Autonome Unterhosenwichtel – Zur unsinnigsten Aktion des Jahres

21.06.2017, Lesezeit 4 Min.
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13 Kabelbrände bei der Bahn haben in ganz Deutschland Chaos ausgelöst. Das soll ein linker Protest gegen die G20 sein – und kann nur nach hinten losgehen.

Montag früh am S-Bahnhof Neukölln. Der Bahnsteig ist voll, der Zug kommt nicht, die Menschen sind genervt. Ein Kabelbrand am Treptower Park ist Schuld, heißt es über die Lautsprecher. Irgendwann fährt die Ringbahn wieder. Aber Richtung Südosten geht es für den Rest des Tages nur mit Schienenersatzverkehr. Wie konnte es zu diesem Brand kommen? Nur eine weitere Folge des Kaputtsparens beim öffentlichen Nahverkehr in Berlin, denkt man sich.

Manche Betroffene werden ihre Smartphones gezückt und die Nachrichten gesehen haben. Nicht die Deutsche Bahn ist diesmal für die Verspätungen verantwortlich, sondern „Chaoten“ und „Linksextreme“, hieß es beim bürgerlichen Hetzblatt „B.Z.“. Einige Wenige – darunter auch ich – werden ihren Weg zu Indymedia Linksunten gefunden haben, wo ein Bekenner*innenschreiben stand.

Wir unterbrechen die alles umfassende wirtschaftliche Verwertung. Und damit die so stark verinnerlichte Entwertung von Leben. Wir greifen ein in eines der zentralen Nervensysteme des Kapitalismus: mehrere Zehntausend Kilometer Bahnstrecke.

Bundesweit wurden 13 solcher Anschläge gleichzeitig verübt: in NRW, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Scheinbar war das als Protest gegen den G20-Gipfel in Hamburg gedacht. (Wir dürfen nicht vergessen, dass vielleicht auch eine staatliche Provokation dahinterstecken könnte.)

Aber was genau soll damit erreicht werden? Glauben die Aktivist*innen, dass die zentralen Kapitalströme des deutschen Imperialismus mit der S-Bahn durch Ostberlin fahren?

Nein, werden die Verfasser*innen argumentieren, dieser Kabelbrand soll viel mehr andere Menschen ermutigen, selbst Sabotageakte durchzuführen. Gut. Und? Wird das passieren? Wird die Hypothese aufgehen?

Wenn wir uns die Geschichte des Kapitalismus anschauen, gab es deutlich spektakulärere Attentate – auch Kaiser*innen sind in die Luft gesprengt worden. Hatten sie jemals den erhofften Effekt, die Passivität und Resignation unter den Ausgebeuteten zu überwinden?

Diese autonome Taktik ist letztendlich ein Ausdruck der politischen Verzweiflung. Wenn uns wirklich gar nichts einfällt, um die Massen zum Kampf anzustacheln, dann… naja, immerhin können wir etwas anzünden.

Mich erinnert dieser Plan ein wenig an die „Unterhosenwichtel“ bei South Park. Diese magischen Kreaturen schleichen sich nachts in die Schlafzimmer von Menschen, um ihre Unterwäsche zu stehlen. Warum? Sie haben einen großen Plan: Schritt 1 ist, Unterwäsche zu stehlen. Schritt 3 ist Profit. Aber was ist Schritt 2? Keine*r der Wichtel kann sich erinnern…

Ich denke, der Plan der Autonomen ist in diesem Fall ähnlich: Schritt 1 ist, Feuer zu legen. Schritt 3 ist, eine befreite Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu erreichen. Aber was ist Schritt 2?

Lower Class Magazine kritisiert die Aktion völlig zu Recht als „Schuss ins eigene Knie.“ Sie zitieren die Bewegung 2. Juni und Che Guevara – sie wollen Guerilla-Aktionen, die darauf ausgerichtet sind, die Sympathie der Bevölkerung zu gewinnen.

Doch eine Guerilla-Strategie hat immer die Eigenschaft, dass kleine, verdeckte Gruppen im vermeintlichen Interesse der arbeitenden und armen Bevölkerung handeln. Das kann ihnen besser oder schlechter gelingen – aber die Massen bleiben auch unter den günstigsten Umständen Zuschauer*innen.

Marxist*innen dagegen setzen auf die massenhafte Selbstorganisierung der Ausgebeuteten. Die Massen sollen nicht auf eine*n anonyme*n Kämpfer*in in olivgrüner Uniform oder schwarzer Hassmaske setzen, sondern auf die eigene Kampfkraft.

Denn die Kampfmittel der Massen – Demonstrationen, Blockaden, Streiks – stören den Wirtschaftskreislauf viel mehr als isolierte Militanz. Wir brauchen nur einen Blick auf die Streiks der Lokführer*innen zu werfen, die deutlich mehr Verspätungen verursachten als diese 13 Kabelbrände.

Die Aktivist*innen, die diese nächtlichen Aktionen durchführten, haben ihren Mut unter Beweis gestellt. Sie labern nicht nur, sondern nehmen Risiken auf sich, um ein Zeichen gegen das System zu setzen, das auf der Ausbeutung von Milliarden basiert. Das begrüßen wir.

Aber sie brauchen eine ganz andere Strategie. Wie wäre es, wenn sie mit ihrem ganzen Mut in die Großbetriebe gehen würden, um Proletarier*innen zu organisieren? Das ist am Anfang weniger spektakulär – aber kann langfristig dem Kapital viel größere Schäden zufügen.

Die Organisation von Milliarden Arbeiter*innen weltweit mit dem Ziel, die politische Macht zu erobern und das Kapital zu enteignen, ist ein mühsamer Prozess. Aber es ist unsere einzige Chance, um die Menschheit vor dem Kapitalismus zu retten. Und viel realistischer als Unterhosenwichtel-Aktionen.

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