Behindertenfeindlicher Nazi-Terror gegen die Lebenshilfe in Mönchengladbach

16.07.2024, Lesezeit 6 Min.
1
Symbolbild einer eingeworfenen Fensterscheibe. Foto: Animaflora PicsStock / shutterstock.com

Ein Nazi-Anschlag in Mönchengladbach zeigt erneut, dass der Kampf gegen die systematische Gewalt gegen behinderte Menschen so notwendig ist, wie lange nicht mehr.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Das haben nicht nur Jüd:innen, Homosexuelle, Sinti und Roma, religiöse Minderheiten, Gewerkschaftler:innen und Kommunist:innen zu spüren bekommen, sondern auch Menschen, denen die Nazis nicht zutrauten, ihren Beitrag zur faschistischen Gesellschaft zu leisten. Über 300.000 Menschen fielen wegen ihrer “Behinderung” dem Nationalsozialismus zum Opfer. Der österreichische Psychologe Adolf Jost erörterte 1895 in Göttingen, dass „der Tod eines Individuums sowohl für dieses selbst als auch für die menschliche Gesellschaft überhaupt wünschenswert“ sei. Das Rassenpolitische Amt der NSDAP knüpfte direkt daran an und schränkte nicht nur die Rechte von behinderten und kranken Menschen massiv ein, sondern begannen sie auch strukturiert zu ermorden. Der “Volkskörper” müsse “rein” gehalten werden. In KZs aber auch in Hungerhäusern verloren Hundertausende ihr Leben. “Euthanasie”, der „angenehme Tod“, nannt man diese Praxis. 

Vom Nazi-Terror … 

An diese menschenverachtende Praxis knüpft ein rechter Terroranschlag Ende Mai diesen Jahres an. “Euthanasie ist die Lösung”, steht auf einem Ziegelstein, der in den Morgenstunden des 20. Mai in die Eingangstür der Lebenshilfe Mönchengladbach geworfen wurde. Am 27. Mai gab es weitere Beschädigungen an der Hauswand eines Wohnhauses, was zeigt, dass die Gewalt nicht nur gegen die Institution Lebenshilfe gerichtet ist, sondern auch konkret gegen die Bewohner:innen. Dieser Anschlag ist rechter Terror und offen gegen Menschen mit einer Behinderung und die Mitarbeiter:innen, die mit ihnen arbeiten, gerichtet. Der Geschäftsführer der Lebenshilfe Mönchengladbach Özgür Kalkan zeigte sich gegenüber RP Online erschüttert: „Wir setzen uns ein für eine vielfältige und offene Gesellschaft, in der die Würde des Menschen unser Leitprinzip ist.” Diese Würde wurde nicht nur mit verachtenswerten Parolen in Frage gestellt, sondern ist durch offenen Terror bedroht. 

… über die AfD-Hetze 

Doch der große Aufschrei in den Medien blieb aus. Das Thema war und ist bundesweit ein Randthema und höchstens in der Lokalpresse prominent vertreten. Auch das zeigt, wie normalisiert Gewalt gegen behinderte und kranke Menschen ist. Auch hier zeigen sich die Folgen der menschenfeindlichen Segregation. Behinderte werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt und für ihre massive Ausbeutung und die Gewalt gegen sie interessiert sich kaum jemand. Dabei haben die Angriffe in den letzten Monaten und Jahren massiv zugenommen. Der ehemalige Lehrer und AfD-Führer Bernd Höcke bezeichnet schulische Inklusion als „Ideologieprojekt”. Bei der letzten Bundestagswahl sprach seine Partei sich dafür aus, dass die menschenrechtswidrige Segregationspolitik durch sogenannte Förder- und Sonderschulen fortgesetzt wird. In ihrem Grundsatzprogramm behauptet die AfD, dass Inklusion „behinderte wie nicht behinderte Schüler in ihrem Lernerfolg“ hindere. Wissenschaftliche Studien, die diese unfassbare Aussage belegen, gibt es nicht, vorhandene Studien belegen eher das Gegenteil. Das veranlasste die Vereinten Nationen sogar, das Ende von separaten Fördereinrichtungen, und auch Werkstätten in die Behindertenrechtskonvention von 2006 aufzunehmen. Mit ihrem behindertenfeindlichen Programm verurteilt die AfD pauschal behinderte Menschen und sät weiterhin Hass auf sie. 

… bis zur behindertenfeindlichen Gesetzgebung

Der rechte Terror und die Hetze der AfD sind allerdings keine Ausnahme in dieser Gesellschaft. Das neue Einbürgerungsgesetz sieht vor, dass Menschen, die Sozialleistungen empfangen, keinen deutschen Pass bekommen. Auch Menschen mit Behinderung werden bei dieser neuen Gesetzgebung der Ampel als “Sozialschmarotzer” dargestellt und ihnen wird deshalb eine Einbürgerung verwehrt. Der Rassismus der extremen Mitte richtet sich also auch gegen Behinderte und chronisch Kranke. Dabei zeigt sich stark, dass die Einteilung in “verwertbar” und “nicht-verwertbar” nicht nur Migrant:innen trifft. Dank dieser “Logik” müssen über 300.000 Menschen in sogenannten “Werkstätten” für behinderte Menschen für einen Lohn von unter 10 Euro pro Tag arbeiten. Große Industrieunternehmen wie BMW nutzen das schamlos aus und geben sich gleichzeitig noch inklusiv. 

Diese Gesetzgebungen und die massive Ausbeutung sind dabei auch eine Drohung an alle Lohnabhängigen in Deutschland, denen so gezeigt wird, was mit ihnen passieren kann, wenn sie in der Verwertungslogik nicht mehr “funktionieren”. Man überlegt sich oft zweimal, ob man wegen so alltäglichen und weit verbreiteten Dingen wie Depressionen oder Rückenschmerzen krank macht, weil man ab einer gewissen Anzahl von Fehltagen mit Jobverlust rechnen muss. Statt einem sozialen Netz findet man nur eine Abwärtsspirale in brutaler Armut und noch härter Ausbeutung. 

Die Grenze zwischen behindert und nicht-behindert ist oft fließend. Meist haben Menschen körperliche oder geistige Einschränkungen verschiedener Schweregrade. Die meisten Behinderungen entwickeln sich erst im Laufe des Lebens. Oft hängt dies mit Arbeitslied, also der potenziell krankmachenden Belastung durch Arbeit, zusammen. Aus einer Krankheit wird chronische Krankheit und daraus entwickelt sich eine Behinderung. Auch viele Arbeitsunfälle führen zu Behinderungen. Erst in Kombination mit einer nicht-inklusiven Gesellschaft und dem Gesichtspunkt der kapitalistischen Verwertungslogik werden Menschen aus der Gesellschaft und dem Arbeitsleben ausgeschlossen. In der kapitalistischen Logik gibt es allerdings nur verwertbar und nicht -verwertbar, was dazu führt, dass Menschen ab einem gewissen Punkt krass abgestempelt werden. 

Wenn wir uns an der Seite von behinderten Menschen gegen den rechten Terror und die AfD stellen, müssen wir uns auch gegen die Ampel stellen, die die brutale und rücksichtslose Ausbeutung deckt und die bürgerlichen Rechte weiter einschränkt. Dazu ist der Kampf um gesellschaftliche Teilhabe nötig, ebenso wie eine Kampagne gegen Arbeitsleid, die die Gesundheit von vielen Millionen Lohnabhängige politisiert und so zu einem gemeinsamen Kampf von behinderten und chronisch kranken Menschen und Arbeiter:innen verbindet.

Mehr zum Thema