Augen zu bei Nazis, Knüppel drauf bei Antirassismus und Klima

24.12.2022, Lesezeit 9 Min.
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Bert e Boer // shutterstock

Auf der vergangenen Innenministerkonferenz wurden weitreichende Repression gegen die palästinensische Bewegung in Aussicht gestellt. Gleichzeitig gibt es eine große Repressionswelle gegen Aktivist:innen der “Letzten Generation”. Während all dem schaut der Staat systematisch bei Rechten weg.

Michael Fritsch wird am 07. Dezember während einer bundesweiten Razzia gegen die faschistische Reichsbürgerszene festgenommen. Als ehemaliger Polizist war er für den militärischen Arm des geplanten Umsturzes verantwortlich. Schon vorher war er behördlich bekannt, hat auf Demonstrationen Corona-Maßnahmen mit den staatlichen Repressionen des NS-Regimes verglichen und trat als Direktkandidat für die Partei “Die Basis” an. Das Verwaltungsgericht Hannover stellte schon im April 2022 fest, dass er ein militanter Reichsbürger ist. Vor seiner Freistellung 2020, die aufgrund seiner öffentlichen Zurschaustellung seiner rechtsextremen Gesinnung erfolgt ist, sei er Polizist mit guten Beurteilungen in 40 Jahren Polizeidienst gewesen. Er war unter anderem damit betraut, Sicherheitskonzepte für jüdische Einrichtungen nach dem Anschlag in Halle zu entwerfen.

Die Verharmlosung und Untätigkeit gegen Rechts

Für Friedrich Merz, Bundesvorsitzenden der CDU und Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag ist dies wenig Anlass zur Sorge. Er begrüßt zwar die Festnahme der Reichsbürger, im selben Atemzug nennt er jedoch Hausdurchsuchungen gegen die letzte Generation. Damit suggeriert er, dass von Klimaaktivist:innen, die ab und an den Verkehr blockieren, dieselbe Gefahr ausgeht wie von Rechtsextremist:innen mit Waffenlagern und vorbereiteten Todeslisten. Von den Parteien der Bundesregierung findet man zwar große Worte der Gefahr von Rechts , genau damit diese groß inszeniert ausgesprochen werden können, war ja auch die große mediale Gestaltung der Razzien gewählt. Schaut man sich ihre Taten an, sprechen diese eine entgegengesetzte Sprache. Vor zwei Jahren stellte sich die FDP bereits an die Spitze des ersten Versuchs, Kooperationen mit der AfD zu ermöglichen, indem sich Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten Thüringens hat wählen lassen. Auch SPD und Grüne geben bei der praktischen Umsetzung des Kampfs gegen Rechts keine gute Figur ab. Gerade in der letzten Woche in Berlin, wo die SPD seit über 20 Jahren den:die Bürgermeister:in stellt und auch die Grünen schon die zweite Legislaturperiode regieren, wurde erneut eine rechtsextreme Chatgruppe in der Polizei entdeckt. Über Chatgruppen dieser Art gelangten sogar Informationen an Rechtsextreme, gegen die gerade ermittelt wird. Konsequenzen sind nicht in Sicht. In Hessen haben die Grünen fortwährend die Offenlegung der NSU-Akten blockiert, sodass diese durch Jan Böhmermann geleaked werden mussten. Auch auf Bundesebene will man nicht mal minimale Schritte unternehmen und beispielsweise das KSK auflösen.

Falsche Antisemitismusvorwürfe durch die IMK

Während der bis an die Zähne bewaffnete militante Antisemitismus der faschistischen Szene der BRD vernachlässigt wird, war unter dem sperrigen Titel “Handlungsbedarf aufgrund zunehmender antisemitischer und antiisraelischer Hetze vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts” vornehmliche Antisemitismusbekämpfung Thema der Innenmisterkonferenz vom 30. November bis 02. Dezember.  Wie der Titel schon andeutet geht es darum, neue Varianten zu finden, um auf Basis der verschärften Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus eine ideologische Offensive des deutschen Staates zur Beschönigung der israelischen Apartheid zu starten sowie neue Instrumente der Repression gegen palästinasolidarische Aktivist:innen und Gruppen zu etablieren. Die Beschlüsse der IMK beruhen auf einem Bericht einer vom Land Hessen geführten Arbeitsgruppe. Im Vergleich zu diesem Bericht sind die Beschlüsse der IMK relativ vage gehalten.

Indoktrination an Schulen

Der deutlichste Bezug zum Bericht besteht in der “Vermittlung eines realistischen Israelbildes an Schulen”. Der Bericht stellt fest, dass die Geschichte des Judentums vornehmlich als “Opfer- und Verfolgungsgeschichte überwiegend im nationalsozialistischen Kontext” erzählt wird. Anstatt an dieser Stelle den sich immer heftiger zeigenden Antisemitismus der deutschen Gesellschaft zu problematisieren, wird ein besonderer Fokus auf “israelbezogenen Antisemitismus” gelegt. Anstatt sich also dem zu stellen, dass der Großteil der Kapitalisten die vom Faschismus profitiert haben und viele Nazi-Beamte ihren Dienst ungehindert fortsetzen konnten, und somit der militante Antisemitismus nie in Deutschland verschwurnden ist, ist also das Problem, dass es Schüler:innen gibt die sich kritisch mit der israelischen Apartheid auseinandersetzen. Ein rassistisches Narrativ darf hierbei nicht fehlen:  So wolle man im Bericht “auch mit Blick auf die Einwanderungsgesellschaft” die Shoah didaktischer vermitteln – ein indirekter Bezug auf das rassistische Narrativ des “importierten Antisemitismus”.

Zensur von Kunst, Kultur und Wissenschaft

Ein weiterer konkreter Bezug ist der Beschluss zur  “Stärkung der Aufklärungs- und Medienarbeit im Kontext antisemitischer Veranstaltungen, Fachtagen und Kampagnen, explizit auch im Kunst-, Kultur-, Wissenschafts- und Öffentlichkeitsbereich”. Im Bericht wird vorgeschlagen, Veranstaltungen mit Repressionen wie dem Entzug der Nutzungsrechte öffentlicher Gebäude zu belegen, in denen es um den Bericht „Israel’s Apartheid against Palestinians“  der Menschenrechtsorganisation Amnesty International geht. Dasselbe wird bezogen auf die documenta angekündigt, weil diese der BDS-Kampagne nahestehende Inhalte übernommen habe. Zusätzlich soll es noch “intensive Aufklärungskampagnen” geben, sowohl gegen den Amnesty-Bericht als auch gegen Veranstaltungen wie die documenta.

Umfassende Repressionsabsichten des Restberichts

Unklar bleiben die Beschlüsse bezogen auf die weiteren Vorschläge der Arbeitsgruppe, die es in sich haben. So soll laut Arbeitsgruppe geprüft werden, inwiefern das Zeigen von Landkarten ohne den Staat Israel sowie Parolen wie “From the River to the Sea – Palestine will be free!” verboten werden können. Damit sollen Repressionen wie das präventive Verbot von Demonstrationen am Nakba-Tag 2022 zur Regel gemacht werden. Es wird auch die „Schaffung einer neuen gesetzlichen Grundlage” gefordert, “um weitere, bisher zulässige bzw. straffreie Bestrebungen/Aktivitäten gegen die Sicherheit und den Bestand des Staates Israel bzw. gegen dessen Existenzrecht verfassungskonform – unter Beachtung der Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit – unterbinden bzw. strafrechtlich verfolgen zu können”. Im Beschluss der IMK heißt es, es “sollen die Antisemitismusbeauftragtenvon Bund und Ländern beziehungsweise bei den Generalstaatsanwaltschaften oder anderen Stellen bei der nachhaltigen Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen einbezogen werden” – im Bericht wird die Zusammenarbeit mit dem Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn zum Verbot der Demonstrationen am Nakba-Tag als positives Beispiel hervorgehoben. Darüber hinaus fordert der Bericht, man solle die “Möglichkeiten von Vereins- und Betätigungsverboten” prüfen. An einer früheren Stelle im Bericht werden explizit Samidoun und Palästina Spricht genannt; so werden diese Gruppen erste Ziele sein. Als wäre das nicht schon schlimm genug, bleibt unklar, wie weit diese Verbote greifen sollen und ob davon alle Gruppen, die sich in der Vergangenheit palästinasolidarisch gezeigt haben, in der Vorstellung der Arbeitsgruppe betroffen sind.

Palästinasolidarität als Türöffner der Repression in der Klimabewegung

Das Framing von Palästinasolidarität als Antisemitismus wird nicht nur als Mittel der Repression gegen palästinasolidarische Gruppen selbst genutzt, sondern auch gegen linke Gruppen und Aktivist:innen generell. Besonders gegen Klimaaktivist:innen gibt es eine breite Front der auf falschen Antisemitismusvorwürfen stützenden Agitation. Die übergroße Mehrheit von Fridays for Future in Deutschland ist zwar zionistisch eingestellt, das internationale FFF vertritt jedoch palästinasolidarische Positionen. Dies wird immer wieder von bürgerlichen und rechten Medien angegriffen mit dem klaren Ziel, Aktivist:innen in Deutschland einzuschüchtern. Auf dieser Basis werden schnell die wenigen Ortsgruppen Ziel medialer Hetze, wenn diese sich an ihrer internationalen Organisation orientieren und palästinasolidarisch engagieren. Diese werden auch von denselben politischen Parteien attackiert und mit vermeintlichen Antisemitismusvorwürfen belegt, deren Engagement gegen militante faschistische Antisemit:innen mangelhaft bis nicht vorhanden ist.

Widerstand gegen Klimakrise und Rassismus wird den Staat an seine Grenzen bringen

Dass Friedrich Merz die Reichsbürger relativiert, indem er sie mit der Letzten Generation auf eine Stufe stellt, hat hier eindeutig System. Die Klimabewegung, die eine Verankerung in der Jugend hat und aus der auch die erste Welle der Krisenpoteste der Jugend entsprang, ist eine potenzielle Gefahr für den bürgerlichen Staat, so wird sich doch die Klimakrise nicht aufhalten lassen im Rahmen kapitalistischer Produktion. Und genau deshalb will der deutsche Staat auch anhand der Letzten Generation ein Exempel gegen Klimaaktivist:innen statuieren. Auch wenn das Programm der Letzten Generation vollständig reformistisch und minimal bleibt, so führen sie ihren Kampf außerhalb der bürgerlichen Institutionen und werden langsam aber sicher zum Ärgernis in einem geringen Rahmen der kapitalistischen Logistik.

Genau dasselbe kann man auch für antirassistische Aktivist:innen sehen. In der Frage der Befreiung der Palästinenser:innen von israelischer Apartheid und Siedlerkolonialismus gibt es wenig Verhandlungsspielraum, und genau das ist dem deutschen Staat bewusst. Entsprechend kraftvoll und zugespitzt finden die meisten der palästinasolidarischen Demonstrationen statt. Nicht nur, dass der deutsche Staat eine gute Beziehung zu Israel pflegt, die er so gut es geht erhalten will. Solche Mobilisierungen bieten auch ein großes Potenzial, auf andere migrantische Sektoren überzuspringen und eine Verbindung antirassistischer Kämpfe zu bewirken. Gerade die Klimakrise wird Millionen von Menschen vertreiben. So schätzt die Welthungerhilfe beispielsweise bis zu 140 Millionen Menschen, die alleine durch die Klimakrise vertrieben werden. Ein Programm der offenen Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle, dass die einzige fortschrittliche Antwort auf eine solche Situation sein kann, würde den bürgerlichen Staat in seinen Grundfesten erschüttern. Gerade deshalb versucht die Bundesregierung, aufkeimende Solidarität von Klima- und antirassistischer Bewegung im Keim zu ersticken, in Vorbereitung auf die sich intensivierende Krise durch Naturzerstörung und der dadurch ausgelösten Flucht.

Um ihren Aufgaben gerecht zu werden, braucht es also eine antiimperialistische Klimabewegung, die in Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf und in Solidarität mit allen Geflüchteten kämpft. Es braucht auch einen Kampf für die Streichung aller Auslandsschulden genauso wie Kampagnen gegen Aufrüstungen, Waffenlieferungen und Sanktionen – das Militär als Vehikel des deutschen Imperialismus verursacht nicht nur Flucht und Zerstörung von Menschenleben, sondern ist auch massiver Klimakiller. Ganz konkret braucht es jetzt gemeinsame Mobilisierungen von Klimabewegung und Gewerkschaften gegen die auf der IMK angekündigten Repressionen sowie die Repressionen gegen die Klimaaktivist:innen.

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