt dabei, dass – anders als es vor einigen Jahren noch möglich schien – die neue deutsche Außenpolitik vor allem einen schärferen Konflikt mit Russland mit sich bringt. Ein bürgerlicher Kommentator meinte dazu kürzlich: „Der Kalte Krieg ist tot – aber eine neue Eiszeit droht.”6 Diese „Eiszeit“ bedeutet vor allem ein Kräftemessen mit Russland um den Einfluss in Osteuropa. Die Ukraine ist ein erster Präzedenzfall, doch Konflikte um andere Länder der Region werden zu häufigeren Spannungen zwischen Deutschland und Russland führen – und die Interessen der osteuropäischen ArbeiterInnen und armen Massen werden zwischen ihnen zerrieben werden.

Die Verschärfung der Spannungen mit den USA kündigt sich in der deutschen Außenpolitik schon seit Längerem an: Schon in den letzten Jahren hat die deutsche Bourgeoisie immer häufiger eine unabhängigere Stellung zu den USA gesucht, sowohl in Bezug auf die Euro-Krise als auch in Bezug auf den arabischen Frühling. Seit der NSA-Affäre wird der Riss zwischen dem absteigenden US-Hegemon und seinem ehemaligen Juniorpartner immer offensichtlicher. Da helfen auch Gaucks Beteuerungen über das unhinterfragte „Bündnis mit den Vereinigten Staaten“ nichts.

Vor diesem Hintergrund ist bezeichnend, wie die Linkspartei – die sich immer wieder gern als die einzige Opposition zum fortschreitenden deutschen Militarismus darstellt – bei ihrem jüngsten Parteitag in Hamburg zur Verabschiedung des Programms für die Europawahl jeglichen Anspruch aufgegeben hat, eine Alternative zum imperialistischen Projekt der EU mit Deutschland an der Spitze zu formulieren. Die wichtigsten Listenplätze wurden mit dem rechten Flügel der Linkspartei besetzt, der im Interesse von möglichst baldigen Regierungsbeteiligungen in der Programmdebatte selbst die unverbindliche Formulierung der Präambel strich, die EU als undemokratisch und militaristisch zu definieren. Der linke Flügel der Linkspartei konnte dem nichts entgegensetzen (siehe Kasten). So bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung als einzige Alternative zu den Pro-EU-Parteien nur noch die AfD übrig, die sich dementsprechend bei den Europawahlen im Mai massiv verstärken könnte, auch wenn sie nicht mehr so präsent in den Medien ist wie vor der Bundestagswahl.

Aggression im Ausland – Hetze im Inland

Ein unmittelbares Resultat einer aggressiveren Außenpolitik wird eine Verschärfung der Situation der Geflüchteten und MigrantInnen im Allgemeinen in Deutschland sein. Schon jetzt wird immer schärfer gegen MigrantInnen gehetzt – in letzter Zeit vor allem gegen Menschen aus Rumänien und Bulgarien. So fuhr die CSU zu Beginn des Jahres unter dem Motto „wer betrügt, der fliegt“ eine Kampagne gegen „Armutszuwanderung“ aus ebendiesen Ländern. Diese sozialchauvinistische und rassistische Propaganda sorgt immer wieder für Angriffe auf Geflüchtete und MigrantInnen. Im Jahr 2013 gab es nach offiziellen Statistiken mit fast 60 Angriffen auf Geflüchtetenheime mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor.7

Doch die aggressivere Außenpolitik bringt nicht nur eine rassistische Hetze gegen MigrantInnen mit sich, sondern verstärkt die Notwendigkeit, Proteste im Inland zu unterdrücken. In diesem Sinne kann auch verstanden werden, dass die neue Große Koalition ihr Lieblingsprojekt aus der letzten Großen Koalition wieder aufwärmt, nämlich das Projekt der Beschneidung des deutschen Streikrechts unter dem Deckmantel der „Tarifeinheit“.8 Im neuen Koalitionsvertrag ist dies folgendermaßen ausgedrückt: „Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben.“9

Konkret stellt sich die Regierung die künftige Tariflandschaft so vor, dass sich der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft in einem Betrieb auf die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft erstrecken soll – und diese an die Friedenspflicht binden soll. Damit wird Tür und Tor geöffnet für eine Beschneidung des Streikrechts, insbesondere bei prekarisierten Schichten, wo die Gewerkschaftsbindung eher gering ist und gelbe Gewerkschaften Scheintarifverträge abschließen könnten, die das Streikrecht kleinerer oder kämpferischer Gewerkschaften de facto abschaffen würden. Mit diesem Gesetzeskonstrukt will die herrschende Klasse die ersten Versuche der ArbeiterInnenklasse, sich gegen die Prekarisierung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen in der Krise zu wehren, im Keim ersticken.

Passenderweise fordert SPD-Wirtschaftsminister Gabriel zu finanzieller „Zurückhaltung“ in aktuellen Tarifrunden auf10 – während sich die Abgeordneten des bürgerlichen Parlaments in zwei Schritten eine Diätenerhöhung von 8252 auf 9082 Euro gönnen! Und während die bürgerliche PolitikerInnen-Kaste in so obszöner Weise, von den Steuern der ArbeiterInnenklasse, ihr Leben versüßt, agieren die Bürokratien der DGB-Gewerkschaften als Garanten der internen Stabilität zur Vorbereitung außenpolitischer Angriffe, indem sie das Gesetzesprojekt zur „Tarifeinheit“ unterstützen und auch sonst alles Mögliche dafür tun, dass die beginnenden Proteste gegen die Krise in Deutschland nicht aus dem Ruder laufen.

Aus diesem Grund ist es notwendig, in den Gewerkschaften für eine klassenkämpferische Strömung zu kämpfen, die sich der Sozialpartnerschaft der Gewerkschaftsspitzen offensiv entgegenstellt und eine massive Kampagne für die Verteidigung des Streikrechts ins Leben ruft, gegen die Allianz aus DGB, BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) und Bundesregierung.

Für einen klassenkämpferischen Antiimperialismus!

Das Voranschreiten des deutschen Imperialismus stellt die revolutionäre Linke in Deutschland und Europa vor große Herausforderungen. Das Projekt der Semikolonisierung Süd- und Osteuropas kann nur zurückgeschlagen werden, wenn RevolutionärInnen in Deutschland gemeinsam mit RevolutionärInnen in ganz Europa für eine internationalistische und sozialistische Alternative zum Europa des Kapitals unter deutsch-französischer Führung kämpfen. Dazu gehört ein klar antiimperialistisches Programm gegen die Militarisierung der deutschen Außenpolitik und gegen die imperialistische Vorherrschaft in Griechenland, der Ukraine, Bosnien und anderen Ländern.

Eine solche Perspektive kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit der Mobilisierung der organisierten ArbeiterInnenbewegung einhergeht, unterstützt von Massenmobilisierungen von SchülerInnen, Studierenden, MigrantInnen, und allen unterdrückten Sektoren der Gesellschaft. Dazu ist es unabdingbar, die Gewerkschaften mittels der Organisierung der Basis dazu zu zwingen, sich dem imperialistischen Streben der deutschen Bourgeoisie entgegenzustellen, anstatt mit sozialchauvinistischer Standortpolitik die süd- und osteuropäische ArbeiterInnenklasse gegen die ArbeiterInnen in der BRD auszuspielen. Dies kann nur gelingen, wenn der beispiellose Angriff auf das Streikrecht in Deutschland abgewehrt wird. Dafür müssen RevolutionärInnen an allererster Front stehen.

Fußnoten

1. Günther Nonnenmacher: Gaucks Leitfaden.

2. Ebd.

3. FAZ: Gauck-Rede im Wortlaut.

4. NTV: Von der Leyen für mehr Auslandseinsätze.

5. Zeit Online: Steinmeier droht Ukraine mit Sanktionen.

6. Klaus Kastan: Russland gegen den Rest.

7. Konrad Litschko: Übergriffe auf Asylunterkünfte.

8. Labournet-Dossier.

9. Jörn Boewe: Veritables Streikverbot.

10. Finanzen.net: Gabriel ruft zu Zurückhaltung bei Lohnforderungen auf.

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