Behindert und verrückt: Berliner Demo für Behindertenrechte

24.07.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Mike Herbst / Flicker, CC BY-NC 2.0

Am 13. Juli versammelten sich in Berlin zahlreiche Menschen unter dem Motto "Behindert und verrückt - solidarisch feiern!", um für die Rechte von behinderten Menschen zu protestieren. Aufgerufen waren Menschen mit sichtbaren und unsichtbaren Behinderungen, genauso wie mit psychiatrischen Diagnosen und solidarische Unterstützer:innen.

Die Parade startete um 15 Uhr am Hermannplatz, von wo sie sich nach einer Auftaktrede mit etwa 800 Menschen und begleitet von einem DJ Richtung Kottbusser Tor bewegte. 

Hinter der Demo steckt ein Bündnis, das bereits seit 2013 von Gruppen und Einzelpersonen getragen wird, die im Bereich Psychiatriekritik und Behindertenrechte aktiv sind. Seit der ersten Auflage wurde fast jährlich eine Demo organisiert. Das Bündnis organisiert sich dabei unabhängig von Parteien und Konzernen.

Zentrale Forderungen der „Behindert und verrückt“-Demo in diesem Jahr lauteten:

– Wir wollen nicht eingesperrt werden in Krankenhäusern.
– Wir wollen mit allen anderen zur Schule und zur Arbeit gehen. Wir wollen die gleichen Möglichkeiten haben. Wir wollen nicht ausgeschlossen werden.
– Wenn wir dem Job-Center ein Papier nicht geben: Wir brauchen trotzdem Geld zum Leben, zum Essen und für unsere Wohnung.
Manche behinderte Menschen aus einem anderen Land wollen Deutsche werden. Es gibt ein neues Gesetz in Deutschland: Wer zu wenig Geld verdient, wird nicht eingebürgert. Viele behinderte Menschen können nicht viel Geld verdienen. Sie dürfen wegen ihrer Behinderungen nicht Deutsche werden. Das ist eine Benachteiligung.

An der Kottbusser Brücke gab es eine Zwischenkundgebung mit zwei Reden. Thematisiert und kritisiert wurden unter anderem pränatale Tests, durch die man die Möglichkeit hat, vor der Geburt das Fruchtwasser auf mögliche Behinderungen des Kindes zu testen. Auch wurde das Thema Sterbehilfe, bzw. Hilfe zum Suizid thematisiert, wobei die redende Person forderte, man möge doch allen Menschen ein schönes Leben ermöglichen, anstatt ihnen aufgrund mangelnder Möglichkeiten auf ein schönes Leben Hilfe zum Selbstmord zu bieten. 

Ebenfalls angeprangert wurde der sogenannte Maßregelvollzug. Hierbei werden Menschen, die im Zusammenhang mit einer psychischen Krankheit oder Sucht eine Straftat begehen, eingesperrt, ohne zu wissen, wie lange sie dort bleiben müssen. Um die Einrichtung wieder verlassen zu können, müssen sie Therapien machen und es muss ein:e Ärzt:in bestätigen, dass sie wieder gehen können. Das Problem hierbei: Es fehlt an Personal für die Therapien. Viele Menschen bleiben für die gleiche Straftat länger im Maßregelvollzug als sie im Gefängnis geblieben wären. Und entgegen landläufiger Vorstellungen handelt es bei Insass:innen des Maßregelvollzugs nicht um Menschen, die besonders brutale oder schwere Taten begangen haben. Es benötigt lediglich eine psychiatrische Diagnose und ein Gericht, das einen Zusammenhang zwischen dieser Diagnose und der Tat sieht, um im Maßregelvollzug zu landen.

Die Organisator:innen der Pride befassten sich außerdem mit der UN und ihren Beschlüssen zu behinderten Menschen. Sie kritisierten hierbei Deutschlands mangelhafte Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. 

Glitzerkrücke gegen Diskriminierung

Am Ende der Parade wurde noch die alljährliche Glitzerkrücke verliehen. Mit der Glitzerkrücke wird ein Preis, wenn auch im negativen Sinne, an eine Institution oder Organisation verliehen, die im vergangenen Jahr besonders stark an der Diskriminierung behinderter Menschen beteiligt war. Dieses Jahr wurde sie an die deutschen Sozialämter verliehen, da sie sich trotz eines rechtlichen Anspruchs immer wieder weigern, im Bereich Ehrenamt und Freizeit, Geld für das Dolmetschen in Deutsche Gebärdensprache auszugeben. Ebenfalls nominiert war der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die Vivantes Kliniken, auf deren psychiatrischen Stationen im Urban-Krankenhaus katastrophale Zustände herrschen.

Im Rahmen der Preisverleihung äußerten die Organisator:innen in früheren Jahren auch  Kritik am Militarismus: So ging beispielsweise 2015 die Glitzerkrücke an eine Behindertenwerkstatt in Cuxhaven, welche Rüstungsteile produziert. Ausschlaggebend war dabei nicht nur, dass Behindertenwerkstätten grundsätzlich kritikwürdig sind, weil behinderte Menschen dort weit unter Mindestlohn ausgebeutet werden. Die Werkstatt wurde auch prämiert, weil sie behinderte Menschen dafür ausbeutet, militärische Produkte herzustellen, die ihrerseits neue Behinderungen und Traumata schaffen. 

Einzelne Aktivist:innen, die auch die Verbindung von Palästina-Solidarität und Kampf für Behindertenrechte auf der Demo thematisieren wollten, wurden leider daran gehindert, an der Demonstration teilzunehmen. Bereits im Vorfeld erklärten die Veranstalter:innen auf Social Media, dass für sie unter ihr Verbot von Nationalfahnen und Nationalsymbolen auch das Tragen einer Kufiya falle. Die Organisation verkündete, jede:r solle sich auf dieser Demonstration sicher fühlen und sie wollen Konflikte so gut es geht vermeiden. Leider wurde nicht erklärt, wie sich dieser Ausschluss pro-palästinensischer Positionen mit der generellen Solidarisierung mit Geflüchteten im Demo-Aufruf verträgt oder wie sich insbesondere palästinensische Menschen mit Behinderung unter diesen Umständen auf der Demo willkommen fühlen könnten.

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