Armenien-Resolution: Distanz und Wahrheit

06.09.2016, Lesezeit 6 Min.
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Nachdem die wichtigsten Mitglieder der Bundesregierung schon bei der Abstimmung der sogenannten Armenien-Resolution zum Genozid vor über hundert Jahren nicht dabei waren, sorgen sie nun mit einer distanzierenden Erklärung für einen weiteren Skandal.

Wer hätte gedacht, dass eine türkische Regierung jemals Interesse an einer Resolution des deutschen Bundestages haben sollte, die vornehmlich symbolischen Charakter hat? Nun schaffte sie es, dass die Bundesregierung sich von der Armenien-Resolution distanzierte und damit einer Forderung Ankaras nachkam. Im Gegenzug dürfen sieben deutsche Parlamentarier*innen wohl ab dem 4. Oktober wieder den Militärstützpunkt Incirlik besuchen.

Damit schürt die Bundesregierung die verleumderische Ansicht, dass es keinen Genozid an den Armenier*innen gab und/oder dieser nicht als solcher bezeichnet werden sollte. Dies ist vollkommen inakzeptabel und zeigt einmal mehr, dass der Berliner Regierung gute Beziehungen zu Ankara wichtiger sind, als das Andenken an die Opfer sowie der Kampf um die Anerkennung. Diese Annäherung findet dabei auch im Kontext der türkischen Offensive in Rojava statt, die vom NATO-Partner Deutschland unterstützt wird und die Verstimmungen rund um die Ereignisse nach dem versuchten Staatsstreich am 15. Juli vergessen machen soll.

Denn schon vor dem gescheiterten Putschversuch von Teilen des Militärs gegen das Erdogan-Regime waren die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara unterkühlt. Der Grund: Eine Erklärung des deutschen Parlaments, wonach die Massaker und Deportationen an den Armenier*innen und anderen christlichen Minderheiten vor 101 Jahren als Genozid bezeichnet werden.

Jahre- und jahrzehntelang hatten sich die verschiedenen Zusammensetzungen des deutschen Bundestages geweigert, die Ereignisse beginnend ab dem 24. April 1915 als Völkermord zu bezeichnen. Einer der Gründe war die Rücksichtnahme auf die Türkei, die als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches die Adressatin einer Erklärung gewesen wäre. Ein weiterer Grund jedoch war auch die Tatsache, dass ohne die tatkräftige Unterstützung der damaligen Regierung des deutschen Kaiserreiches als Alliierte im Ersten Weltkrieg, der Völkermord nicht so zustande gekommen wäre. Obwohl also auch Deutschland mitverantwortlich für den Genozid war, mussten die Opfer der Massenvernichtung über hundert Jahre auf eine Erklärung seitens des Parlaments warten.

Der Genozid an den Armenier*innen ist indes nicht der einzige, dem die Bundesrepublik die volle Anerkennung verweigert. Der Völkermord an den Herero und Nama im damaligen deutschen Kolonialgebiet Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia) zwischen 1904 und 1908 ist immer noch nicht aufgearbeitet. Zwar gibt es seit letztem Jahr erstmals einige Stellungnahmen, die den Völkermord als solchen bezeichnen, doch eine offizielle Erklärung steht noch aus – und von Entschädigung ist bisher keine Rede.

Eine Farce

Dass die Republik Türkei den Völkermord nie als solchen anerkennen wird, steht außer Frage – wurde doch die Herrschaft der türkischen Bourgeoisie auf den Leichen der nationalen Minderheiten aufgebaut, deren Grund und Boden sowie natürlich deren Eigentum sie raubten. Die Leugnung des Völkermordes gehört zur Staatsräson der Türkei und wird in der Bourgeoisie und in weiten Teilen der Bevölkerung ausnahmslos anerkannt. Nur auf den Trümmern eines zerstörten türkischen Staates und seiner Ersetzung durch eine sozialistische Föderation wird deshalb eine Anerkennung möglich sein. Auch die weitere Aufarbeitung oder eine Entschädigung der Hinterbliebenen werden erst möglich sein, wenn die Herrschaft der zutiefst nationalistischen Bourgeoisie gebrochen wird.

In Deutschland jedoch gab es unmittelbar nach dem 2. Juni (dem Tag der Verabschiedung der Resolution) Hoffnungen auf eine Wende. Die Erklärung des Bundestages wurde in der Republik Armenien sowie in der armenischen Diaspora erleichtert, geradezu dankend angenommen. Das türkische Regime war schon damals alles andere als begeistert, und reagierte mit einem wütenden „Aktionsplan“: Nachdem schon der deutsche Botschafter Martin Erdmann keine Besuche mehr bei ranghohen Regierungsvertreter*innen bekam, wurde auch noch der Zutritt deutscher Parlamentarier*innen zu deutschen Soldat*innen auf dem Militärstützpunkt Incirlik im Südosten der Türkei verwehrt. Besonders der letzte Punkt schien einen wunden Punkt getroffen zu haben, weshalb die Bundesregierung mit ihrem Pressesprecher Steffen Seibert in erster Linie auf die Forderung einging, sich von der Erklärung (die zwar die Taten benennt, aber dennoch große Schwächen aufweist) zu distanzieren.

Was danach auf der Bundespressekonferenz am vergangenen Freitag folgte, war an Unrühmlichkeit nicht zu überbieten: Zwar wurde eine inhaltliche Distanzierung abgelehnt, jedoch wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Resolution keinen rechtsverbindlichen Charakter hätte. Über den Völkermord zu sprechen, sei nicht die Aufgabe von Parlamenten, sondern von Gerichten. Das ist exakt die gleiche verleumderische Politik der Türkei, unter deren Motto sie auch im Vorfeld des 2. Juni Großdemonstrationen mit tausenden Nationalist*innen und Faschist*innen organisierte.

Dabei waren Kanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon bei der Abstimmung bewusst der Erklärung ferngeblieben. Besonders letzterer drängte hinter den Kulissen darauf, dass der Bundestag die Resolution nicht verabschiede. Die Erklärung kam jedoch zustande, alleine schon deswegen, weil nach den Gedenkzeremoniellen vor einem Jahr die Tatsachen zu offensichtlich wurden. Noch dazu war es frappierend, dass alle Staaten um Deutschland herum bereits ähnliche Resolutionen verabschiedet hatten. Diese Resolution, die alle Parteien nahezu einstimmig annahmen, war vor allem ein Sieg all derjenigen, die seit Jahren um die Anerkennung kämpften und das Andenken der Opfer in die Höhe hielten.

Konsequenzen

Dabei war im Vorhinein das Verhalten des Bundestages alles andere zufriedenstellend: Schon zum hundertsten Jahrestag sollte eine Erklärung endlich (!) verabschiedet werden. Diese kam allerdings aufgrund des hohen Drucks aus der Türkei nicht zustande. Auch die schlichte Tatsache, dass es ganze 101 Jahre dauern musste zu einer rein symbolischen Erklärung, ist beschämend genug. Hatte doch schon 1916 ein gewisser Karl Liebknecht im damaligen Reichstag auf die Ereignisse aufmerksam gemacht.

Eine weitere Schwäche der Resolution war ihr mangelnder bindender Charakter, der z.B. keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht, wenn jemand den Genozid leugnet. Diese Schwäche machte sich auch die Bundesregierung zunutze und wies darauf hin, dass der Entschließungsantrag nicht rechtsverbindlich sei. Kein Wunder, dass auf türkischer Seite der Botschaftssprecher Refik Sogukoglu dies „generell eher positiv“ sieht.

Diese Erfahrung zeigt einmal mehr, dass der Kampf um die Anerkennung des Genozids weitergeht und auf vielerlei Weise geführt werden muss. Auch nach der Bundestags-Resolution muss dafür gestritten werden, dass die historischen Tatsachen vor über hundert Jahren anerkannt und weiterhin aufgearbeitet werden. Das respektlose Verhalten der Bundesregierung zeigt einmal mehr, dass es dazu noch ein langer Weg ist.

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