Armani für alle: Warum Linke High-Fashion für alle fordern müssen
Unter Linken wird oft die Ausbeutung von Mensch und Natur durch die Fast-Fashion-Industrie kritisiert. Andererseits gelten Menschen, die Luxuskleidung wie Dolce & Gabbana, Armani oder Balmain tragen, als plumpe Angeber:innen. Doch wie sollte Kleidung stattdessen produziert werden?
Die Art und Weise, wie Kleidung produziert wird, ist zweifellos katastrophal. In sogenannten Sweatshops, in denen Arbeiter:innenrechte mit Füßen getreten werden, wird ein guter Teil der heutigen Kleidung produziert. 250 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren sind gezwungen, bis zu 16 Stunden pro Tag in den Ausbeutungsbetrieben zu arbeiten. Die Mehrheit (85 Prozent) der Menschen, die diese Überausbeutung erfahren ist zwischen 15 und 25 Jahren alt und weiblich. Während Arbeiter:innen dort durchschnittlich lediglich 0,13 Dollar pro Stunde verdienen, wird der weltweite Umsatz der Sweatshop-Industrie auf 1,5 Billionen Dollar pro Jahr geschätzt. Gleichzeitig wird ein Pullover im Durchschnitt nur sieben mal getragen. Über fünf Kilogramm Altkleider und Textilien sind 2022 in Deutschland pro Kopf exportiert worden. Die kapitalistische Kleiderproduktion ist zusammengefasst also krasser Raubbau an Mensch und Natur.
Den Teufelskreislauf durchbrechen
Viele kleinbürgerliche Linke antworten darauf, dass man nachhaltiger einkaufen soll, dass man von “grünere” Marken einkaufen soll, dass man gebrauchte Kleider kaufen soll, und so weiter. Sicherlich für das eigene Gewissen ist das gut. Doch das Problem wird damit nicht wirklich beendet. Es reicht nicht nur, weniger zu produzieren und den Konsum zurückzuschrauben. Wir müssen vor allem anders produzieren. Das bedeutet nicht, dass wir eine Gesellschaft von Kleinproduzent:innen wollen, in der jeder individuell für sich produzieren muss und so eine vermeintliche Nachhaltigkeit schafft.
Damit die Produktion keiner Profitlogik mehr unterliegt, wollen wir die gesamte Fashion-Industrie den Kapitalist:innen entreißen und unter Kontrolle aller Arbeiter:innen stellen. Wir wollen, dass in jeder Fabrik und letztendlich in der ganzen Welt demokratisch diskutiert wird, welche Dinge wir in welcher Stückzahl unter welchen Arbeits- und Produktionsbedingungen brauchen und das dann gemeinsam umgesetzt wird. In diesem Sinne treten wir dafür ein, dass die Selbstorganisation der Beschäftigten – von den Textilarbeiter:innen in Haiti zu den kämpfenden H&M-Kolleg:innen in Deutschland – gestärkt wird und dieser Industriesektor unter ihre Kontrolle gestellt wird. So kann die Produktion auf ein höheres Niveau gebracht werden als die kapitalistische Produktion, für die Naturschutz und Arbeiter:innenrechte Fremdwörter sind. Produktion und Verkauf können so an den Bedürfnissen der Beschäftigten und der Konsument:innen orientiert werden. Damit könnte man einen Teufelskreislauf durchbrechen.
Kleidung als Wegwerfprodukt überwinden
Es ist kein Wunder, dass Kleider so schnell weggeworfen oder -gegeben werden. Es wird an Material gespart, schlecht gewebt und die Stoffe mit Kunstfasern gestreckt, um sie billiger zu machen und ihre Lebensdauer künstlich zu verkürzen. So wird ganz im Sinne der Profitlogik das Bedürfnis nach neuer Kleidung schneller hervorgerufen. Jede:r, der:die mal einen Pullover von C&A, H&M, Zara, Shein oder Primark gekauft hat, weiß, dass die Stoffe sich nach wenigen Waschgängen verziehen. Wenn ein Kleidungsstück ganz anders sitzt als noch beim Kauf, fühlt man sich zwangsläufig nicht mehr so wohl. Dieses Unwohlsein betrifft ganz besonders Menschen, die bürgerlichen Schönheitsidealen nicht unbedingt entsprechen. Für sie ist Kleidung oft ein Mittel, um ihren Körper zu kaschieren beziehungsweise zu schmücken. Im Umkehrschluss betonen Kleider, die verzogen sind, meistens vermeintliche „Problemstellen“. Man könnte also sagen, dass mit der geplanten Obsoleszenz, also der künstlichen Verkürzung der Lebensdauer von Dingen, auch ein in Kauf genommenes Body- und Fatshaming einhergeht.
Markenfetisch und High-Fashion
Auf der anderen Seite gibt es großen gesellschaftlichen Druck, die neuesten Trends mitzumachen und die neuesten Kollektionen zu tragen. Das natürliche Bedürfnis nach Kleidung wird also vermischt mit einer Ideologie, dass man sich durch Konsum im Kapitalismus selbst verwirklichen kann. Diese Ideologie basiert auch stark auf elitärer Abgrenzung gegenüber der Allgemeinheit, oft auch durch mehr oder weniger versteckte Sitten und Codes.
Die Spitze dieser Ideologie ist High Fashion, wobei man zwischen Prêt-à-porter (deutsch: Tragebereit, ready to wear) und Haute Couture (deutsch: Hochkultur) unterscheiden muss. Haute Couture beschreibt maßgeschneiderte Luxuskleidung, während Prêt-à-porter Kollektionen in Standardgrößen beschreibt, die sich eher durch geringe Stückzahl und eine an die oft Haute Couture angelehnte avantgardistischen Ästhetik von Fast Fashion abhebt. Während es sicherlich nicht notwendig ist, dass alle Kleider maßgeschneidert sind – man kann sie anpassen falls nötig – ist das Problem von Prêt-à-porter eher der oft absurd hohe Preis und die künstliche Verknappung als die Qualität. Doch diese Kleidung hat nicht nur Nachteile, sondern auch ein großes Potenzial: Wenn ein Pullover statt nur einem Dutzend viele hunderte Waschgänge gut übersteht, ist es zweifelsfrei besser für die Natur und für die langfristige Verringerung der Arbeitszeit, nur solche Pullover herzustellen.
Viele Linke machen sich dennoch über – oft migrantische – Jugendliche lustig, wenn sie Gucci-Fakes tragen statt nachhaltiger oder nur “bodenständiger” Mode. Dabei übersehen sie, dass dahinter der Wunsch steht, sich von den eigenen, verarmten Verhältnissen zu emanzipieren. Statt also arrogant über sie zu urteilen, müssen Linke daraus eine soziale Forderung machen und die Aufhebung jener gesellschaftlichen Verhältnisse fordern, die die Menschen dazu drängt, sich entweder maßlos überteuerte oder gefälschte Kleidung zu kaufen. Die Forderung von Linken darf also nicht die Abschaffung von High Fashion sein. Im Gegenteil: Wenn alle Menschen freien Zugang zu bequemer, nachhaltiger, langlebiger, gut sitzender und modischer Kleidung bekommen, kann sich niemand mehr so einfach durch seinen elitären Kleidungsstil abgrenzen.
Nur noch sozialistischer Einheitsbrei?
Das heißt im Umkehrschluss auch nicht, dass es nur noch langweilige Basics gibt. Im Gegenteil: In einer Gesellschaft von freien Produzent:innen bestimmen nicht mehr nur wenige Menschen in Paris und Mailand, was modern ist, sondern viel mehr Menschen haben die Möglichkeit ihre Ideen umzusetzen, die sonst nie das Licht der Welt erblickt haben. Im Gegensatz zur kapitalistischen Konkurrenz, die auf Profit und Marktmacht ausgelegt ist, müsse man sich nicht mehr an Urheberrecht halten und alle könnten schon bestehende Ideen ständig weiterentwickeln und umsetzen. Durch diesen wirklich freien Wettbewerb der Ideen, kann die Kreativität ein neues Niveau erreichen.
Armani für alle!