Attila Hildmann in der Türkei: Ein Rechtsradikaler bei Erdoğan
Der rechtsradikale Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann wird von der Staatsanwaltschaft mit einem Haftbefehl gesucht und ist nun in die Türkei abgetaucht. Vor ein paar Jahren noch als veganer Koch bekannt, entwickelte er sich in kürzester Zeit zu einem besonders radikalen Wortführer der Querdenken-Bewegung. Was bedeutet seine Flucht zu Erdoğan?
Der rechte Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann ist in die Türkei abgetaucht. Mittlerweile bestätigte er entsprechende Medienberichte auf Twitter: “Bis Deutschland wieder frei ist bleibe ich in meiner Blutsheimat der Türkei, es ist meine wahre Heimat und Boden!”.
Damit versucht er, der Vollstreckung eines Haftbefehls gegen ihn zu entkommen. Hildmann wurde im vergangenen Jahr vor allem durch seine aktive Rolle in der Querdenken-Bewegung und seine stetige Radikalisierung bekannt.
Was sagt uns Hildmann tatsächlich?
Seine verworrenen Vorstellungen sind bekannt: die “Demokratie” in Deutschland würde “abgeschafft”, da “Deutsche nichts mehr zu melden” hätten und es herrsche eine neue, böse Weltordnung, bei der Personen wie Bill Gates, den er als „Programmier-Nerd und Kinderficker“ bezeichnete, eine leitende Rolle einnehmen.
Mit diesen Theorien befindet er sich in der Tradition des Rechtsextremismus in Deutschland. Er selbst sieht sich sogar in der Tradition Adolf Hitlers, über den er nicht nur wohlwollend spricht, er veröffentlichte auch ein Audio-Pamphlet unter dem Titel “Mein Kampf”. Dazu passt Hildmanns Antisemitismus, auf dem viele seiner Thesen basieren.
Aber auch ein Thilo Sarrazin, der bereits vor zehn Jahren die These der “Abschaffung Deutschlands” verbreitete stand für manche von Hildmanns Ideen Pate. Der Ex-SPDler mag gemäßigter daherkommen aber beide haben auch in ihrer (neoliberalen) Haltung zur Abschaffung von Hartz IV, Zwangsräumungen, Nebeneinkünften von Abgeordneten, Nato-Einsätzen und vielen weiteren realen Problemen der Arbeiter:innen und Massen einige Gemeinsamkeiten. Während sie auf die ein oder andere Art den “Untergang Deutschlands” beklagen, ignorieren sie die sozialen Probleme, die tatsächlich die Mehrheit der Bevölkerung betreffen – oder sie schlagen Lösungen vor, die diese Probleme in Wahrheit nur verschärfen würden.
Während Hildmann vorgibt (und vielleicht auch glaubt), gegen eine geheime neue Weltordnung zu kämpfen, schützt er viel mehr die ganz reale bestehende Ordnung. Denn tatsächlich ist die Herrschaft des Kapitals, das sich in immer weniger Händen konzentriert, alles andere als geheim. In der Corona-Krise erhalten Konzerne wie Lufthansa Milliardenbeträge, während sich die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften, Lehrer:innen, Erzieher:innen und Arbeiter:innen an der vordersten Front nur verschlechtern. Hildmann und Co. verteidigen indirekt die Gesamtheit der Bosse und den kapitalistischen Status quo, weil sie die Probleme des Kapitalismus auf einzelne Personen wie Bill Gates beschränken, denen sie Böswilligkeit unterstellen.
Jenseits der kruden Vorstellungen Hildmanns über die politische Ordnung gibt es weitaus sinnvollere Ansätze, um die Politik in der Pandemie zu erklären: Der weltweit bekannte marxistische Geograph und Sozialwissenschaftler David Harvey stellt aus einer ganz anderen Perspektive die Macht der Expert:innen und ihre engen Verbindungen zum Kapital in Frage. Im Kapitalismus herrscht die Bourgeoisie mit Hilfe des bürgerlichen Staates über die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten. Daher können Expert:innen immer – auch während Corona-Pandemie – nur innerhalb des gegebenen Rahmens agieren. Deswegen muss die außerordentlich wichtige Arbeit der Wissenschaft durch demokratische Entscheidungen der Bevölkerung ergänzt werden – nicht alle paar Jahre, sondern kontinuierlich. Anti-kapitalistische Expert:innen und Wissenschaftler:innen könnten hier eine bessere Arbeit leisten, weil es bei Corona nicht nur um die Frage einer bestimmten Krankheit geht, sondern auch um die soziale Klassenzugehörigkeit. Diese Krankheit hat eine gesellschaftliche Bedeutung. Harvey bleibt jedoch mit seinem Gedanken bei der Hälfte stehen, da er nicht sagt, wie die Massen ausreichend Macht erlangen können, um selbst über die gesellschaftlichen Fragen zu entscheiden. Dabei müsste es gerade jetzt darum gehen, die Entscheidung über Veränderungen oder Schließung der Produktion zur Bekämpfung der Corona-Pandemie selbstbestimmt zu entscheiden. Das setzt eine politische Organisierung der arbeitenden Klasse voraus.
Wird der Hitler-Fan zum Erdoğan-Schützling?
Vor seinem Abtauchen erklärte Hildmann, dass ein Anschlag auf sein Leben geplant werde und er deshalb in den Untergrund gehen müsse. Den “bewaffneten Widerstand”, den er vorgeschlagen hat, überlässt er seinen Fans in Deutschland. Er selbst verschwand angesichts der Gefahr des Haftbefehls ebenso schnell, wie er zum Verschwörungstheoretiker aufgestiegen war.
Wenn Hildmann tatsächlich versucht, sich dauerhaft in der Türkei vor dem deutschen Staat zu verstecken, wird dies weitere politische Folgen haben, denn er wird sich nur schwer ohne Erdoğans Schutz in der Türkei aufhalten können. Er hat allerdings schlechtere Karten als Mesut Özil, der mit der Zeit zu einem gefestigten Erdoğan-Anhänger wurde und sich öfter mit ihm abbilden ließ. Hildmann hingegen ist zunächst ein deutscher Nationalist – wenn auch ein wandlungsfähiger. Es würde trotzdem eine gewisse internationale Bedeutung bekommen, sollte er mit einem internationalen Haftbefehl gesucht werden. Erdoğan hätte wohl nichts dagegen, einen solchen Anlass zu nutzen, um seine Position am Verhandlungstisch mit Deutschland zu stärken.