Aus dem Krankenhaus: Wir brauchen Gewerkschaftskämpfe, keine Heroisierung!
In der aktuellen Corona-Krise werden die Forderungen nach Veränderungen von vielen Kolleg*innen lauter. Die Kürzungen, der Personalmangel, der Ressourcenmangel – kurz, alle Maßnahmen der Sparpolitik der letzten Jahre – kommen vermehrt ans Licht und machen für uns, die Beschäftigten, sowie für unsere Patient*innen den Alltag im Krankenhaus unsicher. Was sind die Forderungen der Beschäftigten? Wie können wir ein Gesundheitssystem aufbauen, dass uns nicht krank macht und unseren Patient*innen nicht schadet? Was bedeutet es für uns alle, dass die Produktion in wirtschaftszentralen Sektoren wieder aufgenommen wird, während wir noch immer nicht sicher sind, ob sich die Situation zuspitzen wird? Während wir immer noch nicht genug Schutzmaßnahmen und Personal haben, um sicher zu arbeiten?
Wie geht es uns im Krankenhaus?
Die Stimmung in der Bevölkerung scheint sich etwas zu entspannen, die Situation ist bisher weniger eskalativ als erwartet. Doch in den Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen ist die Situation weiterhin angespannt. Es gibt keine Lösungen für überlastetes Personal, immer noch nicht genügend Schutzausrüstung. Für eine Wiederbelebung des normalen Alltags fehlt erst recht die ausreichende Schutzausrüstung. Und erst recht dafür, dass die industrielle Produktion unter sicheren Bedingungen bei unseren Kolleg*innen bei VW und Daimler, die u.a. am 20. April wieder die Produktion aufnehmen, stattfinden kann. Unsere Kolleg*innen auf den Intensivstationen und den sogenannten Corona-Stationen arbeiten unter hoher physischer und psychischer Belastung. Bislang gab im Gesundheitssektor und vor allem in den Krankenhäusern zahlreiche Änderungen – mit negativen Auswirkungen für die Beschäftigten –, um die Krise beherrschbarer zu machen: Urlaubssperren, längere Schichten, Rufbereitschaften und beispielsweise die Lockerung des Arbeitszeitgesetzes für Beschäftigte im „systemrelevanten“ Sektor. Außerdem gibt es kaum Unterstützung bei der Kinderbetreuung, die mit dem Schichtdienst kompatibel ist, und auch kaum finanzielle Unterstützung, abgesehen von einem einmaligen Bonus von maximal 500€, der von den Beschäftigten sehr kompliziert beantragt werden muss und längst nicht für alle im Krankenhaus Schuftenden gilt. Auch Auszubildende arbeiten genauso unter prekären Bedingungen und der Mehrbelastung, ohne ausreichend geschützt und honoriert zu werden.
Viele Stimmen aus dem Krankenhaus sagen: Das ist nicht, was gebraucht wird. Kolleg*innen stellen Forderungen wie ausreichende Schutzausrüstung oder Belastungszuschläge und auch die Forderung eines gemeinsamen Tarifvertrages für alle Beschäftigten. Beispielsweise verfassten gewerkschaftlich aktive Beschäftigte der Berliner Krankenhäuser Vivantes und Charité einen offenen Brief mit ihren Forderungen an die Klinikleitung. Eine der wichtigsten und kollektivsten Forderungen, die in der Krise nun wieder lauter wird, ist die sofortige Abschaffung des Fallpauschalensystems. Das sogenannte DRG-System war einer der größten Schritte der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitssektors und ist nicht mit einer Arbeit, wie wir sie wollen, vereinbar. All diese Forderungen sind richtig und werden von uns unterstützt. Doch das Problem ist größer und braucht andere Antworten. So ist zu erwarten, dass der Personalmangel auch nach der Coronakrise gravierender wird, da mit einer Kündigungswelle zu rechnen ist. Dass unter so unsicheren Bedingungen gearbeitet werden muss, trägt auch nicht dazu bei, dass mehr Menschen sich für den Pflegeberuf interessieren.
Produzieren für Profite – was brauchen wir jetzt wirklich?
Klar ist, dass die Situation im Gesundheitssystem sich noch nicht entspannt hat. Auch die internationale Situation bleibt weiterhin sehr ungewiss, einige Länder sind deutlich massiver betroffen als Deutschland. Was bedeutet es, wenn nun andere Sektoren wieder die Arbeit aufnehmen sollen? Greifbarer wird das Problem, wenn man die internationale Situation analysiert. Mit der Wiederaufnahme einiger Produktionen und der Öffnungen des Einzelhandels soll ein zu starker wirtschaftlicher Einbruch verhindert werden. Wir sehen hier klar, dass für die Profite von Bossen produziert werden soll, die vor einer Wirtschaftskrise Angst haben. Obwohl die Menschen in allen Ländern gerade Schutzausrüstung, gesicherte Lebensmittelzufuhr und Unterstützung für die systemrelevanten Berufe fordern, wird die Autoindustrie überstürzt wieder aufgenommen. Ein Vorgang, der im Kapitalismus ständig reproduziert wird. Deshalb ist es wichtig, sich die Frage zu stellen, wie die Produktion wieder aufgenommen werden soll. Um die aktuelle Krisensituation besser bewältigen zu können (und dann in der Folge auch wieder weniger Einschränkungen zu haben), müssten weiterhin fehlende Produkte hergestellt werden. Das sind beispielsweise Schutzausrüstung, Beatmungsmaschinen, aber auch Lebensmittel. Aus gesundheitlicher Sicht ist es verantwortungslos, Arbeiter*innen in nicht systemrelevanten Bereichen wieder zum Arbeiten zu zwingen. Wenn schon im Krankenhaus die Schutzausrüstungen nicht genug sind, wie soll sie dann für Fabrikarbeiter*innen reichen? Wenn in Deutschland Daimler und VW wie geplant wieder zu produzieren beginnen, bedeutet das auch, dass die Standorte und Zulieferer in anderen Ländern die Produktion ebenfalls beginnen müssen, eventuell unter noch prekäreren und unsicheren Bedingungen.
Doch es gibt auch andere Stimmen. In Frankreich und im Spanischen Staat haben sich bereits vor einigen Wochen Arbeiter*innen einiger Zulieferer von Airbus organisiert, damit ihr Betrieb beginnt, Beatmungsgeräte zu produzieren, und dass die Masken, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, um weiter zu produzieren, zuerst dem Krankenhauspersonal zur Verfügung gestellt werden. Natürlich haben diese Kolleg*innen Repression und Druck erfahren. Doch an solchen Beispielen sehen wir, dass es andere Möglichkeiten gibt, um so eine Krise zu lenken.
Und das ist, was wir aus dem Gesundheitssystem genau jetzt brauchen: Dass andere Sektoren dafür kämpfen, streiken, dass das Gesundheitssystem läuft und nicht noch mehr Menschen in kurzer Zeit an Covid-19 erkranken. Und nicht nur das, sondern dass wir im Krankenhaus, so wie in anderen Sektoren, selbst entscheiden können, unter welchen Bedingungen wir arbeiten, wie wir produzieren.
Im Krankenhaus wird seit Jahrzehnten über unsere Köpfe hinweg entschieden, egal, wie viele offene Briefe es gegen das DRG-System gab, wie viele Fernsehtalkshows über die schlechten Arbeitsbedingungen oder Artikel über Personalmangel. Die Forderungen sind richtig! Aber die Maßnahmen von oben waren immer schärfer.
Was wir gerade brauchen, ist nicht zu Helden gemacht zu werden – schon gar nicht von einem Jens Spahn –, sondern die Unterstützung der Gewerkschaften für unsere Forderungen, Kommissionen von Expert*innen und von Beschäftigten aller Bereiche, die demokratisch gewählt werden, und die Wiedereingliederung der outgesourcten Bereiche im Krankenhaus.
Ein internationales Programm gegen eine internationale Krise!
„Wer bezahlt die Krise?“ war die Frage, die wir uns bei einer Online-Veranstaltung am 3. April gestellt haben. Sind es die, die eigentlich das Geld und die Mittel dazu haben? Oder sind es die Arbeiter*innen, die jetzt zu noch schlechteren Bedingungen den Alltag hinkriegen müssen? Wir sehen klar, dass Zweiteres der Fall ist.
Wie wehren wir uns dagegen? Wie können wir im Krankenhaus kämpfen, wo wir doch gerade jetzt weder streiken können noch wollen? Wir denken, dass es unsere Rolle im Krankenhaus sein kann, als der Sektor, der gerade im Mittelpunkt steht, die Kolleg*innen in anderen Bereichen politisch anzuführen, hin zu einer Gesellschaft, die uns nicht ausbeutet. Zu einer Wirtschaft, die nicht unsere Kolleg*innen in anderen Ländern knechtet, sondern auch ihnen ermöglicht, für den eigenen Bedarf zu produzieren. Wir wollen unsere Kolleg*innen dazu ermutigen, ihre Gewerkschaftsführungen unter Druck zu setzen, in dieser Phase nicht auf Sozialpartnerschaft zu setzen, sondern endlich für unsere Forderungen zu kämpfen! Wir rufen unsere Kolleg*innen in anderen Sektoren dazu auf, sich gegen den Produktionsdruck zugunsten von Profiten zu wehren, und stattdessen unteren sicheren Bedingungen das zu produzieren, was gerade notwendig ist!
Das Programm, dass wir hier vertreten, ist international. Auch unsere Kolleg*innen und Genoss*innen in den USA, Brasilien, Frankreich, dem Spanischen Staat, Argentinien, Brasilien… fordern eine Umstellung der Produktion, sowie die Verstaatlichung und Entprivatisierung des Gesundheitssystems. Mit der Kampagne „Nationalize Healthcare“ (dt. „Gesundheitsversorgung verstaatlichen“) haben viele Kolleg*innen in den USA am 15. April auf die Probleme, die durch die Privatisierung entstanden sind, aufmerksam gemacht.
Unsere Kolleg*innen weltweit sterben ebenfalls an Covid-19, weil es nicht genug Sicherheitsmaßnahmen gibt. In den USA erkranken und sterben überwiegend migrantische Menschen – wie in den meisten Ländern haben vor allem Frauen und Migrant*innen und Menschen, die keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben, unter der Krise zu leiden. In den USA haben sich 22 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet – wir haben es hier eindeutig nicht mit einer kurzen Krise zu tun, sondern mit einer, die heftige Konsequenzen nach sich ziehen wird. Die Situation weltweit ist extrem prekär und gefährlich und wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es so schnell nicht besser wird – denn die Ausgangsbedingungen waren schon schlecht.
Was überall aber gleich ist, ist, dass die Reichen, die Bosse von Unternehmen, geschützt sind und nur darauf bedacht sind, schnell wieder weiterproduzieren zu können. Doch so sicher wie möglich zu sein, so gesund wie möglich zu bleiben, ist ein Recht, das wir alle haben. Und wir im Krankenhaus haben das Wissen, wie wir auch ohne ein profitorientiertes System eine Gesundheitsversorgung leisten können. Wir wissen, was wichtig ist, was wir brauchen, was unsere Patient*innen brauchen.
Wir von der Gruppe akut sind Beschäftigte im Krankenhaus, die sich organisieren, um gegen das profitorientierte Gesundheitssystem und damit gegen Outsourcing, Personalmangel und schlechte Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Dabei ist unser Ziel ein verstaatlichtes Gesundheitssystem, das unter der Kontrolle von Beschäftigten in Form von Kommissionen steht. Wenn ihr Interesse oder Fragen habt, kontaktiert uns gerne und folgt uns auf instagram und facebook.