Befristungen vor Gericht

23.06.2015, Lesezeit 5 Min.
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// AMAZON: Am Mittwoch klagen vier ehemalige Betriebsratsmitglieder des Standorts Brieselang des multinationalen Versandhandelskonzerns gegen das Auslaufen ihrer Verträge. Anlässlich des Gerichtsprozesses am 24. Juni findet vor dem Arbeitsgericht Brandenburg eine Kundgebung mit Amazon-KollegInnen, streikenden AktivistInnen anderer Betriebe und solidarischen UnterstützerInnen statt. //

Die Klage der ehemaligen Betriebsratsmitglieder des Versandzentrums Brieselang im Nordosten von Berlin erreichte das Arbeitsgericht im Februar; nur Tage nachdem die Geschäftsführung entschieden hatte, ihre Verträge nicht zu verlängern und damit den gewerkschaftlich organisierten und aktiven Sektor des Betriebsrats anzugreifen.

Die ArbeiterInnen wollen vor Gericht den diskriminierenden und politischen Charakter der Entscheidung des Unternehmens aufzeigen und fordern ihre Wiedereinstellung, um ihr Mandat im Betriebsrat fortführen zu können. Doch ihnen gegenüber stehen nicht nur die Bosse, sondern auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Mit diesem Gesetz erlaubt der Staat Unternehmen wie Amazon, während eines Zeitraums von maximal zwei Jahren ihre Beschäftigten so auszutauschen, wie es ihnen passt, selbst wenn es einen Betriebsrat gibt.

Im Bewusstsein dessen kämpfen die nun klagenden KollegInnen seit der Gründung des Betriebsrats gegen die Befristungspolitik, die es in allen Versandzentren gibt, vor allem in Brieselang. So gaben sie ihrem Kampf eine politische Dimension, erlangten die Aufmerksamkeit der Medien, besuchten Universitäten, und erhielten Solidarität von anderen ArbeiterInnen, Studierenden und politischen Organisationen.

Zwischen dem Juristischen und dem Politischen

Die Situation dieser KollegInnen ist im Land des „Wirtschaftswunders“ keine Ausnahme, sondern eine verbreitete Praxis. Diese erlaubt es den Unternehmen, die Produktionskosten zu reduzieren, die Organisierung der ArbeiterInnen durch die hohe Fluktuation zu verhindern und ihre Arbeitskraft maximal auszupressen – mit dem (zynischen) Versprechen, dass diejenigen, die sich am meisten aufopfern, vielleicht einen Festvertrag bekommen werden.

Mit Hilfe des TzBfG werden täglich tausende ArbeiterInnen entlassen, wiedereingestellt oder in die Arbeitslosigkeit geworfen. In den allermeisten Fällen gibt es dafür keinen einzigen Grund. Stattdessen gibt es eine diskriminierende Praxis, die den Bossen unter dem Schutz des Gesetzes die Möglichkeit gibt, ArbeiterInnen rauszuwerfen, die sie aufgrund von Krankheit, Schwangerschaft oder politischem Aktivismus nicht weiter beschäftigen wollen. Und nur sehr wenige KollegInnen haben den Mut, den Weg vor das Arbeitsgericht zu gehen und – meist ohne Erfolg – auf ihr Recht zu klagen.

Arbeitsgerichtsprozesse werden in Deutschland selten politisch geführt. Im Normalfall sind alle Beteiligten dagegen, den juristischen Fall zu politisieren: AnwältInnen, Gewerkschaften und RichterInnen. Auch wenn es emblematische Fälle wie den von a href=“/wir-trauern-um-emmely/“>Emmely – Kaiser’s-Verkäuferin, die jahrelang gegen ihre Entlassung aufgrund von Gewerkschafts- und Betriebsratstätigkeit juristisch ankämpfte – gibt, werden arbeitsrechtliche Fragen meist ohne Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in grauen Gerichtszimmern erörtert.

Das sorgt für eine tragische Situation für die ArbeiterInnen, die „Gerechtigkeit“ wollen, wenn ihr Schicksal und das ihrer Familie auf dem Spiel stehen. Die Bosse wollen demgegenüber diese Situation aufs Schärfste ausnutzen und dabei die öffentliche Konfrontation meiden. Es ist klar, dass Prozesse von ArbeiterInnen gegen KapitalistInnen immer ungleich sind, weil die Arbeitsgesetze einen Klassencharakter haben.

Das ist der Hintergrund des Prozesses, der an diesem Mittwoch in Brandenburg an der Havel stattfinden wird.

Deshalb werden während des Gerichtsprozesses solidarische Aktionen organisiert, an denen ArbeiterInnen anderer Betriebe, die Gewerkschaft ver.di, die Linkspartei und ArbeiterInnen und AktivistInnen, die sich im Berliner Solidaritätskreis für die Beschäftigten bei Amazon organisieren, teilnehmen werden. Auch an anderen Versandzentren von Amazon in Deutschland und Polen werden symbolische Solidaritätsaktionen stattfinden.

Nach dem Prozess

Es ist wahrscheinlich, dass das Gericht im Sinne des Unternehmens entscheiden wird. Deshalb bereiten sich die ArbeiterInnen darauf vor, ihren Fall zur nächsten Instanz, bis auf die nationale, oder falls nötig, europäische Ebene zu bringen.

Mit ihrem Kampf wollen sie die diskriminierende Praxis von Amazon gegen seine ArbeiterInnen denunzieren; Amazon ist bekannt für seine antigewerkschaftlichen Praktiken.

Doch gleichzeitig sehen sie ihren Kampf als Teil des Kampfes, den die ArbeiterInnen von Amazon insgesamt seit mehr als zwei Jahren führen: für bessere Arbeitsbedingungen, für einen Tarifvertrag und gegen Prekarisierung. Das ist das Ziel, welches sie mit der Streikwelle teilen, die Deutschland in den letzten Monaten durchzieht.

Gerichtsprozess gegen Amazon Brieselang

Kundgebung: Mittwoch, 24. Juni, ab 10 Uhr vor dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel (Magdeburger Str. 51, Brandenburg an der Havel)

Gemeinsamer Treffpunkt und Hinfahrt um 09:00 Uhr am Berliner Hauptbahnhof auf Gleis 14 (Abfahrt 9:11 Uhr)

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