Aufstand im Libanon: „Gerechtigkeit für die Opfer, Rache an der Regierung!“
Der Libanon ist nach zwei Explosionen im Hafen von Beirut von einer tiefen Krise erschüttert. Während Teile der Hauptstadt verwüstet sind und Nahrungsknappheit droht, müssen die Libanes*innen auch mit der tödlichen Pandemie und einer schweren Wirtschaftskrise kämpfen. Massenproteste sind im Gange, das Außenministerium wurde zum "Hauptquartier der Revolution" erklärt, die Regierung ist zurückgetreten, der Ausnahmezustand ausgerufen und vor allem der französische Imperialismus versucht, sich Einfluss zu erpressen.
Die Explosionen im Hafen haben das sechs Millionen Einwohner*innenland hart getroffen. Es sind nicht nur über 150 Menschen gestorben und über 6.000 verletzt, auch wichtige Infrastruktur wurde vernichtet. Als der wichtigste Hafen des Landes zerstört und ein Teil der Stadt verwüstet wurde, wurden auch die Getreidesilos getroffen. Dabei sind 120.000 Tonnen Weizen ins Meer geflossen, etwa ein Zehntel des Jahresbedarf des ganzen Landes. Für ein Land, dass circa 80% der Nahrungsmittel importiert, ein harter Schlag. Die „Hungerrevolten“, die das Land im vergangenen April erschütterten, werden sich wiederholen. 75 Prozent der Bevölkerung benötigen Hilfe. Die finanzielle Lage des Libanon führte bereits zu einer angespannten Ernährungssituation, sowie zu Problemen mit anderen lebenswichtigen Gütern wie Öl. Die Doppelexplosion vom vergangenen Dienstag hat die bereits katastrophale Situation nur noch schlimmer gemacht.
Die Antwort der Massen
Als direkte Reaktion darauf sind Proteste ausgebrochen. Viele Libanes*innen machen die politische Führung für die schwere Explosion verantwortlich. Über Jahre wurden große Mengen einer hochexplosiven Chemikalie ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen gelagert und Warnungen ignoriert.
Bei der Protestkundgebung wurden Slogans wie „Gerechtigkeit für die Opfer, Rache an der Regierung“, „Revolution, Revolution“ oder „Der Aufstand und die Revolution gehen weiter“ gerufen. Die bürgerlichen Medien berichten von erbitterten Straßenschlachten und einem hin und her zwischen Wafferwerfern und wütenden Massen. Auf einer Kundgebung sind Galgen errichtet worden, an denen Pappfiguren der verhassten politischen Führer*innen aufgeknüpft wurden. Nachdem das Außenministerium gestürmt wurde und das Gebäude zum Hauptquartier der Revolution erklärt wurde, haben einige Protestierende versucht, die Absperrungen zum Parlament zu durchbrechen. Dabei hat die Polizei nicht nur mit Tränengas, Knüppeln und Gummigeschossen reagiert, sondern auch scharf geschossen.
Ministerpräsident Diab und die gesamte politische Führungsspitze, die für die Detonation und den Hunger verantwortlich sind, haben zunächst unter dem Druck vorgezogene Neuwahlen angekündigt. Einige Politiker*innen sind schon zurückgetreten. Am Montag trat die gesamte Regierung zurück. Doch Neuwahlen und Rücktritte sind keine Garantie, die Korruption zu beenden. Sie sind nur ein Manöver der herrschenden Klasse und der Imperialist*innen, die das Land rücksichtslos ausplündern, um sich Zeit zu verschaffen und die Proteste zu besänftigen. Dieses Machtvakuum wird zwangsläufig wieder gefüllt werden, die Frage ist nur, wer es schafft, die Macht an sich zu reißen. Das Parlament hat zuletzt den zweiwöchigen Ausnahmezustand bestätigt. Die Streitkräfte haben nun mehr Befugnisse und können die Presse- und Versammlungsfreiheit einschränken. Demonstrant*innen können einfacher festgenommen werden und vor Militärgerichten verurteilt werden.
Scheinheilige Hilfe
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und allen voran der französische Präsident Macron stellen ihre Skrupellosigkeit offen zur Schau. Im selben Atemzug wie sie das Rettungspaket ankündigen, fordern sie umfassende Reformen zu ihren Gunsten. Konkret Macron mahnt “Reformen im Energiesektor, bei der Stromversorgung, im Bankensystem und allgemein bei öffentlichen Ausschreibungen“ an. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa kündigte an, ihre „Bemühungen“ zu verdoppeln. Deutschlandfunk meldet 250 Millionen Euro Soforthilfe. Die Voraussetzung eines Kreditpakets, das selbstverständlich auch zurückgezahlt werden muss, sei, dass die libanesischen Politiker*innen und Institutionen „sehr nötige Reformen durchführen“. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian droht ganz unverhohlen damit, dass die Millionen nicht fließen werden, wenn es diese Reformen nicht gibt. Er bezog sich dabei vor allem auf den Energiesektor. Ähnlich äußerte sich auch der deutsche Außenminister Heiko Maas. Deutschland ist einer der größten Importpartner für den Libanon und dadurch auch einer der größten Geldgeber in der Krise. Der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, begrüßt ganz offen, dass die EU jetzt endlich einen Hebel habe und die Hilfe an Strukturreformen knüpfen müsse.
Allen voran Macron fordert auf der „Geber“-Konferenz rasche „Hilfen“ für den Libanon. Dabei war der französische Imperialismus in den letzten 20 Jahren maßgeblich daran beteiligt, den Libanon auf dem Rücken der Arbeiter*innen und Unterdrückten zu plündern. Zwischen 2001 und 2007 fanden mehrere Gläubiger-Konferenzen statt, aus denen harte Spardiktate gegenüber der libanesischen Bevölkerung folgten, um die Rückzahlung von Krediten und Schulden an private Banken zu sichern. Federführend waren damals der IWF und auch die Europäische Zentralbank (EZB). Die gleichen Akteure, die heute auch wieder auf den Plan treten. Doch das Geld, was sie heute ins Land pumpen, werden sie ihm früher oder später wieder wegnehmen. Die Imperialist*innen stürzen sich jetzt wie Geier auf das Land. Besonders Frankreich, welches den Libanon bis 1943 besetzte und nun die Situation ausnutzt, um seinen Einfluss erneut auszuweiten. Zuletzt hat Macron den Iran und die Schiitenorganisation Hisbollah, die im Libanon stärkste militärische Kraft ist, zur Zurückhaltung aufgefordert.
Hoffnung in der dunkelsten Stunde
Die Lage ist schlimm, ohne jede Frage, aber sie ist nicht hoffnungslos. Die Massen sind auf der Straße und ihre Proteste gegen die herrschende Klasse und ihre Ausbeutung und Korruption können erfolgreich sein. Sie sollten die Ablenkungsmanöver der Regierung und der Imperialist*innen entlarven und die Regierung stürzen.
Doch auch die Arbeiter*innenbewegung in Deutschland und auch Frankreich, muss sich dazu verhalten. Die Linkspartei fordert nur schnelle Hilfe: „Keine Verzögerung bei Libanon-Hilfe“ und will, dass die „Multimillionäre und Milliardäre des Libanon“ sich an den Hilfszahlungen beteiligen, aber macht keine Politik gegenüber dem Hauptfeind im eigenen Land, dem deutschen Imperialismus, der dort interveniert. Die SPD stimmt offen in den Chor der Imperalist*innen ein. So sagte Bundesaußenminister Maas (SPD): „Dieses Land braucht Reformen von innen“. Beide Positionen stellen keine Solidarität mit dem Libanesischen Volk dar, sondern befürworten vor allem eine Rehabilitierung auf kapitalistischer Grundlage.
Wir können nicht akzeptieren, dass die Kapitalist*innen die Bevölkerung für die Krise bezahlen lassen, für die sie selbst verantwortlich sind. Im Gegenteil, die Arbeitszeit muss auf alle verteilt und die Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Die Prekarität und der Hunger, müssen bekämpft werden, indem den Kapitalisten eine an die Inflationsrate gekoppelte Lohnskala auferlegt wird, die den Menschen ein anständiges Leben ermöglicht. Darüber hinaus muss jegliche Spekulation des Großkapitals mit Nahrungsmitteln durch die Einführung von Preiskontrollen durch die Bevölkerung selbst verboten werden. Nur die libanesische Arbeiter*innenklasse wird in der Lage sein, eine fortschrittliche Lösung für die Wirtschaftskrise im Land zu finden, wie die vielen radikalen Mobilisierungen gegen das Regime und seine neoliberale Politik bereits gezeigt haben. Wenn die Kapitalist*innen dem nicht gerecht werden, müssen sie entschädigungslos enteignet werden.
Um diese Forderungen umzusetzen, müssen die Arbeiter*innen in der ganzen Region sich gegen Imperialismus und Ausbeutung unabhängig organisieren und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Dafür braucht es eine revolutionäre Partei in der Region und internationale Solidarität, die das Übergangsprogramm umsetzen. Die Besetzung des Außenministeriums ist ein guter erster Schritt, die internationalen Beziehungen in die eigenen Hände zu nehmen und einer Schuldknechtschaft durch den deutschen und französischen Imperialismus zu entgehen. Wenn die Revoltierenden gewinnen wollen, und nicht eine ähnlich schreckliche Niederlage wie der arabische Frühling erleiden, müssen sie sich besser organisieren und eine verfassungsgebende Versammlung einberufen. Dort müssen Revolutionär*innen dann ihre Politik vorschlagen: „Wir bauen revolutionäre Organisationen nicht nur auf, um Widerstand zu leisten, sondern um zu gewinnen“