Automobilindustrie in der Krise: Was ist die Mobilität der Zukunft?
Die Diskussion um die schädlichen Nebenwirkungen des Diesel-Motors ist noch lange nicht vorbei. Doch warum gibt es in der deutschen Automobilbranche so viele Stimmen, die vor einer Abkehr vom Diesel warnen, wo doch angeblich die Elektromobilität die Zukunft ist?
Die Autoindustrie steckt in einer tiefen Krise. Neben dem sich verschärfenden Handelskonflikt mit den USA, in den auch die Automobilindustrie immer mehr hineingezogen wird, hat der Verbrennungsmotor einen schlechten Ruf bekommen. Vor allem der Diesel gilt als Umweltsünder. Durch den zu hohen Ausstoß von Stickoxiden sterben laut einer Studie der Organisation Environmental Health Analytics aus Washington in Europa jährlich 11.400 Menschen. Dabei verspricht die Automobilindustrie seit Jahren eine saubere Alternative, die vor allem in Ballungsräumen zur Reduzierung der Feinstaub- und Stickoxidemissionen beitragen soll. Doch lange waren von den versprochenen 1.000.000 Elektroautos gerade einmal 60.000 auf deutschen Straßen unterwegs. Erst seit 2018 und der Diskussion um Fahrverbote werden in Deutschland weniger Autos verkauft, dafür aber steigt der Verkauf an Elektroautos. Dennoch liegt der Marktanteil lediglich bei ein Prozent. Ein Grund dafür ist, dass die deutsche Automobilindustrie weiter am Diesel festhält. Denn in seine Entwicklung sind in den letzten Jahrzehnten unzählige Gelder geflossen. Allein bis 2022 möchte Volkswagen weitere zehn Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung von Verbrennungsmotoren investieren. Dadurch sollen Emissionen und Verbrauch noch weiter gesenkt werden.
Die deutsche Automobilindustrie, allen voran der Volkswagenkonzern, BMW und Mercedes, haben sich seit Beginn der Massenfertigung von Kraftfahrzeugen einen unglaublichen Wettbewerbsvorteil gesichert was die Entwicklung von Dieselmotoren angeht. Diesen Vorteil möchte man natürlich nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. China hingegen setzt auf Forschung und Entwicklung in der Elektromobilität, eben weil die deutsche Automobilindustrie in der Forschung und Entwicklung von Verbrennungsmotoren so weit fortgeschritten ist. Genauso wie der Unternehmer Elon Musk mit Tesla, versucht China in diesem neuen Segment Boden gut zu machen. Gerade hat der chinesische Autobauer Great Wall Motors ein neues Elektroauto auf den Markt gebracht. Das Ora R1 genannte Modell soll bei einem Kaufpreis von unter 8.000 Euro laut Hersteller eine Reichweite von über 300 Kilometer erreichen können.
Sowohl in China als auch in den USA führt der Dieselmotor ein Schattendasein. Doch während in den chinesischen Fabriken von Volkswagen keine Dieselfahrzeuge vom Band laufen, wird aufgrund steigender Ölpreise der Diesel in den USA stärker nachgefragt. Im Jahr 2015, das bereits vom Dieselskandal geprägt war, betrug sein Marktanteil rund drei Prozent. Das mag wenig sein, doch die Wachstumszahlen in einigen US-Bundesstaaten waren teilweise zweistellig. In Kalifornien stieg der Anteil an Dieselfahrzeugen um 15,5 Prozent. Zudem stößt der Dieselmotor weniger CO2 aus als ein Benziner, das mag bei der aktuellen Diskussion um den Klimawandel auch eine Rolle gespielt haben. Bei der Diskussion um die Mobilität der Zukunft geht es also nicht nur um die Frage von Vernunft, sondern eben auch um die Frage von Wettbewerbsvorteilen gegenüber China und den USA.
Dazu zählt auch die Verhaftung von führenden Managern deutscher Automobilkonzerne in den USA, wie Oliver Schmidt, der von einem US-Gericht zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Vor allem im Handelskonflikt mit den USA könnte die Sache spannend werden. Denn auch in den USA ist man von sparsamen Motoren für Nutzfahrzeuge abhängig, genauso wie in China, wo das Lastwagen-Image am Diesel haftet wie Fliegen an der Windschutzscheibe. Volkswagen und Ford haben im Sommer 2018 eine strategische Allianz beschlossen, um in diesem Segment die Kräfte zu vereinen. Ford kann so an effizientere Dieselaggregate kommen und für Volkswagen ist es eine Möglichkeit, Handelshemmnisse zu umgehen. Im November verkündeten beide, ihr Bündnis weiter ausbauen zu wollen. Auch in China ist man interessiert an der deutschen Dieseltechnik, um im eigenen Nutzfahrzeug-Markt mehr Einfluss zu gewinnen. Aber genauso möchte die deutsche Automobilindustrie bei der Elektromobilität aufholen.
Mit dazu gehört aber nicht nur die deutsche Automobilindustrie, sondern auch die deutsche Zulieferindustrie, allen vor das Stuttgarter Unternehmen Bosch. Mit einem Umsatz von 78 Milliarden Euro ist es der größte Autozulieferer weltweit. Die Software, die den Betrug bei den Emissionswerten ermöglichte, kam von Bosch. Mit ihrer Hilfe konnte während der Tests der Ausstoß von Stickoxiden gesenkt werden. Dadurch war es möglich im alltäglichen Gebrauch bessere Fahrwerte, einen geringeren Verbrauch und eine längere Lebensdauer zu erreichen – auf Kosten der Umwelt.
Doch die deutschen Autobauer und die Zulieferindustrie halten weiter am Dieselmotor fest, denn ein Ende der Entwicklung ist für sie noch lange nicht in Sicht. Durch neue Innovationen hoffen sie den Verbrauch und die Emissionswerte weiter senken zu können. Erst im April 2018 hat Bosch eine neue Technik vorgestellt, mit der das Unternehmen das Stickoxid-Problem beim Diesel lösen möchte. Durch eine Kombination aus neu entwickelter Einspritz-Technik, Temperaturmanagement im Motor, Luftsystem und dem Einsatz künstlicher Intelligenz soll laut Bosch der Ausstoß von Stickoxiden auf durchschnittlich 13 Milligramm pro Kilometer gesenkt werden. Der aktuelle offizielle Grenzwert liegt bei 168 Milligramm und soll 2020 auf 120 Milligramm reduziert werden. Laut Bosch ist die Technik ausgereift und kann direkt von den Herstellern in den Fahrzeugen verbaut werden. Zur Bekanntgabe dieser technischen Neuerung und hinsichtlich der Ökobilanz von Kraftfahrzeugen sagte Bosch-Chef Volkmar Denner: „In solcher Gesamtbetrachtung kann herauskommen: Es ist besser, den richtigen Diesel zu fahren, als das falsche Elektroauto.“
Auch Bosch hält weiterhin am Diesel fest, um seinen Wettbewerbsvorteil sichern zu können. Seit 1927 betätigt sich Bosch in der Produktion von Bauteilen für Dieselmotoren. Von den über 400.000 Beschäftigten, die bei Bosch arbeiten, sind 50.000 vom Diesel abhängig. Durch den Rückgang der Nachfrage von Dieselfahrzeuge sind diese Stellen bedroht. Bosch beklagt, dass die französischen Werke nicht mehr ausgelastet seien. In den deutschen Produktionsstandorten konnte der Rückgang der Nachfrage noch durch den Boom in China abgefangen werden. Hinsichtlich der Situation in Frankreich sprach Bosch-Chef Volkmar Denner vom „Dieselbashing“ und forderte bei einem Besuch in Frankreich französische Politiker*innen auf, dies zu unterlassen. Tatsächlich gibt es einen deutlichen Rückgang. Während in Frankreich bis 2012 der Marktanteil von Dieselfahrzeugen bei 70-75 Prozent lag, ist er für 2017 auf 48,5 Prozent gesunken.
Neben den technischen Möglichkeiten, die sich durch Forschung und Entwicklung beim Dieselmotor ergeben, gibt es noch weitere Gründe für die Automobil- und Zulieferindustrie, weiter am Selbstzünder festzuhalten. Vor allem bei der Batterietechnik häufen sich die Probleme, auch wenn es innovative Konzepte gibt, wie die Feststoffbatterie. Doch Forschung und Entwickelung gestalten sich enorm schwierig. Grund dafür ist, dass man die Prozesse, die in einer Batterie ablaufen, nicht direkt beobachten kann, ohne die Prozesse zu verfälschen. Deswegen muss man Veränderungen in der Batterie vornehmen und dann gucken, was passiert. Das macht die Forschung und Entwicklung in der Elektromobilität kostenintensiv und langwierig. Der Prozess, der bei der Verbrennung von Kohlenwasserstoff abläuft, ist viel besser verstanden und kann auch direkt beobachtet werden. Zudem ist gut bekannt, wie sich die einzelnen Bestandteile unter anderen Umweltbedingungen – wie großer Kälte und großer Hitze – verhalten und wie sie auf Stöße reagieren, was bei der Batterie nicht der Fall ist. Auch ist die Technik langlebiger. Dieselmotoren mit Laufleistungen von über 500.000 Kilometer sind keine Seltenheit, wovon die Elektrobatterie bisher noch weit entfernt ist.
Das vergrößert für Unternehmen die Hürde in diesem Bereich zu investieren. Dazu würde die deutsche Automobilindustrie ihren Wettbewerbsnachteil verlieren, währenddessen droht sie aber auch den Anschluss zu verpassen, wenn es zu großen Fortschritten in der Entwicklung der Speichertechnik kommen sollte. Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit der Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Zwar ist auch die Technik mit Problemen verbunden, aber die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie könnte ihren Vorsprung behalten. Es gibt bereits einige Startups in Deutschland, die sich mit der Herstellung synthetischer Kraftstoffe beschäftigen. Das Dresdner Startup-Unternehmen Sunfire durfte schon den Dienstwagen der damaligen Forschungsministerin Johanna Wanka medienwirksam befüllen und auch an deutschen Hochschulen wird daran geforscht. Die Bundesregierung möchte der deutschen Autoindustrie dabei helfen, ihren Wettbewerbsvorteil zu behalten. Deswegen hat das Bildungs- und –Forschungsministerium des Bundes die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen von 2015 bis 2018 mit rund 100 Millionen Euro unterstützt. Der Präsident vom Verband der Automobilindustrie (VdA), Bernhard Mattes, ist zuversichtlich, dass der Verbrennungsmotor „seinen zweiten Frühling erleben“ kann.