Ausgangssperre – und was dann?!
Seit Sonntag gelten bundesweite Ausgangsbeschränkungen. Sinnvolle Maßnahme oder autoritärer Eingriff? Ein Kommentar von Liam Figueroa.
Foto: Nürnberger Flughafen nach Corona-Sperre von Markus Spiske
Eine scheinbar große Übereinstimmung schwingt durch die Gesellschaft. Die Ausgangssperre wird in vielen Ländern, von den jeweiligen Regierungen, als einzige Lösung gegen die Ausbreitung des Coronavirus eingesetzt. Auch hier in Bayern hat der Ministerpräsident Söder am 20. März eine „grundlegende Ausgangsbeschränkung“ ausgerufen. Mit der Prämisse: „Das Verlassen der Wohnung sei nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.“ kündigte Söder die weitere Einschränkung des Alltagslebens und besonders von größeren Versammlungen an. Über eine Verschärfung der Maßnahmen berichtete gestern am Sonntag den 22. März die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Von Montag an sollen Zusammenkünfte in der Öffentlichkeit von mehr als zwei Personen verboten werden. Ausgeschlossen von derlei Regelungen sei jedoch die Arbeit. Und mal wieder sind die Polizist*inneen, diejenigen die uns vor dieser Krise schützen sollen.
Wer diese Zeilen gelesen hat, sollte bereits einen dreisten Widerspruch erkannt haben:
Es ist „erlaubt“ mit einer großen Anzahl von Menschen in Kontakt zu kommen, allerdings nur dann, wenn man sich dafür ausbeuten lässt. Dem kommt hinzu, dass man unter einem weiteren immensen Druck steht, und zwar dem der Miete, der Nahrung sowie weitere Unterhaltskosten. Diese bleiben trotz der Krise beibehalten und aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation kommt es zu Entlassungen und Lohnkürzungen, welche die Bezahlung der davor genannten Kosten verunmöglichen. Es ist also nicht nur die Gesundheit, die zurzeit in Gefahr steht, sondern die Lebenssituation insgesamt. Was passiert also, wenn man sich in der Öffentlichkeit befindet? Wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann erklärte, können Bußgelder die Höhe von bis zu 25.000€ erreichen. Umgerechnet auf eine Rechnung, die uns Jugendliche zugänglich ist, sind es ungefähr 55 Monate, also 4 ½ Jahre, Arbeit in einem 450€ Mini-Job. Für jede andere Form von Aufenthalt in der Öffentlichkeit ist die Kontrolle der Polizei nötig und man geht davon aus, nur Polizist*innen könnten eine rationale Einschätzung der Lage – für das Wohl der Allgemeinheit – treffen. Dafür stehen ihr auch unterschiedliche Formen von Bestrafungen zu Verfügung.
Die Ernsthaftigkeit der Lage soll mit den vorher geschriebenen Zeilen gar nicht in Frage gestellt werden, vielmehr will ich die Absurdität der GroKo-Politik in dieser Krisensituation aufzeigen:
Die Maßnahme einer Isolierung von sozialer Interaktion ist, aufgrund der Geschwindigkeit mit der sich der Virus verbreitet, durchaus von Nöten. Der Rückzug aus dem öffentlichen Leben ist eine effiziente Methode um die direkte Ansteckung vorerst zu bremsen. Allerdings ist der erhobene „kategorische Imperativ“- der sich an die reine Vernunft des Einzelnen richtet – für die Bekämpfung des Virus ineffektiv. Im Gegensatz dazu brauchen wir heute Maßnahmen, die zur Erkennung des Virus an den jeweiligen infizierten Personen führen, um die betroffenen Personen dann somit mit aller Ernsthaftigkeit behandeln zu können. Diese dürfen jedoch nicht verlaufen wie zum jetzigen Zeitpunkt. Es reicht nicht, Tests einzig und allein bei einem Verdacht auf eine Infizierung durchzuführen, denn ein solches Verfahren führt nur zu Unsicherheit und Stigmatisierung zwischen den Menschen. Stattdessen wären massenhafte Tests für die gesamte Bevölkerung, nach dem Vorbild Südkorea, von großer Hilfe.
Zudem sind Merkels Danksagungen an die Arbeiter*innen in den Krankenhäusern leere Worte. Die Aussetzung der Personaluntergrenze, die mittlerweile „normalisierten“ Überstunden, eine große Anzahl von befristeten Arbeitsverträgen, Outsourcing – so bedankt sie sich bei den Beschäftigten seit Jahren. Und wie schaut es jetzt in dieser neuen Situation aus? Ich lasse die Protagonist*innen selber sprechen:
Stattdessen gilt im jetzt ausgerufenen Katastrophenfall aufgrund von Personalmangel eine Urlaubssperre und Rufbereitschaften sollen eingeführt werden. Ebenso wurde das Arbeitszeitgesetz für Beschäftigte in der Pflege “gelockert”. Dadurch können Arbeitgeber*innen mit zusätzlichen Befugnissen über die Beschäftigten rechnen. Die ohnehin schon hohe Belastung auf ihren Schultern wird zunehmen.
Aber zurück zum Thema Ausgangssperre. Die Coronakrise ist zurzeit nicht alleine. Sie ist einerseits ein Vorbote und andererseits ein auslösender Faktor für eine sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise. Die Börsen sind nämlich nicht unantastbar, und das haben die letzten Wochen gezeigt. Die Instabilität des Kapitalismus entspricht der gegenwärtigen Lage des Gesundheitssystems (das es durch seine Logik selbst hervorgebracht hat). Die Ölpreise erfahren ihren größten Rückgang seit dem Golfkrieg. Handelskriege verschärfen sich. Die Federal Reserve und die Zentralbanken Europas, Japans und anderer Länder kündigten an, durch den Kauf von Anleihen und Aktien Billionen von Dollar an Liquidität (gemeint ist damit die Subsistenz im wirtschaftlichen Sinne der jeweiligen Unternehmen) zuzuführen. Was davon bei den Arbeiter*innen ankommen wird, lässt sich in den Titeln der bürgerlichen Medien bereits lesen: „Lkw-Hersteller in der Krise ‚Signifikanter Stellenabbau‘: MAN will viele Arbeitsplätze streichen” , „Coronavirus: So viele Kurzarbeiter wie noch nie“ , „450 Mitarbeiter betroffen VW-Tochter Sitech schließt Werk in Hannover“.
Wir müssen erkennen, dass die Coronakrise und die Ausgangsbeschränkungen heute für die Polizei, und voraussichtlich auch für die Bundeswehr, eine Anfangsprüfung sind. Wenn die Arbeiter*innenklasse ihnen heute freiwillig ein Trainingslager anbietet, können wir nicht erwarten, dass wir in einer Wirtschaftskrise unsere Interessen gegenüber denen der Kapitalist*innen durchsetzen können werden. Der bewaffnete Teil des Staates ist nun mal der gleiche, dem wir in unserem Leben in unterschiedlichen Situationen bereits begegnet sind. Repression bei Demonstrationen, Racial Profiling, gewaltsame Durchsuchungen in Flüchtlingslagern, Vertreibung von Obdachlosen aus öffentlichen Plätzen, der Bruch von weitgehenden Streiks, …, alles keine Einzelfälle und alles Sachen die weitgehend bekannt sind. Wie Lenin sagte:
Das Militär (das stehende Heer) und die Polizei sind die Hauptwerkzeuge der Gewaltausübung der Staatsmacht.
Auf welcher Seite der Staat und die Regierung stehen, wurde bereits in der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 offensichtlich. Wir erleben zurzeit Tag für Tag wie sich das gleiche wiederholt.
Aus diesem Grund lässt sich an dieser Stelle eine der 11 Notfallforderungen der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) hinzufügen:
Keine Militarisierung unserer Straßen, keine mittelalterlichen Ausgangssperren, kein Burgfrieden! Versammlungen von sozialen, gewerkschaftlichen usw. Organisationen müssen weiterhin stattfinden dürfen, wenn diese Organisationen – beraten von Gesundheitsspezialist*innen – das für notwendig halten. Streiks und Widerstand gegen jegliche Entlassung, Aufstellung eines überbetrieblichen und überregionalen gewerkschaftlichen Netzwerks mit Delegierten aus den Betreiben, um die Forderungen der Krankenhäuser zu zentralisieren und einen Kampfplan zu erstellen.