Bartsch und Özdemir: Seehofers Stiefellecker
Der Vorsitzende der Linksfraktion Dietmar Bartsch verurteilt Gewalt gegen Polizist*innen in Stuttgart. Der Grüne Cem Özdemir sagt einem Kritiker: „Halten Sie bitte die Fresse“. In der aktuellen rechten Kampagne zur Polizeifrage, ist es notwendig, sich auf der Seite der drangsalierten Jugendlichen zu positionieren. Das beinhaltet einen Ausschluss der „Gewerkschaft der Polizei“ aus dem DGB und eine Abgrenzung gegenüber Befürwortern von Regierungsbeteiligungen in der Linkspartei. Eine Debatte mit Sozialistische Organisation Solidarität – SOL.
Aus der Führung der Linkspartei ist es auffallend ruhig zu den Vorkommnissen in Stuttgart. Aus der Parteispitze äußerte sich vor allem Dietmar Bartsch öffentlich. Anstatt einen kritischen Blick auf die Polizei zu werfen, wie es sich für eine Partei mit linkem Selbstverständnis gehören würde, verteilte er Ohrfeigen an die Jugendlichen in Stuttgart: „Was für ein widerliches Verhalten“:
Anpassung an den rechten Diskurs
Wie schon zu früheren Gelegenheiten, wie in der Frage der Grenzschließung oder dem Fall von Hans-Georg Maaßen, positioniert sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) aktuell als Speerspitze der Reaktion. Gegen die Beteiligten an den Krawallen fordert er harte Strafen – etwas das es selbst für mordende Polizist*innen in Deutschland nie gibt. Gleichzeitig droht er mit Strafanzeige gegen die Autorin der TAZ, Hengameh Yaghoobifarah, wegen ihres Artikels „All cops are berufsunfähig“, die er für die Ereignisse in Stuttgart mitverantwortlich macht.
Während sich Ulla Jelpke als innenpolitische Sprecherin der Linken gegen den Angriff auf die Pressefreiheit wendet, legitimiert ihr Parteikollege Bartsch dennoch den Polizeieinsatz in Stuttgart. Dabei hätte er mal die Jugendlichen fragen können, wie es dazu kam. Ein Augenzeuge beschreibt im Interview, wie die Polizei aggressiv auftrat und willkürlich Flaschen von Personen zertrümmerte, die einfach nur gemütlich im Schlosspark saßen:
Offensichtlich suchte die Polizei Streit, den sie dann auch bekam. Das Hanfjournal berichtet, dass der Auslöser der späteren Krawalle war, als die Polizei einen 17-Jährigen wegen eines Joints aufgegriffen hatte. Noch bevor sich das Geschehen in weitere Teile der Innenstadt verlagerte, sei die Polizei demnach mit 300 schwer gepanzerten Beamt*innen mit Knüppeln und Pfefferspray auf die aufgebrachte Menge im Schlosspark losgegangen. In der Pressekonferenz der Polizei hieß es lediglich, die Jugendlichen hätten „sofort“ nach der Drogenkontrolle angefangen, Flaschen und Steine zu werfen – zwischen der Kontrolle und den Steinwürfen klafft eine auffällige Lücke, die in dem Polizeimärchen aber nicht zur Sprache kommt.
Die Verantwortung für die Eskalation tragen die Polizei und die grün-schwarze Landesregierung, die darauf setzen, durch ständiges Drangsalieren von Jugendlichen, insbesondere durch Racial-Profiling von nicht-Weißen, die Jugendlichen und Migrant*innen einzuschüchtern. So provozierte die Polizei praktischerweise gleich die Bilder von Krawallen, die auch im baden-württembergischen Landtag am Donnerstag zur Sprache kommen werden, wenn es darum geht, den neuen Entwurf für schärfere Polizeigesetze zu diskutieren.
Statt eine klare Position gegen jede Repression in Verteidigung der Jugendlichen einzunehmen, die von der Polizei angegriffen werden, hält es Bartsch von der Linken für notwendig, die Law-and-Order-Politik von Seehofer mitzutragen.
Ähnlich tat dies auch Cem Özdemir von den Grünen. In einem Interview wurde er von einem Passanten unterbrochen, der die „Polizei-Diktatur“ für die Eskalation verantwortlich machte, was Özdemir mit einem „Halten Sie bitte die Fresse, wir sind hier in Deutschland“ beiseiteschob:
Keine gemeinsame Partei mit Regierungspolitiker*innen!
In der Linkspartei positioniert sich die Sozialistische Organisation Solidarität – SOL gegen den Polizeieinsatz und gegen die Haltung des Fraktionsvorsitzenden Bartsch:
Wenn die Ungehörten nicht nur gehört, sondern auch verstanden werden und etwas verändern wollen, dann müssen sie ihre Wut in politischen Widerstand verwandeln. Das heißt: sich organisieren, politische Forderungen aufstellen und für sie kämpfen. Dabei sollten Linke sie mit ihren Vorschlägen unterstützen. Solche Krawalle sind auch die Folge davon, dass viele Jugendliche keinen Weg sehen, die Verhältnisse zu verändern, weil Gewerkschaften und DIE LINKE nicht entschlossen genug gekämpft haben, zuletzt keine entschiedene Opposition gegen die Corona-Maßnahmen im Dienste der Profite und stattdessen für Maßnahmen im Interesse der Gesundheit und der Lebensqualität der Bevölkerung organisiert haben. Dadurch ist ein politisches Vakuum entstanden, in dem solche ziellosen sozialen Explosionen fast zwangsläufig sind.
SOL kritisiert richtigerweise, dass die Linkspartei und die Gewerkschaften keine Alternative zur Corona-Politik der Regierung vorschlagen. Stattdessen haben die Führungen der Gewerkschaften in den letzten Wochen die Massenentlassungen wie beim Getriebewerk Votih in Sonthofen oder aktuell bei Kaufhof mit abgenickt. Millionen von Arbeiter*innen und Jugendlichen wird in der aktuellen Krise die materielle Sicherheit genommen. Die Antwort der Regierung auf die sozialen Verwerfungen ist heute eine Kampagne für die Polizei, um ihre Legitimität und Befugnisse zu erhöhen. Selbst der DGB macht dabei mit, indem er die „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP) weiter in ihren Reihen duldet und Image-Kampagnen für Polizist*innen unterstützt.
Während SOL korrekterweise die anpasslerische Haltung der Linkspartei kritisiert und sich gegen die Ausweitung der Polizeibefugnisse positioniert, schreiben sie leider nicht über den notwendigen politischen Kampf in den Gewerkschaften und über einen nötigen Bruch in der Linkspartei. Für Sozialist*innen ist es heute notwendig, in den Gewerkschaften für einen Ausschluss der GdP einzutreten, damit die Arbeiter*innenorganisationen ohne den Ballast der Repressionsorgane wirklich auf der Seite der Arbeiter*innen und Jugendlichen stehen.
Für die Linkspartei schlägt SOL eine Schwerpunktsetzung auf Proteste vor, was abstrakt bleibt, solange sie nicht klar aussprechen, dass Sozialist*innen keine gemeinsame Partei mit jemandem wie Bartsch aufbauen können. Ihm und den anderen Befürwortern von Regierungsbeteiligungen sind die Anerkennung als staatstragender Politiker wichtiger, als sich schützend vor kriminalisierte Jugendliche zu stellen. Sie haben in den Reihen einer klassenkämpferischen Linken keinen Platz.