Auf dem Weg zum Krieg: Israel bombardiert Beirut und Teheran
Nachdem Israel Beirut bombardierte, setzte es seinen mörderischen Feldzug fort und ermordete den Leiter des politischen Büros der Hamas, Ismael Haniyeh, in Teheran. Der Doppelangriff droht, die Region in einen Krieg zu stürzen.
In einer Nacht versetzte der israelische Staat den Kräften der sogenannten „Achse des Widerstands“ einen Doppelschlag. In Beirut bombardierte die IDF am Dienstagabend ein Wohnhaus in einem südlichen Vorort der Stadt und tötete Fouad Chokor, einen militärischen Führer und Mitglied des Exekutivrats der Hisbollah. Wenige Stunden später wurde Ismael Haniyeh, Leiters des politischen Büros der Hamas und ehemaliger Premierminister von Gaza, durch einen Raketenangriff aus seine Wohnung im Herzen Teherans ermordet. Die Doppelhinrichtung markiert einen bedeutenden Sprung in der Konfrontation zwischen Israel und den palästinensischen und libanesischen Parteien. Innerhalb weniger Stunden hat es damit eine maßlose Eskalation vollzogen und die regionalen Gleichgewichte kritisch ins Wanken gebracht.
Der Schatten des regionalen Krieges weitet sich aus
Die israelischen Luftangriffe, die eine Reaktion auf den tragischen Tod von zwölf Teenagern nach einem Beschuss auf den syrischen Golanhöhen waren, für den Israel die Hisbollah verantwortlich machte, trafen alle westlichen Regierungen, allen voran die USA, völlig unvorbereitet. Während Washington dem Iran mitgeteilt hatte, dass Israel nicht auf Beirut zielen und lediglich ein strategisches Lagerhaus treffen würde, setzte sich Israel über die Empfehlungen der US-Regierung hinweg und entschied sich für eine Eskalation mit unvorhersehbaren Folgen. Während die Appelle zur Diplomatie immer lauter wurden, scheint Israel in den letzten Stunden die Empfehlungen der USA zu ignorieren und treibt die Region in gefährlicher Weise auf einen Krieg zu, in den Washington gezwungen sein wird, einzugreifen.
Nur wenige Stunden nach dem Schlag auf Beirut wurde die Region auf Kriegsbereitschaft eingestellt. Nachdem zwei britische Kriegsschiffe in die Nähe von Zypern entsandt worden waren, schickten die USA eine Flottille vor die israelische Küste, wobei drei Schiffe (die USS Wasp, die USS Oak Hill und die USS New York) fast 2200 Soldat:innen an Bord hatten. Die Hisbollah versetzte ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft und verlagerte ihre Munitionslager, während Israel den allgemeinen Mobilmachungszustand ausrief und sich darauf vorbereitete, im Notfall Reservist:innen einzuberufen.
Die Ermordung von Ismael Haniyeh hat den Drang zum Krieg weiter eskaliert. Der Iran schwört Rache, während das politische Büro der Hamas, welche durch den Tod ihres Chefdiplomaten schwer getroffen wurde, erklärte, dass der Tod ihres Anführers „regionale Folgen haben wird“. Wenn die Verhandlungen zwischen dem israelischen Staat und der Hamas über einen Waffenstillstand in Gaza durch die israelischen Luftschläge vereitelt werden, war die Region noch nie so nah daran, in den Strudel des Krieges zu geraten. Der Schlag könnte auch im Westjordanland, wo die Hamas eine sehr hohe Popularität genießt, Aufstände auslösen. Derzeit ist in den besetzten Gebieten ein Generalstreik ausgerufen worden, während mehrere Milizen Angriffe in der Umgebung von Hebron koordiniert haben.
Nach zehn Monaten der Gegenwehr bereiten sich die Hisbollah, die Hamas und der Iran erneut auf eine Antwort vor, wobei jedoch die Gefahr besteht, dass ein schlecht kalkulierter Gegenschlag Israel den erhofften casus belli (Kriegsfall) beschert. Auch wenn die Hisbollah und der Iran kein Interesse an einem Krieg haben, ist der Schlag Israels zu stark, um ihn unbeantwortet zu lassen. Indem Israel im Herzen Teherans einen führenden Politiker traf, der zur Antrittsfeier des neuen Präsidenten eingeladen war, hat es die Islamische Republik gedemütigt, deren Sicherheitsdienste den Angriff nicht verhindern konnten. Die Hisbollah und der Iran könnten gezwungen sein, scharf zu reagieren, um ihr Ansehen zu retten. Der Iran kann sich jedoch mehr Zurückhaltung leisten, da der in seiner Obhut ermordete Führer kein Mitglied des Oberkommandos der Islamischen Republik war. Auch wenn der Schatten eines Krieges immer größer wird, ist er noch nicht unvermeidlich.
Ein gefährlicher Gegenschlag
In den letzten zehn Monaten der Konfrontation hat die Hisbollah traditionell auf die Ermordung ihrer Anführer mit einer ebenso kalibrierten wie symbolischen Machtdemonstration reagiert. Nachdem im Juni zwei ihrer Generäle, Taleb Abdallah und Mohamed Nasser, getötet worden waren, setzte die Partei ihre Streitkräfte in Bewegung und veranstaltete ein riesiges Sperrfeuer, bei dem in der Regel zwischen 300 und 400 Raketen und Flugkörper auf israelische Militärstellungen abgefeuert wurden. Nach dem Tod einer ihrer wichtigsten Anführer wäre ein solcher Gegenschlag angesichts des Verlusts, den die Partei erlitten hat, jedoch schwach.
Auch wenn dieses Szenario unwahrscheinlich erscheint, könnte sich die Hisbollah von der Reaktion des Iran auf den Tod von Mohamed Reza inspirieren lassen, der Anfang April bei einem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus getötet wurde. Die Islamische Republik befand sich damals in einem ähnlichen Dilemma: Sie konnte nicht nicht reagieren, musste aber um jeden Preis einen Krieg verhindern. Als Teheran am Abend des 13. April 300 Raketen und Drohnen von seinem Territorium aus abfeuerte, übernahm es zum ersten Mal die Verantwortung für einen direkten Angriff auf Israel, bot Israel und seinen Verbündeten jedoch genügend Zeit, um die Geschosse abzufangen. Ein solcher Vergeltungsschlag aus dem Libanon könnte jedoch sehr schnell eskalieren, und es wäre unmöglich, ihn so genau zu kalibrieren.
Ein gleichzeitiger Angriff aus Gaza, wo die Hamas einige Stellungen hält, dem Libanon und anderen Gebieten unter iranischer Hegemonie ist ebenfalls nicht auszuschließen. Die Hisbollah hat in der Vergangenheit bereits einige Angriffe an die jemenitische Ansar Allah (Huthis) delegiert, denen es gelang, Tel Aviv mit einer explodierenden Drohne zu treffen. Laut Orient-le-jour berief der Iran heute Morgen den Obersten Rat für Nationale Sicherheit ein und lud General Houssein Salami, den Kommandeur der Al-Quds-Truppen, zur Teilnahme an der Sitzung ein. Als Anführer der iranischen Stoßtruppen ist der General für die Beziehungen zwischen dem Iran und seinen Verbündeten zuständig. Wenn die Schlussfolgerungen des Rates noch nicht bekannt sind, könnte er einen koordinierten Angriff beschließen, der eher symbolisch als strategisch ist.
Es ist auch zu befürchten, dass die Hisbollah und der Iran beschließen, ihre Operationen deutlich zu intensivieren. Es scheint, dass ein Teil des Generalstabs der „Achse des Widerstands” beginnt, den Krieg als unvermeidlich zu betrachten und dass es besser wäre, ihn jetzt zu führen, als ihn später zu erleiden. Bei dem Gegenschlag im April hatte das iranische militärische Oberkommando in der Tat mit seiner üblichen Vergeltungsstrategie gebrochen und in den Worten des Generalstabschefs eine „neue Gleichung“ durchgesetzt: Der Iran würde nun Zug um Zug auf israelische Aggressionen reagieren und Israel direkt konfrontieren, ohne den Angriff an seine Stellvertreter zu delegieren. Trotz seiner üblichen Prahlereien hat das Regime immer wieder Ausreden gefunden, um sich nicht an seine eigene Doktrin zu halten. Doch die extreme Volatilität der Situation und der Fanatismus der israelischen Regierung könnten das iranische Militär zu der Einschätzung bringen, dass Tel Avivs Dreistigkeit ein Riegel vorgeschoben werden muss.
Die Frage ist weniger, wie die Komponenten der so genannten „Achse des Widerstands“ auf die israelische Eskalation reagieren werden, sondern vielmehr, ob der Kolonialstaat seinerseits eine Offensive starten könnte, die die Region in Brand setzt und die imperialistischen Mächte hinter sich herzieht. Die Möglichkeit der Ausweitung des Kolonialkriegs der IDF mit der Komplizenschaft der imperialistischen Mächte auf den Libanon oder sogar auf die gesamte Region ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Angesichts dieses düsteren Szenarios ist der Aufbau einer internationalen antikolonialen und Antikriegsbewegung, von entscheidender Bedeutung. Diese muss sich bedingungslos mit dem Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes solidarisieren und versuchen, die israelische Kriegsmaschinerie zu stoppen. Dabei muss die Arbeiter:innenbewegung eine zentrale Rolle spielen.