Künstlicher Aufstand
PHILOSOPHIE: Byung-Chul Han gilt unter Studierenden als polarisierend und ist gemeinhin einflussreich unter derselben. Doch wie ist aus revolutionär-marxistischer Sicht seine Philosophie zu bewerten?
Der bekannte Essayist und vom Spiegel als „Philosoph der schlechten Laune“ betitelte Byung-Chul Han hält an der Berliner Universität der Künste eine Reihe von Lehrveranstaltungen. Es geht um „Formen der Mystik“.
Darin befasst er sich zum Beispiel mit neuen Formen der New Age Bewegung oder der Absurdität von Lachyoga, wie auch der Veränderung vom Warenbegriff in Bezug auf neue iPhones.
Bei einer Vorlesung kommt es zum Eklat: Han fordert die Rebellion der Kunstschaffenden und bezieht Position gegen die deutsche Asylpolitik, den Einsatz der Bundeswehr und den ‚Krieg gegen den Terror’. Die Studierenden sind schockiert, manche verlassen den Saal.
Doch wie radikal ist Byung-Chul Han wirklich, und welchen Einfluss hat seine Philosophie auf die Studierenden?
Uckermark fluten!
Angefangen mit Botho Strauß, der sich im Spiegel als „Der letzte Deutsche“ inszenierte und in der Uckermark lebt, beginnt Han einen Exkurs über die Situation der Geflüchteten.
Dabei knüpft er dort an, wo er in seinem Beitrag über Pegida in der Süddeutschen Zeitung aufgehört hat: Das einzige Problem des Kleinbürgers Strauß sei, dass er wahrscheinlich noch nie in seinem Leben einem geflüchteten Menschen begegnet ist.
Und während Notunterkünfte bewusst über ihre Kapazitäten ausgelastet werden, sodass die Geflüchteten im deutschen Staat herumgeschoben und gelagert werden wie Objekte, ist der Leerstand zum Beispiel in der straußschen Uckermark so hoch, dass zeitweise Planungen über den Abriss von 300 Wohnungen existierten.
Die Aufforderung des Philosophen: Sich ein Beispiel am Zentrum für politische Schönheit nehmen, Häuser in der Uckermark besetzen und „mit Flüchtlingen fluten“, um Botho Strauß und andere Rassist*innen aus der „uckermärkischen Phantasie“ in die knallharte Realität zurückzuholen.
Genau wie das Zentrum für politische Schönheit macht Han dabei den Fehler, Geflüchtete nicht als politische Subjekte zu denken, sondern im Rahmen medialer Spektakel zu instrumentalisieren.
Das Ziel, das Han vor Augen hat, ist dabei weder die Revolution noch der Kommunismus, sondern eine „echte Demokratie“, in der Bürger*innen sich aktiv beteiligen, um die Politik zu korrigieren und nicht, wie jetzt, „Stimmvieh“ und „Konsumvieh“ zu sein. Die bürgerliche Demokratie wird nicht kritisch hinterfragt.
Wer jetzt ein Wiederaufleben der 68er erwartet hat, wird schwer enttäuscht. Spätestens nach harten Worten gegen den westlichen ‘Krieg gegen den Terror’, der für die Bevölkerung des Nahen und Mittleren Ostens nichts anderes als westlicher Terror ist, verlassen einige der Studierenden den Saal.
(Popkultur-)Revolutionär?
In mehreren Publikationen setzt sich Han mit der aufgrund von Digitalisierung immer transparenter werdenden Gesellschaft und der sich subjektiv immer verstärkenden Vereinzelung – gerade auch durch prekäre Arbeitsbedingungen – auseinander. Nebenbei erteilt er dem Marxismus eine deutliche Absage: In der Süddeutschen Zeitung erklärt er, „Warum heute keine Revolution möglich ist.“
Doch kritische Geister an der Universität müssen sich gerade mit den Bedingungen für eine Revolution auseinandersetzen. Die Unigruppe Waffen der Kritik hat das versucht, mit einer marxistischen Perspektive: Dem „Dogma der Alternativlosigkeit […], welches große Teile der Jugend quasi in die ‘innere Emigration’ schickt und lautlos werden lässt“ muss der Klassenkampf gegenübergestellt werden.
Die Philosophie von Byung-Chul Han, die zwar die Unmenschlichkeit des Neoliberalismus anprangert, aber durch die Ablehnung der politischen Rolle des Proletariats eine implizit konterrevolutionäre Prägung hat, ist charakteristisch für den politischen Diskurs in einem imperialistischen Land wie unserem. Die Universität, die eine zentrale Rolle für die Ideologieproduktion, d.h. die Reproduktion kapitalistischer Ideologie spielt, erfüllt widersprüchliche Funktionen: 1.) einen gewissen Rahmen erlaubten kritischen Denkens zu gewährleisten; 2.) die Studierenden immer mehr auf ökonomisch effiziente Selbstoptimierung zu trimmen.
Dieser Widerspruch zeigt sich in der sicherlich ernst gemeinten Hoffnung Byhung-Chul Hans, die Studierenden würden seinem Aufruf folgend, mit radikalen Methoden politischen Widerstand leisten – und in der Weigerung, sich mit der Frage der Strategie auseinanderzusetzen.
Solange Han aber nicht bereit ist, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen, also die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes von Studierenden, Geflüchteten und Proletarier*innen für den Sturz des bürgerlichen Staates anzuerkennen, wird er noch so viele Vorlesungen halten können.