Asylpaket II steht – Regierungskrise vorbei?
Mit der neuesten Verschärfung des Asylrechts will die große Koalition Geschlossenheit demonstrieren. Doch die Autorität der Kanzlerin ist weiter angeschlagen und die Regierungsrechte auf dem Vormarsch. Die radikale Linke steht vor großen Aufgaben, wenn nicht die Rechten von der Regierungskrise profitieren sollen.
Schon Anfang November beschlossen die Regierungsspitzen das reaktionäre Maßnahmenpaket, das nun als Asylpaket II verabschiedet wurde. Bisher hatte sich die SPD dagegen gewehrt, den Familiennachzug auf für syrische Geflüchtete auszusetzen. Doch wie schon in der Debatte um die Transitzonen, die im Asylpaket II als Aufnahmezentren enthalten sind, zeigt sich der flüchtige Charakter dieser „Opposition“. Die einzige Rolle der SPD in der Regierung ist es, die von der extremen Rechten geforderten Verschärfungen umzubenennen oder wenige Monate zu verzögern.
Zwei Angriffe auf Geflüchtete in einer Woche
Das aktuelle Maßnahmenpaket setzt den Familiennachzug für alle auf zwei Jahre Geflüchteten aus, die „nicht unmittelbar persönlich verfolgt“ sind. Damit werden die Kinder und Familienmitglieder von geflüchteten Männern und Frauen, genauso wie die Eltern von geflüchteten Kindern, in Bürger*innenkriegsländern wie Syrien dem Tod ausgesetzt. Und von den gleichen Geflüchteten, die vom deutschen Staat von ihrer Familie getrennt werden, verlangt er dann eine rasche Integration! Doch diese ist nicht kostenfrei und so werden Geflüchteten ab jetzt 10 Euro von den ohnehin schon geringen und sachbezogenen Leistungen abgezogen.
Zudem werden Marokko, Tunesien und Algerien zu „sicheren Herkunftsländern“ umdeklariert. Die Phantasterei von Merkel und Gabriel über die Türkei als „sicheres Herkunftsland“ macht den rein politischen Charakter der Kategorie deutlich. Seehofer möchte sogar eine Liste von 13 Staaten, darunter das von imperialistischen Interventionen geplagte Mali, in ein „sicheres Herkunftsland“ verwandeln. Geflüchtete diesen Ursprungs sollen nun schneller in den oben erwähnten „Aufnahmezentren“ (die in Bayern schon seit Monaten für Refugees aus dem Westbalkan verwendet werden) registriert und abgeschoben werden. Nach der Silvesternacht in Köln nahm der antimuslimische und antiafrikanische Rassismus deutlich zu. Gabriel machte kurz danach klar: „Wer straffällige Asylbewerber schützt, hat keinen Anspruch auf deutsches Steuergeld.“ und forderte, dass Haftstrafen in der Heimat abgesessen werden müssen.
Mitte der Woche beschloss das Bundeskabinett auch eine solche Verschärfung des Aufenthaltsrechts. Selbst jede Bewährungsstrafe kann jetzt zur Ausweisung führen. Bei einer Haftstrafe von über einem Jahr wird der Person sogar das Attribut des „Geflüchteten“ aberkannt. Es wird also bald möglich sein, politisch Verfolgte oder Kriegsgeflüchtete aufgrund einer Straftat der Folter oder des Todes auszusetzen. Und wenn diese Staaten die Rückführung nicht akzeptieren, wird ihnen mit Kürzung der Entwicklungshilfe gedroht.
Erst die Verschärfung des Aufenthaltsrechts, dann das Asylpaket II: Zwei Angriffe auf Grundrechte von Geflüchteten, die Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit einer zerstrittenen Koalition vermitteln sollen. Tatsächlich waren sich CDU, CSU und die SPD immer darin einig, ihren menschenfeindlichen Kurs gegen die Refugees zu vertiefen. Merkel hatte diesen Konsens in ihrer Neujahrsansprache in der Formulierung ausgedrückt, „die Zahl der Flüchtlinge nachhaltig und dauerhaft spürbar zu verringern“. Doch in den ersten Wochen des neuen Jahrs hat die Kritik an der Bundesregierung und besonders der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vom rechten Flügel der CDU und der CSU eine neue Qualität gewonnen. Diese Tendenz nimmt auch mit den beiden beschlossenen Gesetzesverschärfungen nicht ab, sondern spitzt sich weiter zu.
Die „zweite Reihe“ spielt auf
In dem Maße, in dem die Autorität von Merkel sinkt, wächst der Protagonismus der Politiker*innen des rechten Rands der CDU. Zuerst sammelten sie 40 Unterschriften für einen Brief, in dem ein Kurswechsel in der Geflüchtetenpolitik gefordert wurde. Am vergangenen Wochenende stieß die Kandidatin bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner (CDU), mit ihrem „Plan A2“ vor, der für nationale Maßnahmen zur Eindämmung der Migration eintritt. Im Mittelpunkt stehen dabei grenznahe Zentren zur Registrierung und Abweisung der Geflüchteten, sowie tägliche Kontingente zur Regulierung. Zwar weist Klöckner von sich, dass es sich dabei um Abweichungen von Merkels Politik handelt. Doch tatsächlich ist die öffentliche Vorstellung eines Alternativplans ein Affront gegen die Kanzlerin, zumal er sich inhaltlich an den Forderungen anlehnt, die schon seit Monaten aus den bayrischen Alpen kommen.
Im Verteidigungsministerium geht Ursula von der Leyen (CDU) immer offensiver mit den Plänen der deutschen Bourgeoisie nach einer Aufrüstung und vergrößerten Interventionsspanne der Bundeswehr um. So stellt sie die Möglichkeit eines Einsatzes in Libyen zur Bekämpfung einer angeblichen „Achse des Bösen“ in Afrika in Aussicht, fordert die Abschaffung einer Obergrenze für die Ausrüstung der Bundeswehr und will den Haushalt des Verteidigungsministeriums von 2016 bis 2030 auf 130 Milliarden verdoppeln. Das Ziel: Die Handlungsfähigkeit „der Truppe“ erhöhen und die militärische Kapazität der wirtschaftlichen Stärke und den imperialistischen Machtbestrebungen anzupassen. Diese Entwicklung macht den Irrsinn imperialistischer Geflüchtetenpolitik deutlich: Die Anzahl der Refugees soll verhindert werden, doch es werden Milliarden ausgegeben, um die Fluchtursachen zu verschärfen.
Das Ende von Schengen?
Auch Thomas de Maiziere (CDU) beweist sich immer wieder als klarer Vertreter dieses rechten Flügels. So sagte er zu Beginn der Woche am Rande einer Beratung von EU-Innenministern: „Die Zeit ist knapp“. Deshalb müssen die EU-Außengrenzen besser geschützt und Frontex gestärkt werden. Falls Griechenland, vom Spardiktat der Troika gequält, dies nicht hinbekomme, drohte der Innenminister mit dem Ausschluss aus dem Schengen-Raum. Gemeinsam mit den Benelux-Staaten, Österreich und den skandinavischen Ländern sei über die Gründung eines „Mini-Schengens“ nachzudenken.
Nachdem schon im vergangenen Herbst verschiedene Balkanstaaten, angefangen bei Ungarn, ihre Grenzen hochfuhren, ist diese Bewegung auch im Norden Europas angekommen. Nachdem Schweden die Grenzkontrollen auf der Öresund-Brücke einführte, tat es ihnen Dänemark an ihrer Grenze zu Deutschland gleich. Seinerseits werden die deutschen Grenzkontrollen noch mindestens bis Mai andauern. Und Österreich beschloss eine Obergrenze von 37.500 Geflüchteten im kommenden Jahr. Zudem nimmt die Zahl der Länder zu, die Wertsachen von Geflüchteten konfiszieren – denen, die nicht mehr haben, als sie bei sich führen und denen ihre eigene Heimat und ihr eigenes zu Hause gestohlen wurde. Nach der Schweiz (wo die Übergrenze bei ungefähr 900 Euro liegt) und Bayern, wo Schmuck und Geld über 750 Euro von den Behörden einbehalten werden, verabschiedete auch Dänemark ein solches Gesetz.
Schon in der Griechenland-Krise kritisierten bekannte Figuren der CDU den Kurs von Merkel und stimmten gegen das dritte Memorandum, um härtere Bedingungen bis hin zum Euro-Austritt zu erzwingen. Doch letzten Endes konnte sich Merkel durchsetzen und konnte dabei sowohl mit dem Rückhalt aus anderen wichtigen Euroländern, als auch mit der Kapitulation der Tsipras-Regierung vor der Troika auftrumpfen. Dies ist jetzt nicht mehr so. Ein Land nach dem nächsten verschärft Grenzkontrollen und Asylgesetze, was sowohl die Autoritätskrise von Merkel zuspitzt als auch den reaktionärsten Sektoren der Regierung Unterstützung gibt.
Merkel wehrt sich nicht deshalb so vehement gegen die Ausweitung von Grenzkontrollen und nationalen Maßnahmen, weil sich weniger nationalistisch oder rassistisch als de Maiziere und Co. wäre. Sie weiß jedoch, dass wenn Deutschland sich ebenfalls von dem Schengen-Raum abkehren würde, dieser verloren wäre. Doch die Europäische Union (EU) und Schengen waren für den deutschen Imperialismus wichtige Meilensteine auf dem Aufstieg zum europäischen Hegemon. Zudem können Grenzkontrollen die deutsche Wirtschaft, deren hauptsächlich innerhalb von Europa stattfindenden Exporte zu 60 Prozent auf dem Landweg transportiert werden, hart treffen. Deshalb verteidigt sie „europäische Lösungen“ und tritt gegen nationale Maßnahmen ein, auch wenn ihr Ziel dasselbe ist: Deutschland und Europa von den Problemen abzuschotten, die sie selbst erschufen.
Bricht die Koalition?
Diese defensive Haltung drückt sich auch in dem neusten Vorstoß der CSU aus, die in einem Brief der Bayerischen Landesregierung an die Bundeskanzlerin ihre nationalistischen Forderungen erneut vorbrachte. Darin fordern sie unter anderem die Registrierung aller Geflüchteten an der Grenze und die Rückweisung aller Geflüchteten ohne Pässe, die Wiederherstellung der „Grenzsicherheit“ und eine Obergrenze von 200.000 Geflüchteten im Jahr. Eine vollkommen rassistische Lösung der Geflüchtetenkrise, die mit der Militarisierung der Außengrenzen und des gesamten Regimes einhergehen müsste, wie es bisher nur die Alternative für Deutschland (AfD) fordert.
Sollte Merkel nicht schnell auf diese Forderungen eingehen, droht Seehofer mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung, dessen integraler Bestandteil sie sind. Eine nie dagewesene Offensive, die von Teilen der CDU-Rechten wie Innenexperte Wolfgang Bosbach unterstützt wurde, der ebenfalls „nationale Maßnahmen zur Grenzsicherung“ forderte. Angesichts dieser Töne sprach SPD-Fraktionsvorsitzender Oppermann von einer „Ankündigung des Koalitionsbruchs“ und fügte hinzu, dass die Koalition auch ohne die CSU regierungsfähig sei.
Tatsächlich ist die Sozialdemokratie weit von einem Koalitionsbruch entfernt. Ihre symbolische Opposition gegen die extremsten Vorschläge der CSU bleibt solange bestehen – bis sie zu Gesetzen werden. Sie will die CDU vor der CSU beschützen, während sich selbst in der Union keiner mehr um solche Formalien kümmert und es zum offenen Richtungsstreit kommt. Damit wird sie zum Garanten einer Regierungskoalition, die für Kriegsinterventionen in Afrika und im Nahen Osten und eine reaktionäre Offensive gegen Geflüchtete steht.
Diese Episoden des politischen Auseinandersetzungen in der großen Koalition machen deutlich, dass die Regierungskrise noch lange nicht vorbei ist. Doch sie bedeutet nicht Stillstand, sondern verschärfte Angriffe auf die Geflüchteten und kämpferische Sektoren der Jugend. Im Rahmen dieser Krise und des Rechtsrucks der politischen Landschaft, der sich nach Köln noch stärker akzentuierte, etabliert sich die AfD als drittstärkste Kraft und wird immer mehr zu einer faschistischen Partei.
Das alles geschieht, ohne dass die gewerkschaftlichen und politischen Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse eine unabhängige Position gegen den Rechtsruck und die neuen Kriegseinsätze und militärischen Gebärden beziehen. Doch es ist eine breite antiimperialistische Bewegung der Jugend gegen den Krieg und den Rassismus nötig, damit aus der aktuellen Regierungskrise nicht die Rechten profitieren. Gleichzeitig müssen die Revolutionär*innen zusammen mit kämpferischen Arbeiter*innen die Gewerkschaftsführungen auffordern, den Selbstschutz für Geflüchtete und Linke zu organisieren, und einen politischen Generalstreik gegen Rassismus von Nazis und Staat und Krieg auszurufen.