Aschaffenburg: Trauer um die Opfer, Wut über die rassistische Instrumentalisierung

23.01.2025, Lesezeit 6 Min.
1
Symbolbild, Foto: Nicola Borrani/shutterstock

In Aschaffenburg attackierte ein Mann eine Kindergartengruppe und tötete dabei ein zweijähriges Kind und einen Passanten. Wir trauern um die Opfer und halten es für notwendig, die sozialen Ursachen zu hinterfragen, die zu solchen Tragödien beitragen.

Im unterfränkischen Aschaffenburg tötete ein 28-jähriger Mann am Mittwoch in einem Park ein zweijähriges Kind sowie einen Passanten, der um Hilfe eilen wollte. Vier weitere Menschen wurden verletzt. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und den trauernden Angehörigen, die ihre Geliebten verloren haben, ebenso wie bei der gesamten Kita-Gemeinschaft. 

Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen 28-jährigen afghanischen Geflüchteten, der in der Nähe von Aschaffenburg in einer Asylunterkunft untergebracht war und im Dezember seine geplante Rückreise nach Afghanistan bei den Behörden gemeldet hatte. Die Polizei spricht davon, dass sie ein politisches Motiv sehr wahrscheinlich ausschließen kann und dass der Täter unter einer psychischen Krankheit litt.

Das schreckliche Ereignis in Aschaffenburg war heute Thema Nummer eins in den bürgerlichen Medien. Bei der Frage, wie man solche Taten verhindern kann, wird vermehrt zu rassistischer Hetze und Rufen nach Abschiebungen gegriffen. Doch kein Bericht wirft leider auch nur ansatzweise ein Licht auf die desaströse Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland auf, die in gefängnisähnlichen Ankerzentren von der Gesellschaft isoliert werden. Man kann ohne Übertreibung von Segregation sprechen, die Geflüchtete in Deutschland zu Menschen zweiter Klasse herabstuft. Isolation, Überwachung, andauernder Rassismus, Gängelung durch die Behörden sowie das Fehlen klarer Bleibeperspektiven sind dort Standard. Menschen, die ihr Leben riskieren, um zu fliehen, weil ihnen Kriege (oftmals geführt mit aus Deutschland importierten Waffen) ihre Lebensperspektive nehmen, haben oft grausame Dinge erlebt. Die Bedingungen in Unterkünften und die rassistische Behandlung, die sie bei ihrer Ankunft und darüber hinaus erfahren, machen es fast unmöglich, sich ernsthaft psychisch stabilisieren zu können. Solche Zustände rufen psychische Krankheiten hervor oder können zu ihrer Verschlimmerung beitragen – und eben nicht die Herkunft einer Person. 

Kanzler Olaf Scholz blendete dies aus und sprach von einer „Terrortat“, die Konsequenzen nach sich ziehen werde. Er bediente sich direkt rassistischer Rhetorik, indem er verkündete, dass er es leid sei, „wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen“. Diese Aussage vermittelt das Bild, dass Gewaltvorfälle in Deutschland mehrheitlich von Personen ausgehen würden, die hierhin flüchten. Diesen Zusammenhang zieht er auch ganz offen, indem er in einen rassistischen Überbietungswettbewerb mit der CSU einsteigt und die Verantwortung für den Vorfall auch auf die angeblich unzureichenden Abschiebemaßnahmen des bayerischen Staates schiebt. Seine Regierung habe alles getan, um „Rückführungen zu fördern und irreguläre Migration zu reduzieren“, aber es gäbe „ein erkennbares Vollzugsdefizit – in diesem Fall insbesondere bei den bayerischen Behörden“. Dabei gehen die meisten Gewalttaten in diesem Land von extrem Rechten aus. Im Jahr 2023 gab es beispielsweise 2.558 politisch motivierte Angriffe auf Geflüchtete oder Geflüchtetenunterkünfte. Das sind etwa 7 pro Tag.

Mittlerweile überschlagen sich die bürgerlichen Medien und viele Parteien beginnen schon damit, diesen Fall politisch für eine restriktivere Migrationspolitik und für allgemeine Hetze gegen Geflüchtete zu instrumentalisieren. CDU-Chef Merz und FDP-Chef Lindner kommentieren die Tat in einem ähnlichen Ton: Lindner glaube Scholz nicht mehr, dass er Konsequenzen ziehen möchte, nachdem nach den Vorfällen in Magdeburg und Solingen nichts passiert sei, und betont, dass die linkeren Teile von Grünen und SPD einer konsequenteren Law and Order Politik (härtere polizeiliche Maßnahmen gegen Kriminalität) im Wege stehen würden. Deswegen brauche es einen Politikwechsel. Friedrich Merz betont, dass endlich Recht und Ordnung herrschen müssten, womit er eigentlich meint, die innere Militarisierung weiter auszubauen und die Befugnisse der Polizei zu vergrößern. 

Das BSW versucht eine direkte Verbindung zu Magdeburg und Solingen herzustellen, um sich mit dem Bild von „gewalttätigen, migrantischen Männern“ der AfD-Wähler:innenbasis weiter anzunähern. Wagenknecht spricht selbst in einem Video davon, dass es jetzt eine Abschiebeoffensive in sogenannte „sichere Drittstaaten“ brauche. Währenddessen treibt die AfD den rassistischen Diskurs auf die Spitze und fordert „Remigration jetzt“. 

Nachdem Christian Lindner eine zu lasche Sicherheitspolitik beklagt, legt der Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Christian Dürr, noch einen obendrauf. Für ihn müssten die deutschen Behörden endlich sicherstellen, dass potenzielle Gewalttäter und psychologisch auffällige Personen wie der Täter aus Aschaffenburg konsequent identifiziert und abgeschoben werden. Er bläst damit ins selbe Horn wie Carsten Linnemann von der CDU vor ein paar Wochen. Der hatte nach dem rechten Anschlag von Magdeburg gefordert, dass die Polizei und der Verfassungsschutz Daten über Patient:innen von Psychiater:innen, Kliniken und Psychotherapeut:innen beziehen können sollen. Solch ein Register erinnert an NS-Methoden, wie wir an anderer Stelle ausführlicher belegt haben. 

Im Zentrum der Angriffe von AfD über BSW bis CDU/CSU und FDP stehen nun psychisch kranke Personen im Allgemeinen und psychisch kranke Geflüchtete im Besonderen. Anstatt die sozialen Ursachen einer Tat erklären zu wollen, werden jetzt erneut Rufe nach Abschiebungen, nach stärkerer Überwachung und Disziplinierung von psychisch Kranken sowie Geflüchteten laut. 

Dabei wird außer Acht gelassen, dass eben die Art, wie mit psychisch Kranken generell und psychisch kranken Geflüchteten im Besonderen umgegangen wird, dazu beiträgt, dass sich Krankheitszustände von Menschen verschlimmern. Um Gewalttaten, die in psychischen Krankheitszuständen begangen werden, zu verhindern, braucht es Milliardeninvestitionen in Soziales und Gesundheit, um eine adäquate Versorgung von Personen zu gewährleisten. Wir fordern ein Bleiberecht für alle bei vollem Recht auf Gesundheitsversorgung und die Abschaffung des Lagersystems, damit Menschen sich psychisch stabilisieren können, ohne mit dem konstanten Stress von unsicherem Aufenthalt und desaströsen Unterbringen konfrontiert zu werden. Darüber hinaus braucht es die Enteignung großer Wohnungskonzerne und ein massives öffentliches Wohnungsbauprogramm, um Menschen ein Leben in adäquater Unterbringung statt in Massenlagern möglich zu machen.

Mehr zum Thema