Auch nach einem Jahr: „Der Kreißsaal bleibt!“

20.12.2023, Lesezeit 8 Min.
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Bild: KGK

Das Team der Neuperlacher Geburtshilfe kämpft noch immer für den Erhalt seiner Station. Vor einem Jahr protestierten die Kolleginnen zum ersten Mal öffentlich, zum Jubiläum kamen sie wieder zurück vor das Einkaufszentrum des Stadtteils.

Vor dem Einkaufszentrum PEP im Münchner Stadtteil Neuperlach herrscht so kurz vor Weihnachten großer Trubel. Am Montagnachmittag war dort jedoch noch einmal mehr los. Denn unter dem Motto „Ihr Kinderlein kommet“ hatten die Kolleginnen von der Geburtshilfestation am nahegelegenen Standort der München Klinik (MüK) zum Protest aufgerufen. Vor einem Jahr waren sie schon einmal dort gestanden, doch am Anlass hat sich seitdem nichts geändert. Noch immer kämpfen sie dafür, dass ihre Station nicht dem Sanierungsplan des maroden städtischen Klinikunternehmens zum Opfer fällt.

Zur Kundgebung gekommen waren nicht nur zahlreiche Kolleginnen, sondern auch Familienangehörige und ein knappes Dutzend Unterstützer:innen aus dem Solidaritätskomitee für den Erhalt des Kreißsaals, das das Engagement der Kolleg:innen von Beginn an unterstützt. Auch viele Passant:innen unterbrachen ihren Vorweihnachtsbummel, um interessiert zuzuhören und ihre Unterstützung auszudrücken. Schließlich haben besonders die Menschen im Viertel ein eigenes Interesse daran, dass eine hochwertige Gesundheitsversorgung vor Ort erhalten bleibt. Einige von ihnen nutzen die Gelegenheit und hinterließen ihre Kontaktdaten, um über weitere Proteste informiert zu bleiben.

Den Auftakt der Kundgebung besorgte Katharina Wimmer, eine der Hebammen aus dem Team. Sie erinnerte daran, dass mit dem ersten öffentlichen Auftritt am selben Ort der Startschuss für alle weiteren Veranstaltungen gefallen war, die folgten. Und es war ein volles Jahr, mit Protesten bei Veranstaltungen von SPD und Grünen, einer Podiumsdiskussion im Eine-Welt-Haus mit einer Kollegin aus der Berliner Krankenhausbewegung, Reden bei Streiks und feministischen Demonstrationen, vielen Treffen mit Politiker:innen und einer symbolischen Petitionsübergabe am internationalen Hebammentag im vergangenen Mai. Über 23.000 Menschen haben die Petition unterschrieben und damit ein klares Zeichen gesetzt.

SPD und Grüne hatten im vergangenen Jahr reagiert und zugesagt, im Stadtrat einen Beschluss zu fassen, der den Bestand des Neuperlacher Kreißsaals bis 2028 gewähren sollte. Doch ihr Wort haben sie noch nicht gehalten. Noch immer steht dieser Beschluss aus. Erst im ersten Quartal 2024 soll er gefällt werden. Die Geschäftsführung, so erklärte Wimmer, sehe immer noch vor, dass die Kreißsäle in Neuperlach und Harlaching zusammengelegt werden sollen – und das schon Ende 2024! „Wir müssen euch sagen: Wir haben bis heute keine klare Perspektive“, so Wimmer weiter. Ihre Rede beendete sie mit einer Parole, die bei vielen Veranstaltungen und Demonstrationen im vergangenen Jahr immer wieder gerufen wurde: „Wir wollen – ihr kennt die Parole –, dass: Der Kreißsaal bleibt!“

Auch zwei ihrer Kolleginnen hoben in ihrer Rede hervor: „Der Erhalt des Kreißsaals ist immer noch nicht sicher. Was aber sicher ist, ohne uns wäre der Kreißsaal 2024 zu.“ Eine von ihnen, Leonie Lieb, betonte, dass der öffentliche Druck die Parteien bewegt habe und ihr Kampf so zu einem münchenweiten Thema geworden sei. Sie wollen weitermachen, damit der Kreißsaal nicht nur bis 2028 bleiben kann, sondern dauerhaft.

Weitere Kolleginnen kamen ebenfalls zu Wort, die in sehr persönliche Redebeiträgen davon erzählten, wie sie als Schwangere auf der eigenen Station betreut wurden und werden. Sie konnten aus „beiden Perspektiven“ davon berichten, warum gute Hebammenarbeit kein Luxus ist.

In der offenen Runde brachten auch Natalie und Lisa aus dem Solikomitee ihre Unterstützung zum Ausdruck. Als Medizinstudentin und medizinische Fachangestellte sprach Natalie darüber, wie sie gerade in der gynäkologischen Notfallversorgung die Überlastung erlebt hat. „Die Schließung eines weiteren Kreißsaals würde das Problem der Überlastung ein anderer Stelle also noch weiter verstärken“, so die Studentin. Sie kritisierte, dass sich nach dem Fallpauschalensystem natürliche Geburten und Kreißsäle nicht rentierten. Deshalb hätten seit 2018 10 Prozent der Kreißsäle im Land schließen müssen. Auch die Reform des Gesundheitswesens durch den zuständigen Bundesminister Karl Lauterbach werde das Grundproblem nicht ändern, dass unser Gesundheitssystem nicht an Bedürfnissen orientiert ist. Dafür sei die Solidarität aus dem Gesundheitswesen essenziell.

Die Bedeutung der Selbstorganisierung hielt Lisa hoch. Die Krankenpflegerin aus dem Harlachinger Standort der München Klinik rief in ihrem Redebeitrag auf: „Wir als Beschäftigte der München Klinik müssen uns zusammenschließen, um noch mehr Druck gegen Schließungen oder auch Versetzungen der Stationen aufzubringen. Dazu müssen wir uns gewerkschaftlich organisieren und Betriebsgruppen aufbauen.“ Im Rahmen der Umstrukturierungen der München Klinik würden die Beschäftigten wenig bis gar nicht gefragt, wie sie sinnvoll zusammenarbeiten könnten. „Einzig und allein wir als Mitarbeitende müssen entscheiden, wie ein Krankenhaus laufen soll, denn nur die, die Tag für Tag die PatientInnen betreuen, können sagen, wie ein gute Versorgung funktionieren kann“, so die Kollegin aus Harlaching.

Den besonderen Wert der Geburtshilfe in Neuperlach hob Mechthild Hofner hervor. Sie ist Vorsitzende des bayerischen Hebammen-Landesverbands. „München Neuperlach ist ein Leuchtturmprojekt für frauenzentrierte Gesundheitsversorgung“, so Hofner in ihrem Redebeitrag am Offenen Mikrofon. In ihrer Rede stellte Hofner aber auch die Kosten im Bundeshaushalt für das Bürgergeld für den Etat für das Gesundheitswesen gegenüber. Es stimmt: Für die Gesundheitsversorgung fehlt genug Geld. Doch es ist grundfalsch zu versuchen, die Beschäftigten in den Krankenhäusern gegen Empfänger:innen von Sozialleistungen auszuspielen. Denn überall wird gespart, nicht nur bei der Gesundheit, sondern auch bei Sozialem, der Bildung und dem Klimaschutz. Nur bei der Aufrüstung nicht: Während der Etat für das Bürgergeld im kommenden Jahr um 1,5 Milliarden gekürzt werden soll (2023 wurden 25,9 Milliarden dafür aufgewendet), wurde der Etat für die Bundeswehr noch weiter erhöht, auf insgesamt um 70 Milliarden Euro.

Wie geht der Kampf weiter?

Stichwort: Sparen. In der Süddeutschen Zeitung erschien am Montag ein Artikel, der die finanzielle Schieflage der München Klinik illustrierte. Die MüK rechne mit einem Verlust von knapp 90 Millionen Euro für das Jahr 2023. Mit weiteren 400 Millionen Euro müsse die Stadt München den Konzern zwischen 2025 und Ende 2029 unterstützen, sonst drohe die Zahlungsunfähigkeit. Das geht laut SZ aus einer Vorlage für die Vollversammlung des Stadtrats für die Sitzung am morgigen Mittwoch hervor.

Die SZ zitiert in dem Artikel nicht nur Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der betont, dass man die Kliniken in städtischer Hand behalten wolle. Auch der kaufmännische Geschäftsführer der MüK, Tim Guderjahn, kommt darin zu Wort. Entgegensteuern, so gibt die SZ Guderjahn wieder, könne man nur mit dem Versuch, weiter zu „zentrieren“, also Strukturen besser zu bündeln. Aber genau das entspreche dann oft nicht dem Wunsch der Öffentlichkeit, so Gunderjahn weiter. Als Beispiel nennt er eben jene Verlegung der Geburtsstation von Neuperlach nach Harlaching, gegen die sich die Kolleg:innen seit über einem Jahr wehren. Das zeigt: Der Protest wirkt.

Die Schieflage der MüK insgesamt zeigt aber auch, wie dringend es ist, dass endlich die Beschäftigten selbst die Kontrolle über die weiteren Planungen in die Hand bekommen und die Bücher des städtischen Unternehmens offengelegt werden. Letztlich aber braucht es auch ein ganz anderes Gesundheitswesen statt der Verschlimmbesserung, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (ebenfalls SPD) auf den Weg gebracht hat.

Der Kampf für den Erhalt des Kreißsaals in Neuperlach ist damit unmittelbar verbunden. Denn auf kurz oder lang wird bedarfsorientierte Versorgung ohne Personalmangel, wie sie im Neuperlacher Kreißsaal möglich ist, immer das Nachsehen haben wird, solange Fallpauschalen und Sparzwang dominieren.

Wann der Stadtrat über den Fortbestand des Kreißsaals in Neuperlach entscheiden wird, ist weiter ungewiss. Doch dann wird die Aufgabe sein – wie es in einer Rede hieß – „ihm auf die Füße zu treten“ und dafür zu sorgen, dass die Versprechen von SPD und Grünen Wirklichkeit werden.

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