Aufstand der Krankenhäuser
Ver.di streikte am 10. und 11. Oktober an insgesamt sechs Kliniken bundesweit für mehr Personal. Im Saarland legten erstmals Beschäftigte eines kirchlichen Klinikums die Arbeit nieder und an der Uniklinik Düsseldorf streikten Pflegekräfte gemeinsam mit outgesourcten Servicebeschäftigten. Diese exemplarischen Kämpfe zeigen den Weg, den ver.di weiter gehen muss.
Am Mittwoch schrieben die Beschäftigten der Marienhausklinik in Ottweiler im Saarland Geschichte: Zum ersten Mal legten sie in einem katholischen Krankenhaus die Arbeit nieder. Die in ver.di organisierten Kolleg*innen wandten sich damit direkt gegen das reaktionäre, kirchliche Arbeitsrecht, welches Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen verbietet, zu streiken, oder auch nur Betriebsratsstrukturen aufzubauen.
Rund 50 Kolleg*innen – ein Viertel des Pflegepersonals – traten in einen 24-stündigen Warnstreik gegen den größten katholischen Klinikbetreiber in Deutschland. Damit beteiligten sie sich am Ausstand von Kolleg*innen von insgesamt sechs Kliniken deutschlandweit – neben der Marienhausklinik noch die Kreiskliniken Günzburg-Krumbach, das Klinikum Augsburg, das Klinikum Frankfurt Höchst, die Uniklinik Düsseldorf sowie die Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, die alle jeweils 48 Stunden streikten. Die Streiks fanden im Rahmen des Kampfes für mehr Personal an den Krankenhäusern statt. Hinzu kamen Solidaritätsaktionen an rund 80 weiteren Krankenhäusern, die laut ver.di-Angaben aus „kollektiver Grenzziehung“ bestanden, also: keine Überstunden, kein Einspringen aus dem Frei, keine Übernahme ärztlicher Tätigkeiten.
Ein historischer Schritt
Dass erstmals ein katholisches Krankenhaus bestreikt wurde, ist eine enorme Errungenschaft: „Das ist historisch und ein großer Verdienst der Kolleginnen und Kollegen in Ottweiler, vor deren großartiger Leistung man nur den Hut ziehen kann. Wir haben damit signalisiert, dass die Beschäftigten in der Kirche nicht die Beschäftigten zweiten Grades sind. Auch für sie gilt das Grundgesetz“, erklärte ver.di-Sekretär Michael Quetting.
Auf der ver.di-Website berichtete Anne Schmidt, seit über 20 Jahren Krankenschwester in der Marienhausklinik:
Einen Arbeitskampf hat es in dem katholischen Haus noch nie gegeben. Bis heute. „Wir haben jede Menge Aktionen gemacht, eine aktive Mittagspause, Briefe an den Bischof geschrieben, doch es hat alles nicht gefruchtet“, erklärt Anne Schmidt. „Deshalb greifen wir jetzt zum letzten Mittel, das uns bleibt: Streik.“ Die 59-Jährige möchte sich nicht länger mit den Zuständen abfinden. „Wir wollen, dass menschenwürdige Pflege wieder möglich ist, wir wollen mehr Menschlichkeit.“ Dass ausgerechnet eine Klinik, die sich auf christliche Nächstenliebe beruft, das verhindern wollte, ist ihr unverständlich.
Im Vorfeld hatte die Klinikleitung in Ottweiler versucht, die Kolleg*innen einzuschüchtern, indem sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen, Abmahnungen und sogar Entlassungen drohte. Doch die Kolleg*innen blieben stark und traten trotzdem in den Streik.
Dazu bekamen sie eine große Solidarität aus der Bevölkerung. Mehr als 400 Beschäftigte, Gewerkschafter*innen und Unterstützer*innen demonstrierten am Mittwochnachmittag durch die Kleinstadt in der größten Demonstration, die Ottweiler je gesehen hatte.
Kurz vor dem Streik hatten die Pflegekräfte der Ottweiler Klinik einen offenen Brief geschrieben, der ihren Mut und ihre Entschlossenheit eindrücklich zeigte.
Wir haben das Anliegen schon lange über andere Wege thematisiert: wir haben demonstriert, wir haben eine aktive Mittagspause gemacht, wir haben Briefe an den Bischof geschickt und die Klinikleitung auf das Problem hingewiesen. Es hat sich jedoch nichts verändert. Immer erwarten alle, dass es doch irgendwie weiter geht und dass die Pflege sich letztendlich aufopfert. Das letzte Mittel, das uns bleibt, ist der Streik.
Wir streiken nicht gegen „unser Haus“, sondern für unser Krankenhaus.
Wir sind Teil einer bundesweiten Bewegung der Pflege, die sich an die Politik richtet, endlich gute Pflege zu ermöglichen. Wir brauchen eine gesetzliche Personalbemessung und fordern von allen Parteien die Einlösung ihrer Wahlversprechen. Nicht dieser Streik ist schlecht für „unser Haus“, sondern der Normalzustand. Wir wollen ein Krankenhaus, dass dem eigenen Leitbild gerecht werden kann.
Wir streiken nicht, weil es ein kirchliches Unternehmen ist, sondern trotzdem.
Wir denken nicht, dass die Arbeitsbedingungen in kirchlichen Krankenhäusern besser oder schlechter sind, als in kommunalen oder privaten Krankenhäusern. Der Unterschied ist aber, dass in anderen Krankenhäusern mit der Gewerkschaft über die Arbeitsbedingungen verhandelt wird (z.B. SHG und UKS) und bei uns nicht. Das muss sich ändern, sonst wird sich am Personalmangel nichts verändern.
Wir lassen uns nicht einschüchtern.
Auch wenn die Klinikleitung noch zehn Briefe schreibt, dass es verboten ist zu streiken, lassen wir uns nicht länger einschüchtern. Zu lange haben wir dieses Spiel mitgespielt und sind ruhig geblieben. Wir haben gemeckert, aber letztendlich doch weitergemacht. Damit muss Schluss sein. Wir wissen auch: Jeder Beschäftigte in Deutschland hat das Recht für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen und zu streiken. Egal ob kirchlich, kommunal oder privat. Dieses Recht kann uns niemand nehmen.
Stammpersonal und Outgesourcte streiken gemeinsam
Und noch eine zweite Arbeitsniederlegung hatte über den Standort hinaus Signalwirkung: An der Düsseldorfer Uniklink streikten Pflegekräfte und ausgegliederte Servicekräfte gemeinsam. Anstatt sich spalten zu lassen, sagten sie der Geschäftsführung klipp und klar, dass sie gemeinsam für die Anwendung des Tarifvertrags auf die outgesourcte Servicetochter und für mehr Personal im Krankenhaus einstehen würden.
Wie ver.di berichtet, kritisierten die rund 500 Streikenden mit einer Kundgebung vor einer Sitzung des Aufsichtsrats:
Der Klinikvorstand trifft zwei falsche Entscheidungen: 700 Beschäftigte in den Servicegesellschaften sind vom Tarifvertrag abgekoppelt und der Personalmangel in der Pflege führt dazu, dass wichtige Aufgaben nicht ausgeführt werden können.
Die Düsseldorfer Kolleg*innen zeigten mit dem Streik einen gemeinsamen Kampfgeist, einen Willen zur Durchsetzung des Prinzips „Ein Betrieb, eine Belegschaft“. Eine vorbildliche Haltung, die leider bei ver.di nicht immer zu spüren ist.
Bestes Beispiel dafür ist das Berliner Uniklinikum Charité. Die dortigen Pflegekräfte haben durch ihren Kampf 2015 und 2016 erst den Stein ins Rollen gebracht, der nun an anderen Kliniken deutschlandweit zu Forderungen nach mehr Personal führt. Doch in ihrem aktuellen Arbeitskampf für eine Verbesserung des schon erkämpften Tarifvertrags lässt ver.di bisher die Service-Beschäftigten der Charité Facility Management (CFM) außen vor, obwohl die CFM-Kolleg*innen sich ebenfalls in einer Tarifauseinandersetzung befinden, die seit Monaten stockt. Ver.di weigert sich, die Kämpfe zu verbinden.
Stattdessen gilt es nun, von Düsseldorf zu lernen, und dem CFM-Kampf neuen Schwung zu verleihen, indem er mit dem Charité-Arbeitskampf verbunden wird. Denn die Spaltung der Belegschaft durch Auslagerungen dient nicht den Beschäftigten. Es sind politische Instrumente zur Durchsetzung von Tarifflucht und Lohndumping. Doch gerade die Kolleg*innen in Ottweiler haben eindrücklich bewiesen, dass solche politischen Instrumente erfolgreich bekämpft werden können. Dafür nötig ist lediglich der politische Wille der Beschäftigten und der Gewerkschaftsführung. Im Interesse der Belegschaft der CFM und der Charité in Berlin sollte ver.di demnach lieber einen Blick nach Düsseldorf oder Ottweiler werfen. Bitter nötig ist es allemal.